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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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j)eder der Große in neuer Beleuchtung.

Lage unsrer Seeleute eingewirkt haben. Aber wie Deutschland sich bestrebt
zeigt, seine Seehandelsstellung zu konsolidiren, in dem Grade muß es auch be¬
müht sein, dem Stande, der ihm diese Stellung trügt, seine Fürsorge und
seinen Schutz zu gewähren.




Peter der Große in neuer Beleuchtung.

egenüber den Zuständen und Ereignissen im heutigen Rußland
haben wir besondern Anlaß, auf die Geschichte zurückzugehen, da
sie uns allein zum rechten Verständnis derselben verhelfen kann.
Rußlands Stellung in Europa ist seit der Wiederaufrichtung des
deutschen Reiches eine wesentlich andre geworden, sein Einfluß seit
dem Frankfurter Frieden stetig zurückgegangen, und zu gleicher Zeit ist die Kraft
des Zarentums durch revolutionäre Bewegungen geschwächt worden. Beides aber
hat das letztere bewogen, sich möglichst vom Auslande im Westen abzuwenden
und sich mehr den innern, den nationalen Interessen zu widmen. Diese Abkehr
von Europa ist in Rußland als Rückkehr von der Politik Peters des Großen,
als Abschluß einer Periode der Verirrung bezeichnet worden, in welcher Rußland
nach fremden Ideen, mit fremden Mitteln und zu fremden Zwecken regiert
worden sei, und welche jetzt ihre verhängnisvollen Folgen offenbare, weshalb die
Zaren aufhören müßten, zu europäisiren, und die Pflicht hätten, zu der alt¬
russischen Natur und Kultur mit ihren Tugenden und ihrem Glücke zurück¬
zugreifen, sie neu zu beleben, zu pflegen und zu befestigen. Dem gegenüber war
es dankenswert, daß ein Geschichtsforscher daran ging, zu untersuchen, ob die
Entwicklung Rußlands in den letzten anderthalb hundert Jahren wirklich Irr¬
wege gegangen sei, und ob der Weg abseits vom europäischen Wesen, den man
demselben jetzt aurae, wirklich zu eignen russischen Kulturzielen führe. Dies ist in
der Schrift Wie Rußland europäisch wurde von E. v. d. Brügger (Leipzig,
Veit u. Comp., 1885) geschehen, die wir wegen der gründlichen Sachkunde und
der außerordentlichen Klarheit, mit welcher der Verfasser seinen Gegenstand be¬
handelt, eindringlichst empfehlen. Wir Deutsche haben jene von Peter dem
Großen eingeleitete Periode bisher vielfach einseitig beurteilt, teils aus Unkenntnis,
teils von dem Bestreben der Russen getäuscht, ihren heimischen Dingen das An¬
sehen europäischer Art und Gestalt zu geben, und so lobten wir, überzeugt von
der Trefflichkeit und Unfehlbarkeit europäischer Bildungsmittel, Peter und seine
Nachfolger als die Begründer dieser Kultur, ohne viel zu fragen, wie tief sie


j)eder der Große in neuer Beleuchtung.

Lage unsrer Seeleute eingewirkt haben. Aber wie Deutschland sich bestrebt
zeigt, seine Seehandelsstellung zu konsolidiren, in dem Grade muß es auch be¬
müht sein, dem Stande, der ihm diese Stellung trügt, seine Fürsorge und
seinen Schutz zu gewähren.




Peter der Große in neuer Beleuchtung.

egenüber den Zuständen und Ereignissen im heutigen Rußland
haben wir besondern Anlaß, auf die Geschichte zurückzugehen, da
sie uns allein zum rechten Verständnis derselben verhelfen kann.
Rußlands Stellung in Europa ist seit der Wiederaufrichtung des
deutschen Reiches eine wesentlich andre geworden, sein Einfluß seit
dem Frankfurter Frieden stetig zurückgegangen, und zu gleicher Zeit ist die Kraft
des Zarentums durch revolutionäre Bewegungen geschwächt worden. Beides aber
hat das letztere bewogen, sich möglichst vom Auslande im Westen abzuwenden
und sich mehr den innern, den nationalen Interessen zu widmen. Diese Abkehr
von Europa ist in Rußland als Rückkehr von der Politik Peters des Großen,
als Abschluß einer Periode der Verirrung bezeichnet worden, in welcher Rußland
nach fremden Ideen, mit fremden Mitteln und zu fremden Zwecken regiert
worden sei, und welche jetzt ihre verhängnisvollen Folgen offenbare, weshalb die
Zaren aufhören müßten, zu europäisiren, und die Pflicht hätten, zu der alt¬
russischen Natur und Kultur mit ihren Tugenden und ihrem Glücke zurück¬
zugreifen, sie neu zu beleben, zu pflegen und zu befestigen. Dem gegenüber war
es dankenswert, daß ein Geschichtsforscher daran ging, zu untersuchen, ob die
Entwicklung Rußlands in den letzten anderthalb hundert Jahren wirklich Irr¬
wege gegangen sei, und ob der Weg abseits vom europäischen Wesen, den man
demselben jetzt aurae, wirklich zu eignen russischen Kulturzielen führe. Dies ist in
der Schrift Wie Rußland europäisch wurde von E. v. d. Brügger (Leipzig,
Veit u. Comp., 1885) geschehen, die wir wegen der gründlichen Sachkunde und
der außerordentlichen Klarheit, mit welcher der Verfasser seinen Gegenstand be¬
handelt, eindringlichst empfehlen. Wir Deutsche haben jene von Peter dem
Großen eingeleitete Periode bisher vielfach einseitig beurteilt, teils aus Unkenntnis,
teils von dem Bestreben der Russen getäuscht, ihren heimischen Dingen das An¬
sehen europäischer Art und Gestalt zu geben, und so lobten wir, überzeugt von
der Trefflichkeit und Unfehlbarkeit europäischer Bildungsmittel, Peter und seine
Nachfolger als die Begründer dieser Kultur, ohne viel zu fragen, wie tief sie


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[0631] j)eder der Große in neuer Beleuchtung. Lage unsrer Seeleute eingewirkt haben. Aber wie Deutschland sich bestrebt zeigt, seine Seehandelsstellung zu konsolidiren, in dem Grade muß es auch be¬ müht sein, dem Stande, der ihm diese Stellung trügt, seine Fürsorge und seinen Schutz zu gewähren. Peter der Große in neuer Beleuchtung. egenüber den Zuständen und Ereignissen im heutigen Rußland haben wir besondern Anlaß, auf die Geschichte zurückzugehen, da sie uns allein zum rechten Verständnis derselben verhelfen kann. Rußlands Stellung in Europa ist seit der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches eine wesentlich andre geworden, sein Einfluß seit dem Frankfurter Frieden stetig zurückgegangen, und zu gleicher Zeit ist die Kraft des Zarentums durch revolutionäre Bewegungen geschwächt worden. Beides aber hat das letztere bewogen, sich möglichst vom Auslande im Westen abzuwenden und sich mehr den innern, den nationalen Interessen zu widmen. Diese Abkehr von Europa ist in Rußland als Rückkehr von der Politik Peters des Großen, als Abschluß einer Periode der Verirrung bezeichnet worden, in welcher Rußland nach fremden Ideen, mit fremden Mitteln und zu fremden Zwecken regiert worden sei, und welche jetzt ihre verhängnisvollen Folgen offenbare, weshalb die Zaren aufhören müßten, zu europäisiren, und die Pflicht hätten, zu der alt¬ russischen Natur und Kultur mit ihren Tugenden und ihrem Glücke zurück¬ zugreifen, sie neu zu beleben, zu pflegen und zu befestigen. Dem gegenüber war es dankenswert, daß ein Geschichtsforscher daran ging, zu untersuchen, ob die Entwicklung Rußlands in den letzten anderthalb hundert Jahren wirklich Irr¬ wege gegangen sei, und ob der Weg abseits vom europäischen Wesen, den man demselben jetzt aurae, wirklich zu eignen russischen Kulturzielen führe. Dies ist in der Schrift Wie Rußland europäisch wurde von E. v. d. Brügger (Leipzig, Veit u. Comp., 1885) geschehen, die wir wegen der gründlichen Sachkunde und der außerordentlichen Klarheit, mit welcher der Verfasser seinen Gegenstand be¬ handelt, eindringlichst empfehlen. Wir Deutsche haben jene von Peter dem Großen eingeleitete Periode bisher vielfach einseitig beurteilt, teils aus Unkenntnis, teils von dem Bestreben der Russen getäuscht, ihren heimischen Dingen das An¬ sehen europäischer Art und Gestalt zu geben, und so lobten wir, überzeugt von der Trefflichkeit und Unfehlbarkeit europäischer Bildungsmittel, Peter und seine Nachfolger als die Begründer dieser Kultur, ohne viel zu fragen, wie tief sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/631>, abgerufen am 01.05.2024.