Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt.

und für sich eine lediglich untergeordnete oder nur formelle Frage sein müßte.
Wir glauben aber nicht, daß man in den Schifffahrtskreisen ans seiten der
Arbeitgeber der Frage mir diese formelle Bedeutung beimißt. Oder beabsichtigt
man, die Heuern der Seeleute um denjenigen Betrag zu erhöhen, welchen sie
als Versicherungsprämie aus ihrem Einkommen zahlen sollen?

Die Eventualität eintretender Arbeitslosigkeit übergehen die nautischen
Vereine in ihren Vorschlägen für die nautische Arbeitcrvcrsicherung, und soweit
mir die Lage übersehen können, liegt zu ihrer Berücksichtigung auch keine
Veranlassung vor. Man bemüht sich jetzt zwar, in der Arbeiterfrage das "Recht
auf Arbeit" dadurch in die Grenzen des Möglichen und Denkbaren einzuführen,
daß man die Unfall-, Kranken-, Alters- u. s. w. Versicherung einer Versicherung
gegen Arbeitslosigkeit unterordnen zu müsse" glaubt. Weil Gefahren von Krankheit,
Alter und Tod den Arbeiter und seine Familie nicht nur während der Dauer
seiner Beschäftigung, sondern Zeit seines Lebens bedrohen, und weil die zur
Versicherung für den Fall ihres Eintrittes nötigen Prämienzahlungen, wenn
sie zur wirklichen Sicherheit des Versicherten führen sollen, auch während der
Arbeitslosigkeit des Arbeiters geleistet werden müssen, die Mittel hierzu aber
nur aus den Leistungen einer Versicherung gegen solche Arbeitslosigkeit gewonnen
werden könnten, so hätte, sagt man, nach Durchführung eines derartigen "Rechts
auf Arbeit," verbunden mit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Krankeu-
und Unfallversicherung vor der Hand in ihrer jetzigen Gestalt ganz unterbleiben
können. Nach diesem Gesichtspunkte die nautische Arbeiterversicherung zu prüfen,
erscheint uns überflüssig. Haben wir auch im Eingange dargelegt, daß die Lage
unsrer Seeschiffahrt keine sehr befriedigende ist, so dürfte sie doch nicht mit
einer Notlage identifizirt werden, die zu einem umfassenden Arbeitsmangel ihrer
Angehörigen und damit zu einer Illusion für die Unterhaltung der Unfall- und
Krankenversicherung führen könnte, umsoweniger als man berechtigt ist, anzu¬
nehmen, daß die augenblicklich sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
im Schifffahrtsbetriebe auch nur vorübergehender Art sind.

Aus diesen flüchtigen Andeutungen (die äußere Organisation der nautischen
Arbeiterversicherung interessirt uus zur vorläufigen Beurteilung ihrer in¬
neren Bedeutung nicht) läßt sich erkennen, daß es sich um ein Unternehmen
handelt, welches, von vielem Wohlwollen getragen, dem Besten eines Standes
dienen soll, von dem sich trotz der Überfülle der Gefahren seines Berufslebens
und bei allem "Schutz der nationalen Arbeit" das öffentliche Interesse bisher
doch sehr ferngehalten hat, ein Unternehmen, welches vollen Anspruch auf Be¬
achtung verdient, in dem Maße, wie gesunde Zustünde im Schifffahrtsbetriebe von
wundcrthätiger Wirkung ans die wirtschaftliche Wohlfahrt jeder seefahrenden
Nation erkannt werden. Der außerordentlich schnelle Aufschwung des deutscheu
Seeverkehrs hat es mit sich gebracht, daß bei ihm mancherlei Unzuträglichkeiten
entstanden sind, die, wie wir gesehen haben, ungünstig auch auf die wirtschaftliche


Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt.

und für sich eine lediglich untergeordnete oder nur formelle Frage sein müßte.
Wir glauben aber nicht, daß man in den Schifffahrtskreisen ans seiten der
Arbeitgeber der Frage mir diese formelle Bedeutung beimißt. Oder beabsichtigt
man, die Heuern der Seeleute um denjenigen Betrag zu erhöhen, welchen sie
als Versicherungsprämie aus ihrem Einkommen zahlen sollen?

Die Eventualität eintretender Arbeitslosigkeit übergehen die nautischen
Vereine in ihren Vorschlägen für die nautische Arbeitcrvcrsicherung, und soweit
mir die Lage übersehen können, liegt zu ihrer Berücksichtigung auch keine
Veranlassung vor. Man bemüht sich jetzt zwar, in der Arbeiterfrage das „Recht
auf Arbeit" dadurch in die Grenzen des Möglichen und Denkbaren einzuführen,
daß man die Unfall-, Kranken-, Alters- u. s. w. Versicherung einer Versicherung
gegen Arbeitslosigkeit unterordnen zu müsse» glaubt. Weil Gefahren von Krankheit,
Alter und Tod den Arbeiter und seine Familie nicht nur während der Dauer
seiner Beschäftigung, sondern Zeit seines Lebens bedrohen, und weil die zur
Versicherung für den Fall ihres Eintrittes nötigen Prämienzahlungen, wenn
sie zur wirklichen Sicherheit des Versicherten führen sollen, auch während der
Arbeitslosigkeit des Arbeiters geleistet werden müssen, die Mittel hierzu aber
nur aus den Leistungen einer Versicherung gegen solche Arbeitslosigkeit gewonnen
werden könnten, so hätte, sagt man, nach Durchführung eines derartigen „Rechts
auf Arbeit," verbunden mit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Krankeu-
und Unfallversicherung vor der Hand in ihrer jetzigen Gestalt ganz unterbleiben
können. Nach diesem Gesichtspunkte die nautische Arbeiterversicherung zu prüfen,
erscheint uns überflüssig. Haben wir auch im Eingange dargelegt, daß die Lage
unsrer Seeschiffahrt keine sehr befriedigende ist, so dürfte sie doch nicht mit
einer Notlage identifizirt werden, die zu einem umfassenden Arbeitsmangel ihrer
Angehörigen und damit zu einer Illusion für die Unterhaltung der Unfall- und
Krankenversicherung führen könnte, umsoweniger als man berechtigt ist, anzu¬
nehmen, daß die augenblicklich sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
im Schifffahrtsbetriebe auch nur vorübergehender Art sind.

Aus diesen flüchtigen Andeutungen (die äußere Organisation der nautischen
Arbeiterversicherung interessirt uus zur vorläufigen Beurteilung ihrer in¬
neren Bedeutung nicht) läßt sich erkennen, daß es sich um ein Unternehmen
handelt, welches, von vielem Wohlwollen getragen, dem Besten eines Standes
dienen soll, von dem sich trotz der Überfülle der Gefahren seines Berufslebens
und bei allem „Schutz der nationalen Arbeit" das öffentliche Interesse bisher
doch sehr ferngehalten hat, ein Unternehmen, welches vollen Anspruch auf Be¬
achtung verdient, in dem Maße, wie gesunde Zustünde im Schifffahrtsbetriebe von
wundcrthätiger Wirkung ans die wirtschaftliche Wohlfahrt jeder seefahrenden
Nation erkannt werden. Der außerordentlich schnelle Aufschwung des deutscheu
Seeverkehrs hat es mit sich gebracht, daß bei ihm mancherlei Unzuträglichkeiten
entstanden sind, die, wie wir gesehen haben, ungünstig auch auf die wirtschaftliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195306"/>
            <fw type="header" place="top"> Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2423" prev="#ID_2422"> und für sich eine lediglich untergeordnete oder nur formelle Frage sein müßte.<lb/>
Wir glauben aber nicht, daß man in den Schifffahrtskreisen ans seiten der<lb/>
Arbeitgeber der Frage mir diese formelle Bedeutung beimißt. Oder beabsichtigt<lb/>
man, die Heuern der Seeleute um denjenigen Betrag zu erhöhen, welchen sie<lb/>
als Versicherungsprämie aus ihrem Einkommen zahlen sollen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2424"> Die Eventualität eintretender Arbeitslosigkeit übergehen die nautischen<lb/>
Vereine in ihren Vorschlägen für die nautische Arbeitcrvcrsicherung, und soweit<lb/>
mir die Lage übersehen können, liegt zu ihrer Berücksichtigung auch keine<lb/>
Veranlassung vor. Man bemüht sich jetzt zwar, in der Arbeiterfrage das &#x201E;Recht<lb/>
auf Arbeit" dadurch in die Grenzen des Möglichen und Denkbaren einzuführen,<lb/>
daß man die Unfall-, Kranken-, Alters- u. s. w. Versicherung einer Versicherung<lb/>
gegen Arbeitslosigkeit unterordnen zu müsse» glaubt. Weil Gefahren von Krankheit,<lb/>
Alter und Tod den Arbeiter und seine Familie nicht nur während der Dauer<lb/>
seiner Beschäftigung, sondern Zeit seines Lebens bedrohen, und weil die zur<lb/>
Versicherung für den Fall ihres Eintrittes nötigen Prämienzahlungen, wenn<lb/>
sie zur wirklichen Sicherheit des Versicherten führen sollen, auch während der<lb/>
Arbeitslosigkeit des Arbeiters geleistet werden müssen, die Mittel hierzu aber<lb/>
nur aus den Leistungen einer Versicherung gegen solche Arbeitslosigkeit gewonnen<lb/>
werden könnten, so hätte, sagt man, nach Durchführung eines derartigen &#x201E;Rechts<lb/>
auf Arbeit," verbunden mit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Krankeu-<lb/>
und Unfallversicherung vor der Hand in ihrer jetzigen Gestalt ganz unterbleiben<lb/>
können. Nach diesem Gesichtspunkte die nautische Arbeiterversicherung zu prüfen,<lb/>
erscheint uns überflüssig. Haben wir auch im Eingange dargelegt, daß die Lage<lb/>
unsrer Seeschiffahrt keine sehr befriedigende ist, so dürfte sie doch nicht mit<lb/>
einer Notlage identifizirt werden, die zu einem umfassenden Arbeitsmangel ihrer<lb/>
Angehörigen und damit zu einer Illusion für die Unterhaltung der Unfall- und<lb/>
Krankenversicherung führen könnte, umsoweniger als man berechtigt ist, anzu¬<lb/>
nehmen, daß die augenblicklich sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten<lb/>
im Schifffahrtsbetriebe auch nur vorübergehender Art sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2425" next="#ID_2426"> Aus diesen flüchtigen Andeutungen (die äußere Organisation der nautischen<lb/>
Arbeiterversicherung interessirt uus zur vorläufigen Beurteilung ihrer in¬<lb/>
neren Bedeutung nicht) läßt sich erkennen, daß es sich um ein Unternehmen<lb/>
handelt, welches, von vielem Wohlwollen getragen, dem Besten eines Standes<lb/>
dienen soll, von dem sich trotz der Überfülle der Gefahren seines Berufslebens<lb/>
und bei allem &#x201E;Schutz der nationalen Arbeit" das öffentliche Interesse bisher<lb/>
doch sehr ferngehalten hat, ein Unternehmen, welches vollen Anspruch auf Be¬<lb/>
achtung verdient, in dem Maße, wie gesunde Zustünde im Schifffahrtsbetriebe von<lb/>
wundcrthätiger Wirkung ans die wirtschaftliche Wohlfahrt jeder seefahrenden<lb/>
Nation erkannt werden. Der außerordentlich schnelle Aufschwung des deutscheu<lb/>
Seeverkehrs hat es mit sich gebracht, daß bei ihm mancherlei Unzuträglichkeiten<lb/>
entstanden sind, die, wie wir gesehen haben, ungünstig auch auf die wirtschaftliche</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0630] Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt. und für sich eine lediglich untergeordnete oder nur formelle Frage sein müßte. Wir glauben aber nicht, daß man in den Schifffahrtskreisen ans seiten der Arbeitgeber der Frage mir diese formelle Bedeutung beimißt. Oder beabsichtigt man, die Heuern der Seeleute um denjenigen Betrag zu erhöhen, welchen sie als Versicherungsprämie aus ihrem Einkommen zahlen sollen? Die Eventualität eintretender Arbeitslosigkeit übergehen die nautischen Vereine in ihren Vorschlägen für die nautische Arbeitcrvcrsicherung, und soweit mir die Lage übersehen können, liegt zu ihrer Berücksichtigung auch keine Veranlassung vor. Man bemüht sich jetzt zwar, in der Arbeiterfrage das „Recht auf Arbeit" dadurch in die Grenzen des Möglichen und Denkbaren einzuführen, daß man die Unfall-, Kranken-, Alters- u. s. w. Versicherung einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit unterordnen zu müsse» glaubt. Weil Gefahren von Krankheit, Alter und Tod den Arbeiter und seine Familie nicht nur während der Dauer seiner Beschäftigung, sondern Zeit seines Lebens bedrohen, und weil die zur Versicherung für den Fall ihres Eintrittes nötigen Prämienzahlungen, wenn sie zur wirklichen Sicherheit des Versicherten führen sollen, auch während der Arbeitslosigkeit des Arbeiters geleistet werden müssen, die Mittel hierzu aber nur aus den Leistungen einer Versicherung gegen solche Arbeitslosigkeit gewonnen werden könnten, so hätte, sagt man, nach Durchführung eines derartigen „Rechts auf Arbeit," verbunden mit einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Krankeu- und Unfallversicherung vor der Hand in ihrer jetzigen Gestalt ganz unterbleiben können. Nach diesem Gesichtspunkte die nautische Arbeiterversicherung zu prüfen, erscheint uns überflüssig. Haben wir auch im Eingange dargelegt, daß die Lage unsrer Seeschiffahrt keine sehr befriedigende ist, so dürfte sie doch nicht mit einer Notlage identifizirt werden, die zu einem umfassenden Arbeitsmangel ihrer Angehörigen und damit zu einer Illusion für die Unterhaltung der Unfall- und Krankenversicherung führen könnte, umsoweniger als man berechtigt ist, anzu¬ nehmen, daß die augenblicklich sehr großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Schifffahrtsbetriebe auch nur vorübergehender Art sind. Aus diesen flüchtigen Andeutungen (die äußere Organisation der nautischen Arbeiterversicherung interessirt uus zur vorläufigen Beurteilung ihrer in¬ neren Bedeutung nicht) läßt sich erkennen, daß es sich um ein Unternehmen handelt, welches, von vielem Wohlwollen getragen, dem Besten eines Standes dienen soll, von dem sich trotz der Überfülle der Gefahren seines Berufslebens und bei allem „Schutz der nationalen Arbeit" das öffentliche Interesse bisher doch sehr ferngehalten hat, ein Unternehmen, welches vollen Anspruch auf Be¬ achtung verdient, in dem Maße, wie gesunde Zustünde im Schifffahrtsbetriebe von wundcrthätiger Wirkung ans die wirtschaftliche Wohlfahrt jeder seefahrenden Nation erkannt werden. Der außerordentlich schnelle Aufschwung des deutscheu Seeverkehrs hat es mit sich gebracht, daß bei ihm mancherlei Unzuträglichkeiten entstanden sind, die, wie wir gesehen haben, ungünstig auch auf die wirtschaftliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/630
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/630>, abgerufen am 21.05.2024.