Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Um eine Perle.

In Mantua, rief er, erwarte mich in Mcmtnci, Florida Buonaeolsi! Und
wenn der heilige Aloysius selbst mir den Weg zu dir verlegen wollte, ich bräche
mir Bahn zu dir!

Florida war bei dem unehrerbietigem Anrufen des Mautnaner Schutzpatrons
erschrocken zusammengefahren. Von Giuseppes Arm umschlungen, begleitete sie
ihn bis an die Thür, dann noch in den dunkeln Korridor, dann noch, auf
seinen Arm sich kraftlos stützend, die halbe Treppe hinab.

Da hieß er sie umkehren. Sie ließ den Kopf hängen. So muß es denn
sein! seufzte sie tonlos, indem sie die Augen mit den Händen bedeckte. Trage
wenigstens meinen Ring, trage ihn Tag und Nacht, Giuseppe Gonzaga, trage
ihn wie ein Stück von mir, und wenn dn betest, drücke ihn, als drücktest du
meine Hemd; ich trage den deinen.

Am kleinen Finger, klang es zurück -- er war schon unten --; das Ring¬
lein ist gar so lieb, ist gar so kinderklein.

Und bin ich es nicht etwa auch zu sehr?

Du? Wie eine Hcldenjungfran stehst dn vor meinem innern Auge, hast
du doch dem Drachen der Leidenschaften in meiner Brust den Giftzahn aus¬
gebrochen.

Bester! Einziger! rief sie hinab, die Madonna beschütze dich! Thränen er¬
stickten ihre Stimme. Sie horchte noch vom Korridor ans auf den Klang seiner
verhallenden Schritte, tastete sich dann durch das Dunkel ins Zimmer, eilte an
das Fenster und riß es auf, um ihm noch in der Straße nachzuwinken.

Aber sein Weg ging nicht durch ,diese Straße, und als sie ewig lange
Minuten vergebens nach ihm ausgeblickt hatte, ließ sie sich händeringend auf
ihr Bett sinken und machte dem überquellenden Drange ihres zum erstenmale
vom Pfeil der Liebe getroffenen Herzens in unendlichen Thränenfluten Luft.




Neuntes Kapitel.

In der Frühe des andern Tages saßen die Buonaeolsis wieder im Sattel,
um beim ersten Thoröffnen Verona zu verlassen.

Es war ein erquickend frischer Morgen, die Sterne verblaßten eben, im
Osten begann das goldne Vorspiel des noch fernen Sonnenaufganges, nichts als
der Hufschlag der vier Reitpferde antwortete in den menschenleeren Straßen
den vereinzelt sich hervorwagender Vogelstimmen; von weitem klang das Rauschen
der Etsch, wie sie über das Wehr zur Seite des Ponte delle Ravi dahin-
brauste.

Florida, in ihren Neitmantel aus weicher weißer savoischer Wolle gehüllt,
den breiten Rand ihres grauen Filzhutes tief in die Stirn gezogen, ritt schwei¬
gend und mit tropfender Wimper zur Seite ihres greise" Vaters, der, mit dem
offenen Gebetbuche in der Hand, solange im Schritt geritten werden mußte,


Grenzboten I. 1885. 80
Um eine Perle.

In Mantua, rief er, erwarte mich in Mcmtnci, Florida Buonaeolsi! Und
wenn der heilige Aloysius selbst mir den Weg zu dir verlegen wollte, ich bräche
mir Bahn zu dir!

Florida war bei dem unehrerbietigem Anrufen des Mautnaner Schutzpatrons
erschrocken zusammengefahren. Von Giuseppes Arm umschlungen, begleitete sie
ihn bis an die Thür, dann noch in den dunkeln Korridor, dann noch, auf
seinen Arm sich kraftlos stützend, die halbe Treppe hinab.

Da hieß er sie umkehren. Sie ließ den Kopf hängen. So muß es denn
sein! seufzte sie tonlos, indem sie die Augen mit den Händen bedeckte. Trage
wenigstens meinen Ring, trage ihn Tag und Nacht, Giuseppe Gonzaga, trage
ihn wie ein Stück von mir, und wenn dn betest, drücke ihn, als drücktest du
meine Hemd; ich trage den deinen.

Am kleinen Finger, klang es zurück — er war schon unten —; das Ring¬
lein ist gar so lieb, ist gar so kinderklein.

Und bin ich es nicht etwa auch zu sehr?

Du? Wie eine Hcldenjungfran stehst dn vor meinem innern Auge, hast
du doch dem Drachen der Leidenschaften in meiner Brust den Giftzahn aus¬
gebrochen.

Bester! Einziger! rief sie hinab, die Madonna beschütze dich! Thränen er¬
stickten ihre Stimme. Sie horchte noch vom Korridor ans auf den Klang seiner
verhallenden Schritte, tastete sich dann durch das Dunkel ins Zimmer, eilte an
das Fenster und riß es auf, um ihm noch in der Straße nachzuwinken.

Aber sein Weg ging nicht durch ,diese Straße, und als sie ewig lange
Minuten vergebens nach ihm ausgeblickt hatte, ließ sie sich händeringend auf
ihr Bett sinken und machte dem überquellenden Drange ihres zum erstenmale
vom Pfeil der Liebe getroffenen Herzens in unendlichen Thränenfluten Luft.




Neuntes Kapitel.

In der Frühe des andern Tages saßen die Buonaeolsis wieder im Sattel,
um beim ersten Thoröffnen Verona zu verlassen.

Es war ein erquickend frischer Morgen, die Sterne verblaßten eben, im
Osten begann das goldne Vorspiel des noch fernen Sonnenaufganges, nichts als
der Hufschlag der vier Reitpferde antwortete in den menschenleeren Straßen
den vereinzelt sich hervorwagender Vogelstimmen; von weitem klang das Rauschen
der Etsch, wie sie über das Wehr zur Seite des Ponte delle Ravi dahin-
brauste.

Florida, in ihren Neitmantel aus weicher weißer savoischer Wolle gehüllt,
den breiten Rand ihres grauen Filzhutes tief in die Stirn gezogen, ritt schwei¬
gend und mit tropfender Wimper zur Seite ihres greise» Vaters, der, mit dem
offenen Gebetbuche in der Hand, solange im Schritt geritten werden mußte,


Grenzboten I. 1885. 80
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0645" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195321"/>
            <fw type="header" place="top"> Um eine Perle.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2480"> In Mantua, rief er, erwarte mich in Mcmtnci, Florida Buonaeolsi! Und<lb/>
wenn der heilige Aloysius selbst mir den Weg zu dir verlegen wollte, ich bräche<lb/>
mir Bahn zu dir!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2481"> Florida war bei dem unehrerbietigem Anrufen des Mautnaner Schutzpatrons<lb/>
erschrocken zusammengefahren. Von Giuseppes Arm umschlungen, begleitete sie<lb/>
ihn bis an die Thür, dann noch in den dunkeln Korridor, dann noch, auf<lb/>
seinen Arm sich kraftlos stützend, die halbe Treppe hinab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2482"> Da hieß er sie umkehren. Sie ließ den Kopf hängen. So muß es denn<lb/>
sein! seufzte sie tonlos, indem sie die Augen mit den Händen bedeckte. Trage<lb/>
wenigstens meinen Ring, trage ihn Tag und Nacht, Giuseppe Gonzaga, trage<lb/>
ihn wie ein Stück von mir, und wenn dn betest, drücke ihn, als drücktest du<lb/>
meine Hemd; ich trage den deinen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2483"> Am kleinen Finger, klang es zurück &#x2014; er war schon unten &#x2014;; das Ring¬<lb/>
lein ist gar so lieb, ist gar so kinderklein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2484"> Und bin ich es nicht etwa auch zu sehr?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2485"> Du? Wie eine Hcldenjungfran stehst dn vor meinem innern Auge, hast<lb/>
du doch dem Drachen der Leidenschaften in meiner Brust den Giftzahn aus¬<lb/>
gebrochen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2486"> Bester! Einziger! rief sie hinab, die Madonna beschütze dich! Thränen er¬<lb/>
stickten ihre Stimme. Sie horchte noch vom Korridor ans auf den Klang seiner<lb/>
verhallenden Schritte, tastete sich dann durch das Dunkel ins Zimmer, eilte an<lb/>
das Fenster und riß es auf, um ihm noch in der Straße nachzuwinken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2487"> Aber sein Weg ging nicht durch ,diese Straße, und als sie ewig lange<lb/>
Minuten vergebens nach ihm ausgeblickt hatte, ließ sie sich händeringend auf<lb/>
ihr Bett sinken und machte dem überquellenden Drange ihres zum erstenmale<lb/>
vom Pfeil der Liebe getroffenen Herzens in unendlichen Thränenfluten Luft.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Neuntes Kapitel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2488"> In der Frühe des andern Tages saßen die Buonaeolsis wieder im Sattel,<lb/>
um beim ersten Thoröffnen Verona zu verlassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2489"> Es war ein erquickend frischer Morgen, die Sterne verblaßten eben, im<lb/>
Osten begann das goldne Vorspiel des noch fernen Sonnenaufganges, nichts als<lb/>
der Hufschlag der vier Reitpferde antwortete in den menschenleeren Straßen<lb/>
den vereinzelt sich hervorwagender Vogelstimmen; von weitem klang das Rauschen<lb/>
der Etsch, wie sie über das Wehr zur Seite des Ponte delle Ravi dahin-<lb/>
brauste.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2490" next="#ID_2491"> Florida, in ihren Neitmantel aus weicher weißer savoischer Wolle gehüllt,<lb/>
den breiten Rand ihres grauen Filzhutes tief in die Stirn gezogen, ritt schwei¬<lb/>
gend und mit tropfender Wimper zur Seite ihres greise» Vaters, der, mit dem<lb/>
offenen Gebetbuche in der Hand, solange im Schritt geritten werden mußte,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1885. 80</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0645] Um eine Perle. In Mantua, rief er, erwarte mich in Mcmtnci, Florida Buonaeolsi! Und wenn der heilige Aloysius selbst mir den Weg zu dir verlegen wollte, ich bräche mir Bahn zu dir! Florida war bei dem unehrerbietigem Anrufen des Mautnaner Schutzpatrons erschrocken zusammengefahren. Von Giuseppes Arm umschlungen, begleitete sie ihn bis an die Thür, dann noch in den dunkeln Korridor, dann noch, auf seinen Arm sich kraftlos stützend, die halbe Treppe hinab. Da hieß er sie umkehren. Sie ließ den Kopf hängen. So muß es denn sein! seufzte sie tonlos, indem sie die Augen mit den Händen bedeckte. Trage wenigstens meinen Ring, trage ihn Tag und Nacht, Giuseppe Gonzaga, trage ihn wie ein Stück von mir, und wenn dn betest, drücke ihn, als drücktest du meine Hemd; ich trage den deinen. Am kleinen Finger, klang es zurück — er war schon unten —; das Ring¬ lein ist gar so lieb, ist gar so kinderklein. Und bin ich es nicht etwa auch zu sehr? Du? Wie eine Hcldenjungfran stehst dn vor meinem innern Auge, hast du doch dem Drachen der Leidenschaften in meiner Brust den Giftzahn aus¬ gebrochen. Bester! Einziger! rief sie hinab, die Madonna beschütze dich! Thränen er¬ stickten ihre Stimme. Sie horchte noch vom Korridor ans auf den Klang seiner verhallenden Schritte, tastete sich dann durch das Dunkel ins Zimmer, eilte an das Fenster und riß es auf, um ihm noch in der Straße nachzuwinken. Aber sein Weg ging nicht durch ,diese Straße, und als sie ewig lange Minuten vergebens nach ihm ausgeblickt hatte, ließ sie sich händeringend auf ihr Bett sinken und machte dem überquellenden Drange ihres zum erstenmale vom Pfeil der Liebe getroffenen Herzens in unendlichen Thränenfluten Luft. Neuntes Kapitel. In der Frühe des andern Tages saßen die Buonaeolsis wieder im Sattel, um beim ersten Thoröffnen Verona zu verlassen. Es war ein erquickend frischer Morgen, die Sterne verblaßten eben, im Osten begann das goldne Vorspiel des noch fernen Sonnenaufganges, nichts als der Hufschlag der vier Reitpferde antwortete in den menschenleeren Straßen den vereinzelt sich hervorwagender Vogelstimmen; von weitem klang das Rauschen der Etsch, wie sie über das Wehr zur Seite des Ponte delle Ravi dahin- brauste. Florida, in ihren Neitmantel aus weicher weißer savoischer Wolle gehüllt, den breiten Rand ihres grauen Filzhutes tief in die Stirn gezogen, ritt schwei¬ gend und mit tropfender Wimper zur Seite ihres greise» Vaters, der, mit dem offenen Gebetbuche in der Hand, solange im Schritt geritten werden mußte, Grenzboten I. 1885. 80

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/645
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/645>, abgerufen am 30.04.2024.