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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine Perle.

für sich und die Seinen halblaut das angeblich vom Papste Innocenz dem
Achten selbst verfaßte Reisegebet ablas, dessen neunzehn oder zwanzig Verse so
ziemlich alle dazumal mit einer Reise verbundenen Gefahren aufzählt und bei
jeder dieser Gefahren den Schutzpatron anruft, der zur Abwendung derselben
am geeignetsten ist.

Zuweilen unterbrach der Vater Floridas dies Geschäft, um Gedanken, die
ihm eben durch den Sinn zogen, auszusprechen.

Du sagst, die Musikanten seien sicherlich ganz harmlose Leutchen gewesen,
versetzte er; harmlos ist alles, solange die Gelegenheit zu etwas anderen fehlt.

Und wieder, nach einen: Verse gegen Blitz und Donner: Ich wette, wäre
ich nicht noch wach gewesen, du hättest die halbe Nacht vor dem elenden Ge¬
klimper nicht zur Ruhe kommen können, denn xor Die"! die Männer sind in
Verona ebenso große Narren wie in Mantua, wozu sonst das Gethue um einen
kaum erst flüggen Zeisig wie du?

Und wieder, als er mit dem Schutzpatron gegen Pest und Blattern fertig
war: Ich hatte dir den bewußten Sarkophag der Giulin Cappulletti und ihres
ehrvergessenen Verführers zeigen wollen, aber das Kloster, in dessen Kreuzgange
er steht, ist so zeitig nicht zugänglich; es siud Frauziskcmerinnen in dem Kloster;
xovm-iluz! sie haben die Veroneser Waisenkinder den Tag über zu versorgen;
wir wollen ihnen ihre sauer verdiente Nachtruhe nicht verkürzen.

Und dann nach der Anrufung des Schutzheiligen gegen Beutelschneider,
Wegelagerer und Korsaren: Der Hebräer hat mich arg geschröpft; ich Hütte
mich eines himmlischen Beistandes versichern sollen, ehe ich mich mit ihm ein¬
ließ; aber auf der Reise wird mau im Umsehe" leichtsinnig und läßt den Rosen¬
kranz Rosenkranz sein.

Florida brauchte nicht zu antworten, denn der Alte ging nach jeder solchen
Randglosse wieder zur Fortsetzung des Reisegebets über, und es wäre ihr auch
schier unmöglich gewesen, dem Vater Rede zu stehen. Daß sie ein Geheimnis
vor ihm hatte, und noch dazu ein so zentnerschweres, das allein lastete ja nicht
auf ihr. Weber noch ums Herz war ihr's bei dem Bewußtsein, daß jeder
Schritt ihres Pferdes sie von dem Orte entfernte, wo der Freund ihrer Seele
weilte. Bei ihm, sagte sie sich, in seinen Armen, an seiner Brust, welches Ent¬
zücken! Fern von ihm, welche Öde! Schauder schüttelten sie, so oft sie an
das düstere, kalte Zodiaco-Gäßchen dachte. Nur in Verona schien die Sonne,
sangen die Vögel, dufteten die Blumen, hatten die Glocken einen Klang, der
fröhlich wie Hochzeitslieder tönte. Und nun wollte der Geliebte ihretwegen
sich in Gefahren stürzen, wollte sie erst durch Heldenthaten verdienen, durch
blutige Wagnisse sie erst erringen, sie, das einfältige, unbedeutende Kind, das,
seit er es aus seinen Armen ließ, nicht aufgehört hatte, um ihn zu zittern!
Wozu Heldenthaten! seufzte sie vor sich hin, mochte im Palazzo Dncale oder
im Palazzo del Te doch thronen wer wolle, brauchte es für Florida denn


Um eine Perle.

für sich und die Seinen halblaut das angeblich vom Papste Innocenz dem
Achten selbst verfaßte Reisegebet ablas, dessen neunzehn oder zwanzig Verse so
ziemlich alle dazumal mit einer Reise verbundenen Gefahren aufzählt und bei
jeder dieser Gefahren den Schutzpatron anruft, der zur Abwendung derselben
am geeignetsten ist.

Zuweilen unterbrach der Vater Floridas dies Geschäft, um Gedanken, die
ihm eben durch den Sinn zogen, auszusprechen.

Du sagst, die Musikanten seien sicherlich ganz harmlose Leutchen gewesen,
versetzte er; harmlos ist alles, solange die Gelegenheit zu etwas anderen fehlt.

Und wieder, nach einen: Verse gegen Blitz und Donner: Ich wette, wäre
ich nicht noch wach gewesen, du hättest die halbe Nacht vor dem elenden Ge¬
klimper nicht zur Ruhe kommen können, denn xor Die»! die Männer sind in
Verona ebenso große Narren wie in Mantua, wozu sonst das Gethue um einen
kaum erst flüggen Zeisig wie du?

Und wieder, als er mit dem Schutzpatron gegen Pest und Blattern fertig
war: Ich hatte dir den bewußten Sarkophag der Giulin Cappulletti und ihres
ehrvergessenen Verführers zeigen wollen, aber das Kloster, in dessen Kreuzgange
er steht, ist so zeitig nicht zugänglich; es siud Frauziskcmerinnen in dem Kloster;
xovm-iluz! sie haben die Veroneser Waisenkinder den Tag über zu versorgen;
wir wollen ihnen ihre sauer verdiente Nachtruhe nicht verkürzen.

Und dann nach der Anrufung des Schutzheiligen gegen Beutelschneider,
Wegelagerer und Korsaren: Der Hebräer hat mich arg geschröpft; ich Hütte
mich eines himmlischen Beistandes versichern sollen, ehe ich mich mit ihm ein¬
ließ; aber auf der Reise wird mau im Umsehe» leichtsinnig und läßt den Rosen¬
kranz Rosenkranz sein.

Florida brauchte nicht zu antworten, denn der Alte ging nach jeder solchen
Randglosse wieder zur Fortsetzung des Reisegebets über, und es wäre ihr auch
schier unmöglich gewesen, dem Vater Rede zu stehen. Daß sie ein Geheimnis
vor ihm hatte, und noch dazu ein so zentnerschweres, das allein lastete ja nicht
auf ihr. Weber noch ums Herz war ihr's bei dem Bewußtsein, daß jeder
Schritt ihres Pferdes sie von dem Orte entfernte, wo der Freund ihrer Seele
weilte. Bei ihm, sagte sie sich, in seinen Armen, an seiner Brust, welches Ent¬
zücken! Fern von ihm, welche Öde! Schauder schüttelten sie, so oft sie an
das düstere, kalte Zodiaco-Gäßchen dachte. Nur in Verona schien die Sonne,
sangen die Vögel, dufteten die Blumen, hatten die Glocken einen Klang, der
fröhlich wie Hochzeitslieder tönte. Und nun wollte der Geliebte ihretwegen
sich in Gefahren stürzen, wollte sie erst durch Heldenthaten verdienen, durch
blutige Wagnisse sie erst erringen, sie, das einfältige, unbedeutende Kind, das,
seit er es aus seinen Armen ließ, nicht aufgehört hatte, um ihn zu zittern!
Wozu Heldenthaten! seufzte sie vor sich hin, mochte im Palazzo Dncale oder
im Palazzo del Te doch thronen wer wolle, brauchte es für Florida denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/646>, abgerufen am 21.05.2024.