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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus Österreich.

le erste Periode des ersten österreichischen "Vollparlamentes"
scheint abgeschlossen zu sein; wenn auch der förmliche Schluß
erst nach den Osterferien zu erwarten ist, so nehmen doch die
Organe aller Parteien an, daß eine weitere Thätigkeit diesem
Reichsrate nicht beschieden sein werde, und sie ziehen je nach
ihrem Standpunkte die Bilanz.

Das erste Vollparlamcnt! 1848 und 1861 blieben die Abgeordneten der
italienischen Provinzen von vornherein weg (das Verhältnis zu Ungarn bleibt
hier unberücksichtigt), dann zogen sich die Tschechen zurück und waren die ganze
lange Zeit hindurch nicht zum Wiedereintritt zu bewegen. Graf Taaffe darf
sich mithin rühmen, etwas zuwege gebracht zu haben, was vorher andre ver¬
geblich versucht hatten. Allerdings zahlte er einen hohen Preis, indem er den
Tschechen gestattete, mit einer Verwahrung gegen die Rechtsgiltigkeit der Ver¬
fassung einzutreten. Indessen argumentirten seine Anhänger so: "Lassen wir
ihnen das Vergnügen, thatsächlich erkennen sie die Verfassung ja doch um, und
das ist die Hauptsache. Sitzen die verschiednen Nationalitäten nnr einmal
wieder beisammen, sehen sie, daß jeder von ihnen innerhalb des Rahmens des
Gesamtstaates ihr Recht wird, so gerät der Protest in Vergessenheit." Wie
wenig sich solche Hoffnungen erfüllt haben, ist bekannt. Anstatt sich verständigt
zu haben, stehen die nationalen Parteien heute einander feindseliger gegenüber
als je zuvor, und in den letzten Sitzungen kam eine Erbitterung zum Ausdruck,
die kaum in den Grenzen des parlamentarischen Auslandes zu halten war. Wie
bezeichnend war jene stürmische Szene am 18. März! "Man will uns zu
Heloten des Slawentums machen, man will uns dazu machen, wozu man die
Nuthenen in Galizien und die Italiener in Dalmatien herabgedrückt hat," sagte


Grenzboten II. 1885. 14


Aus Österreich.

le erste Periode des ersten österreichischen „Vollparlamentes"
scheint abgeschlossen zu sein; wenn auch der förmliche Schluß
erst nach den Osterferien zu erwarten ist, so nehmen doch die
Organe aller Parteien an, daß eine weitere Thätigkeit diesem
Reichsrate nicht beschieden sein werde, und sie ziehen je nach
ihrem Standpunkte die Bilanz.

Das erste Vollparlamcnt! 1848 und 1861 blieben die Abgeordneten der
italienischen Provinzen von vornherein weg (das Verhältnis zu Ungarn bleibt
hier unberücksichtigt), dann zogen sich die Tschechen zurück und waren die ganze
lange Zeit hindurch nicht zum Wiedereintritt zu bewegen. Graf Taaffe darf
sich mithin rühmen, etwas zuwege gebracht zu haben, was vorher andre ver¬
geblich versucht hatten. Allerdings zahlte er einen hohen Preis, indem er den
Tschechen gestattete, mit einer Verwahrung gegen die Rechtsgiltigkeit der Ver¬
fassung einzutreten. Indessen argumentirten seine Anhänger so: „Lassen wir
ihnen das Vergnügen, thatsächlich erkennen sie die Verfassung ja doch um, und
das ist die Hauptsache. Sitzen die verschiednen Nationalitäten nnr einmal
wieder beisammen, sehen sie, daß jeder von ihnen innerhalb des Rahmens des
Gesamtstaates ihr Recht wird, so gerät der Protest in Vergessenheit." Wie
wenig sich solche Hoffnungen erfüllt haben, ist bekannt. Anstatt sich verständigt
zu haben, stehen die nationalen Parteien heute einander feindseliger gegenüber
als je zuvor, und in den letzten Sitzungen kam eine Erbitterung zum Ausdruck,
die kaum in den Grenzen des parlamentarischen Auslandes zu halten war. Wie
bezeichnend war jene stürmische Szene am 18. März! „Man will uns zu
Heloten des Slawentums machen, man will uns dazu machen, wozu man die
Nuthenen in Galizien und die Italiener in Dalmatien herabgedrückt hat," sagte


Grenzboten II. 1885. 14
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[0110] [Abbildung] Aus Österreich. le erste Periode des ersten österreichischen „Vollparlamentes" scheint abgeschlossen zu sein; wenn auch der förmliche Schluß erst nach den Osterferien zu erwarten ist, so nehmen doch die Organe aller Parteien an, daß eine weitere Thätigkeit diesem Reichsrate nicht beschieden sein werde, und sie ziehen je nach ihrem Standpunkte die Bilanz. Das erste Vollparlamcnt! 1848 und 1861 blieben die Abgeordneten der italienischen Provinzen von vornherein weg (das Verhältnis zu Ungarn bleibt hier unberücksichtigt), dann zogen sich die Tschechen zurück und waren die ganze lange Zeit hindurch nicht zum Wiedereintritt zu bewegen. Graf Taaffe darf sich mithin rühmen, etwas zuwege gebracht zu haben, was vorher andre ver¬ geblich versucht hatten. Allerdings zahlte er einen hohen Preis, indem er den Tschechen gestattete, mit einer Verwahrung gegen die Rechtsgiltigkeit der Ver¬ fassung einzutreten. Indessen argumentirten seine Anhänger so: „Lassen wir ihnen das Vergnügen, thatsächlich erkennen sie die Verfassung ja doch um, und das ist die Hauptsache. Sitzen die verschiednen Nationalitäten nnr einmal wieder beisammen, sehen sie, daß jeder von ihnen innerhalb des Rahmens des Gesamtstaates ihr Recht wird, so gerät der Protest in Vergessenheit." Wie wenig sich solche Hoffnungen erfüllt haben, ist bekannt. Anstatt sich verständigt zu haben, stehen die nationalen Parteien heute einander feindseliger gegenüber als je zuvor, und in den letzten Sitzungen kam eine Erbitterung zum Ausdruck, die kaum in den Grenzen des parlamentarischen Auslandes zu halten war. Wie bezeichnend war jene stürmische Szene am 18. März! „Man will uns zu Heloten des Slawentums machen, man will uns dazu machen, wozu man die Nuthenen in Galizien und die Italiener in Dalmatien herabgedrückt hat," sagte Grenzboten II. 1885. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/110>, abgerufen am 04.05.2024.