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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Bismarcks Geburtstag in Newyork.

s ist ein höchst charakteristisches Zeichen der Zeit, daß in New-
York der Geburtstag des Fürsten Vismarck spurlos vorüber¬
gegangen ist. In derselben Stunde, wo die Deutschen aus aller
Herren Ländern einig und bestrebt waren, den Erschaffer unsers
Reiches zu ehren, brachte das hervorragendste der Ncwyorker
deutschen Blätter einen mit hämischen Angriffen und Nörgeleien gestopften Ar¬
tikel, der prahlerisch in den Worten gipfelte, daß niemand an diesem Tage in
Newyork es "gewagt" habe, seine Gedanken zu äußern oder mit irgendeiner
Kundgebung vor die Öffentlichkeit zu treten. Es muß, hiernach zu urteilen, in
dem gepriesenen Lande der Freiheit ein außergewöhnlicher Mut dazu gehören,
seine Dankbarkeit zu zeigen, denn wenn irgendein Mann den Deutschamerikanern
Gutes erwiesen hat, so ist es unser Kanzler. Durch schmerzlich lange Jahre
nur eine mißachtete, trotz aller nur zu selbstloser .Hingabe an ihr neues Ge-
meinwesen mit Mißtrauen betrachtete und mit Hohn überschüttete Masse, die
unter den Brutalitäten eines hochfahrenden und dünkelhaften Volkes nach
Existenzberechtigung rang, erhielten die Deutschamerikaner durch den Einiger
Deutschlands mit einem Schlage das, was sie nie genossen und vergebens er¬
sehnt hatten: Achtung und Geltung für ihre Eigenart.

Es ist menschlich, daß die richtige Schätzung dieses Vorganges so bald
vergessen worden ist; ist doch die Geschichte nach dem Ausspruch eines Weisen
nur dazu da, daß man nichts ans ihr lerne. Es ist nutzlos, Worte hierüber
zu verlieren, aber es ist vielleicht angebracht, zu prüfen, aus welchen Gründen
das erwähnte Blatt mit einer so herausfordernden und verletzenden Sprache
gerade in solcher Stunde erschien. Was in aller Welt soll das heißen?

An gewöhnlichen Tagen lediglich damit beschäftigt, ihre Leser über alles,
was in Deutschland vorgeht, möglichst im Unklaren zu halten, ist die "New-
yorker Staatszeitung" nicht nur das am sorgfältigsten redigirte, sondern auch
das gclesenste Ncwyorker Blatt, und nicht nur der Spießbürger, sondern
gezwungenermaßen anch der Gebildete und besser Unterrichtete ist darauf an¬
gewiesen, ans dieser Quelle seine tägliche politische Nahrung zu schöpfen.
Wo nun ein Erfolg unsrer Ncgicnmg zu verzeichnen ist, wird er, wenn es
irgend geht, verschwiegen, andernfalls nach Kräften verkleinert; wo eine Wolle
sich am politischen Horizonte Deutschlands zeigt, wird sie geflissentlich vergrößert;
was sich irgend Gehässiges und Peinliches über unser Leben sagen läßt, wird


Bismarcks Geburtstag in Newyork.

s ist ein höchst charakteristisches Zeichen der Zeit, daß in New-
York der Geburtstag des Fürsten Vismarck spurlos vorüber¬
gegangen ist. In derselben Stunde, wo die Deutschen aus aller
Herren Ländern einig und bestrebt waren, den Erschaffer unsers
Reiches zu ehren, brachte das hervorragendste der Ncwyorker
deutschen Blätter einen mit hämischen Angriffen und Nörgeleien gestopften Ar¬
tikel, der prahlerisch in den Worten gipfelte, daß niemand an diesem Tage in
Newyork es „gewagt" habe, seine Gedanken zu äußern oder mit irgendeiner
Kundgebung vor die Öffentlichkeit zu treten. Es muß, hiernach zu urteilen, in
dem gepriesenen Lande der Freiheit ein außergewöhnlicher Mut dazu gehören,
seine Dankbarkeit zu zeigen, denn wenn irgendein Mann den Deutschamerikanern
Gutes erwiesen hat, so ist es unser Kanzler. Durch schmerzlich lange Jahre
nur eine mißachtete, trotz aller nur zu selbstloser .Hingabe an ihr neues Ge-
meinwesen mit Mißtrauen betrachtete und mit Hohn überschüttete Masse, die
unter den Brutalitäten eines hochfahrenden und dünkelhaften Volkes nach
Existenzberechtigung rang, erhielten die Deutschamerikaner durch den Einiger
Deutschlands mit einem Schlage das, was sie nie genossen und vergebens er¬
sehnt hatten: Achtung und Geltung für ihre Eigenart.

Es ist menschlich, daß die richtige Schätzung dieses Vorganges so bald
vergessen worden ist; ist doch die Geschichte nach dem Ausspruch eines Weisen
nur dazu da, daß man nichts ans ihr lerne. Es ist nutzlos, Worte hierüber
zu verlieren, aber es ist vielleicht angebracht, zu prüfen, aus welchen Gründen
das erwähnte Blatt mit einer so herausfordernden und verletzenden Sprache
gerade in solcher Stunde erschien. Was in aller Welt soll das heißen?

An gewöhnlichen Tagen lediglich damit beschäftigt, ihre Leser über alles,
was in Deutschland vorgeht, möglichst im Unklaren zu halten, ist die „New-
yorker Staatszeitung" nicht nur das am sorgfältigsten redigirte, sondern auch
das gclesenste Ncwyorker Blatt, und nicht nur der Spießbürger, sondern
gezwungenermaßen anch der Gebildete und besser Unterrichtete ist darauf an¬
gewiesen, ans dieser Quelle seine tägliche politische Nahrung zu schöpfen.
Wo nun ein Erfolg unsrer Ncgicnmg zu verzeichnen ist, wird er, wenn es
irgend geht, verschwiegen, andernfalls nach Kräften verkleinert; wo eine Wolle
sich am politischen Horizonte Deutschlands zeigt, wird sie geflissentlich vergrößert;
was sich irgend Gehässiges und Peinliches über unser Leben sagen läßt, wird


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[0261] Bismarcks Geburtstag in Newyork. s ist ein höchst charakteristisches Zeichen der Zeit, daß in New- York der Geburtstag des Fürsten Vismarck spurlos vorüber¬ gegangen ist. In derselben Stunde, wo die Deutschen aus aller Herren Ländern einig und bestrebt waren, den Erschaffer unsers Reiches zu ehren, brachte das hervorragendste der Ncwyorker deutschen Blätter einen mit hämischen Angriffen und Nörgeleien gestopften Ar¬ tikel, der prahlerisch in den Worten gipfelte, daß niemand an diesem Tage in Newyork es „gewagt" habe, seine Gedanken zu äußern oder mit irgendeiner Kundgebung vor die Öffentlichkeit zu treten. Es muß, hiernach zu urteilen, in dem gepriesenen Lande der Freiheit ein außergewöhnlicher Mut dazu gehören, seine Dankbarkeit zu zeigen, denn wenn irgendein Mann den Deutschamerikanern Gutes erwiesen hat, so ist es unser Kanzler. Durch schmerzlich lange Jahre nur eine mißachtete, trotz aller nur zu selbstloser .Hingabe an ihr neues Ge- meinwesen mit Mißtrauen betrachtete und mit Hohn überschüttete Masse, die unter den Brutalitäten eines hochfahrenden und dünkelhaften Volkes nach Existenzberechtigung rang, erhielten die Deutschamerikaner durch den Einiger Deutschlands mit einem Schlage das, was sie nie genossen und vergebens er¬ sehnt hatten: Achtung und Geltung für ihre Eigenart. Es ist menschlich, daß die richtige Schätzung dieses Vorganges so bald vergessen worden ist; ist doch die Geschichte nach dem Ausspruch eines Weisen nur dazu da, daß man nichts ans ihr lerne. Es ist nutzlos, Worte hierüber zu verlieren, aber es ist vielleicht angebracht, zu prüfen, aus welchen Gründen das erwähnte Blatt mit einer so herausfordernden und verletzenden Sprache gerade in solcher Stunde erschien. Was in aller Welt soll das heißen? An gewöhnlichen Tagen lediglich damit beschäftigt, ihre Leser über alles, was in Deutschland vorgeht, möglichst im Unklaren zu halten, ist die „New- yorker Staatszeitung" nicht nur das am sorgfältigsten redigirte, sondern auch das gclesenste Ncwyorker Blatt, und nicht nur der Spießbürger, sondern gezwungenermaßen anch der Gebildete und besser Unterrichtete ist darauf an¬ gewiesen, ans dieser Quelle seine tägliche politische Nahrung zu schöpfen. Wo nun ein Erfolg unsrer Ncgicnmg zu verzeichnen ist, wird er, wenn es irgend geht, verschwiegen, andernfalls nach Kräften verkleinert; wo eine Wolle sich am politischen Horizonte Deutschlands zeigt, wird sie geflissentlich vergrößert; was sich irgend Gehässiges und Peinliches über unser Leben sagen läßt, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/261>, abgerufen am 03.05.2024.