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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.
^, Neue Architektur und Plastik.

in 1. Mai dieses Jahres feierte der Ring sein zwanzigstes Ge-
burtsfest. Der Himmel half ihm ein zu den traurige" Zeitläuften
passendes Kleid anlegen. Der Regen floß reichlich hernieder und
hielt ihm Lärm und Fefttagsgetümmel vom Leibe.

Ein andres Bild bot der l. Mai 1865. Wien war des
engen Panzers, an dem es zu ersticken drohte, endlich ledig geworden, Basteien,
Türme, Gräben und Glacis waren zum großen Teile verschwunden, und über
die an ihrer Stelle neuerstandene, freilich noch gar spärlich mit Häusern be¬
setzte Straße fuhr der Kaiser durch die Reihen der jubelnden Bevölkerung in
den Prater, um dort, althergebrachter Sitte gemäß, das Diner einzunehmen.
Seitdem hat sich auf dem Gürtel zwischen Stadt und Vorstadt fast alles, was
reich und vornehm ist, angesiedelt, ein neues Wien ist hier entstanden, das mit
den Bautraditionen des alten Wiens gebrochen hat. Aber noch mehr: all-
mühlich ist die Ringstraße für den architektonischen Charakter unsrer Stadt
überhaupt bestimmend geworden, mit ihr beginnt gleichsam eine neue Periode
der Wiener Baugeschichte.

Daß keine Stadt etwas der Wiener Ringstraße genau Entsprechendes auf¬
zuweisen hat, scheint man heute wohl allgemein zugeben zu wollen, und kein
Fremder, der -- etwa gegen Abend, wo die Beleuchtung am günstigsten ist --
vom Opernhause an den Burgring hinanfwandelt, wird sich eines tiefen Ein¬
druckes erwehren können. Da zeichnen sich zuerst die ungeheuern Kuppeln des
neuen Museums auf dem purpurnen Himmel ab, dann -- bei einer Biegung
der Straße -- überrascht das Parlamentsgebäude mit seinen edeln Linien, zu¬
letzt öffnet sich ein riesiger Platz, den rechts das gothische Rathaus, links das
Burgtheater, im Hintergrunde das Universitätsgebäude, beide im Nenaissanee-
stil, begrenzen, und aus der Ferne winken die schlanken Thürme der Votiv-
tirche herüber. Staunend wird da jeder Beschauer zugeben, daß nicht leicht
auf einem Fleckchen Erde so viele herrliche Bauwerke so nahe beisammen zu
finden sind.

Ein großartiger Schauplatz also, aber -- es geschieht wenig auf ihm. Der
Verkehr der Ringstraße ist nur stellenweise lebhaft genug, um bei ihrer riesigen
Anlage kein Gefühl der Leere in uns aufkommen zu lassen, sobald der erste
Moment des Staunens vorüber ist. Gerade ans dem weiten Platze vor dem


Unpolitische Briefe aus Wien.
^, Neue Architektur und Plastik.

in 1. Mai dieses Jahres feierte der Ring sein zwanzigstes Ge-
burtsfest. Der Himmel half ihm ein zu den traurige» Zeitläuften
passendes Kleid anlegen. Der Regen floß reichlich hernieder und
hielt ihm Lärm und Fefttagsgetümmel vom Leibe.

Ein andres Bild bot der l. Mai 1865. Wien war des
engen Panzers, an dem es zu ersticken drohte, endlich ledig geworden, Basteien,
Türme, Gräben und Glacis waren zum großen Teile verschwunden, und über
die an ihrer Stelle neuerstandene, freilich noch gar spärlich mit Häusern be¬
setzte Straße fuhr der Kaiser durch die Reihen der jubelnden Bevölkerung in
den Prater, um dort, althergebrachter Sitte gemäß, das Diner einzunehmen.
Seitdem hat sich auf dem Gürtel zwischen Stadt und Vorstadt fast alles, was
reich und vornehm ist, angesiedelt, ein neues Wien ist hier entstanden, das mit
den Bautraditionen des alten Wiens gebrochen hat. Aber noch mehr: all-
mühlich ist die Ringstraße für den architektonischen Charakter unsrer Stadt
überhaupt bestimmend geworden, mit ihr beginnt gleichsam eine neue Periode
der Wiener Baugeschichte.

Daß keine Stadt etwas der Wiener Ringstraße genau Entsprechendes auf¬
zuweisen hat, scheint man heute wohl allgemein zugeben zu wollen, und kein
Fremder, der — etwa gegen Abend, wo die Beleuchtung am günstigsten ist —
vom Opernhause an den Burgring hinanfwandelt, wird sich eines tiefen Ein¬
druckes erwehren können. Da zeichnen sich zuerst die ungeheuern Kuppeln des
neuen Museums auf dem purpurnen Himmel ab, dann — bei einer Biegung
der Straße — überrascht das Parlamentsgebäude mit seinen edeln Linien, zu¬
letzt öffnet sich ein riesiger Platz, den rechts das gothische Rathaus, links das
Burgtheater, im Hintergrunde das Universitätsgebäude, beide im Nenaissanee-
stil, begrenzen, und aus der Ferne winken die schlanken Thürme der Votiv-
tirche herüber. Staunend wird da jeder Beschauer zugeben, daß nicht leicht
auf einem Fleckchen Erde so viele herrliche Bauwerke so nahe beisammen zu
finden sind.

Ein großartiger Schauplatz also, aber — es geschieht wenig auf ihm. Der
Verkehr der Ringstraße ist nur stellenweise lebhaft genug, um bei ihrer riesigen
Anlage kein Gefühl der Leere in uns aufkommen zu lassen, sobald der erste
Moment des Staunens vorüber ist. Gerade ans dem weiten Platze vor dem


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[0363] Unpolitische Briefe aus Wien. ^, Neue Architektur und Plastik. in 1. Mai dieses Jahres feierte der Ring sein zwanzigstes Ge- burtsfest. Der Himmel half ihm ein zu den traurige» Zeitläuften passendes Kleid anlegen. Der Regen floß reichlich hernieder und hielt ihm Lärm und Fefttagsgetümmel vom Leibe. Ein andres Bild bot der l. Mai 1865. Wien war des engen Panzers, an dem es zu ersticken drohte, endlich ledig geworden, Basteien, Türme, Gräben und Glacis waren zum großen Teile verschwunden, und über die an ihrer Stelle neuerstandene, freilich noch gar spärlich mit Häusern be¬ setzte Straße fuhr der Kaiser durch die Reihen der jubelnden Bevölkerung in den Prater, um dort, althergebrachter Sitte gemäß, das Diner einzunehmen. Seitdem hat sich auf dem Gürtel zwischen Stadt und Vorstadt fast alles, was reich und vornehm ist, angesiedelt, ein neues Wien ist hier entstanden, das mit den Bautraditionen des alten Wiens gebrochen hat. Aber noch mehr: all- mühlich ist die Ringstraße für den architektonischen Charakter unsrer Stadt überhaupt bestimmend geworden, mit ihr beginnt gleichsam eine neue Periode der Wiener Baugeschichte. Daß keine Stadt etwas der Wiener Ringstraße genau Entsprechendes auf¬ zuweisen hat, scheint man heute wohl allgemein zugeben zu wollen, und kein Fremder, der — etwa gegen Abend, wo die Beleuchtung am günstigsten ist — vom Opernhause an den Burgring hinanfwandelt, wird sich eines tiefen Ein¬ druckes erwehren können. Da zeichnen sich zuerst die ungeheuern Kuppeln des neuen Museums auf dem purpurnen Himmel ab, dann — bei einer Biegung der Straße — überrascht das Parlamentsgebäude mit seinen edeln Linien, zu¬ letzt öffnet sich ein riesiger Platz, den rechts das gothische Rathaus, links das Burgtheater, im Hintergrunde das Universitätsgebäude, beide im Nenaissanee- stil, begrenzen, und aus der Ferne winken die schlanken Thürme der Votiv- tirche herüber. Staunend wird da jeder Beschauer zugeben, daß nicht leicht auf einem Fleckchen Erde so viele herrliche Bauwerke so nahe beisammen zu finden sind. Ein großartiger Schauplatz also, aber — es geschieht wenig auf ihm. Der Verkehr der Ringstraße ist nur stellenweise lebhaft genug, um bei ihrer riesigen Anlage kein Gefühl der Leere in uns aufkommen zu lassen, sobald der erste Moment des Staunens vorüber ist. Gerade ans dem weiten Platze vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/363>, abgerufen am 30.04.2024.