Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.
^. Die "große Landgräfin."

s ist eine der edelsten Frauencrscheinnngcn der deutschen Geschichte,
der die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. Zwar sind es keine
Großthaten der Politik, durch welche sich Karoline von Hessen
gleich ihren Zeitgenössinnen Maria Theresia von Österreich und
Katharina der Zweiten von Rußland einen Namen in der Ge¬
schichte der Völker erworben hat. Das Land, dem sie an der Seite ihres fürst¬
lichen Gemahls vorstand, war klein und einflußlos in dem vielverschlungnen
Getriebe der Zeitpolitik. Die Bewunderung, welche ihr die Zeitgenossen in einem
seltnen Grade zollten, entsprang durchweg nur dem Eindrucke, welchen ihr ganzes
Denken, Fühlen und Handeln auf alle machte, denen es vergönnt war, in ihrer
Umgebung zu leben und sie in den vielfachen schwierigen Lagen, in welche sie
ihre Stellung im Leben brachte, zu beobachten. Wer möchte leugnen, daß dieser
Nuhm der weniger vergängliche ist? Nicht selten schwinden auch die glänzendsten
äußeren Erfolge vor dem unparteiisch prüfenden Blick der Nachwelt auf ein
bescheidnes Maß zusammen, aber für alle Zeiten unverrückt bleibt das Bild der
großen und edeln Seele, welches von den Besten seiner Zeit erkannt und für
dus Gedächtnis der späteren Geschlechter festgehalten worden ist. Eine solche
Erscheinung war die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt. Die "große
Landgräfin" nennen sie Goethe und Herder, und Friedrich der Große bezeichnet
sie als die "Zierde des Jahrhunderts."

Meine vorzüglichste Quelle für die nachfolgende Darstellung ist der Brief¬
wechsel der Fürstin. Die Landgräfin korrespondirte viel, denn sie war der
Sprache und des Ausdruckes mächtig wie wenige Frauen; sie korrespondirte
nach alleu Seiten hin, weil es ihr ein Bedürfnis war, ihren warmen Gefühlen
für andre Ausdruck zu verleihen. Sie hatte die Gewohnheit, an jedem Tage
nach der Tafel einige Stunden zu schreiben, obgleich ihr dies als ihre Ge¬
sundheit schädigend von den Ärzten widerraten worden war. Wie groß ihre
Korrespondenz war, ersieht man daraus, daß sie an ihren Gemahl, von dem sie
allerdings, wie wir sehen werden, einen großen Teil ihres ehelichen Lebens
hindurch getrennt leben mußte, nicht weniger als 2555 Briefe geschrieben hat.
Ähnlich zahlreich sind ihre Briefe an ihren Schwiegervater, an ihre Freundin
und Schwägerin, die Markgräfin Kcirolinc von Baden, an ihre Mutter, an
Friedrich den Großen, an die Prinzessin Amalie und den Prinzen Heinrich von
Preußen, an C. F. von Moser, an den Encyklopädisten Grimm und andre mehr.
Diese ganze Korrespondenz findet sich im Darmstädter Hausarchiv, teils in den


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.
^. Die „große Landgräfin."

s ist eine der edelsten Frauencrscheinnngcn der deutschen Geschichte,
der die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. Zwar sind es keine
Großthaten der Politik, durch welche sich Karoline von Hessen
gleich ihren Zeitgenössinnen Maria Theresia von Österreich und
Katharina der Zweiten von Rußland einen Namen in der Ge¬
schichte der Völker erworben hat. Das Land, dem sie an der Seite ihres fürst¬
lichen Gemahls vorstand, war klein und einflußlos in dem vielverschlungnen
Getriebe der Zeitpolitik. Die Bewunderung, welche ihr die Zeitgenossen in einem
seltnen Grade zollten, entsprang durchweg nur dem Eindrucke, welchen ihr ganzes
Denken, Fühlen und Handeln auf alle machte, denen es vergönnt war, in ihrer
Umgebung zu leben und sie in den vielfachen schwierigen Lagen, in welche sie
ihre Stellung im Leben brachte, zu beobachten. Wer möchte leugnen, daß dieser
Nuhm der weniger vergängliche ist? Nicht selten schwinden auch die glänzendsten
äußeren Erfolge vor dem unparteiisch prüfenden Blick der Nachwelt auf ein
bescheidnes Maß zusammen, aber für alle Zeiten unverrückt bleibt das Bild der
großen und edeln Seele, welches von den Besten seiner Zeit erkannt und für
dus Gedächtnis der späteren Geschlechter festgehalten worden ist. Eine solche
Erscheinung war die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt. Die „große
Landgräfin" nennen sie Goethe und Herder, und Friedrich der Große bezeichnet
sie als die „Zierde des Jahrhunderts."

Meine vorzüglichste Quelle für die nachfolgende Darstellung ist der Brief¬
wechsel der Fürstin. Die Landgräfin korrespondirte viel, denn sie war der
Sprache und des Ausdruckes mächtig wie wenige Frauen; sie korrespondirte
nach alleu Seiten hin, weil es ihr ein Bedürfnis war, ihren warmen Gefühlen
für andre Ausdruck zu verleihen. Sie hatte die Gewohnheit, an jedem Tage
nach der Tafel einige Stunden zu schreiben, obgleich ihr dies als ihre Ge¬
sundheit schädigend von den Ärzten widerraten worden war. Wie groß ihre
Korrespondenz war, ersieht man daraus, daß sie an ihren Gemahl, von dem sie
allerdings, wie wir sehen werden, einen großen Teil ihres ehelichen Lebens
hindurch getrennt leben mußte, nicht weniger als 2555 Briefe geschrieben hat.
Ähnlich zahlreich sind ihre Briefe an ihren Schwiegervater, an ihre Freundin
und Schwägerin, die Markgräfin Kcirolinc von Baden, an ihre Mutter, an
Friedrich den Großen, an die Prinzessin Amalie und den Prinzen Heinrich von
Preußen, an C. F. von Moser, an den Encyklopädisten Grimm und andre mehr.
Diese ganze Korrespondenz findet sich im Darmstädter Hausarchiv, teils in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196556"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.<lb/>
^. Die &#x201E;große Landgräfin." </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1788"> s ist eine der edelsten Frauencrscheinnngcn der deutschen Geschichte,<lb/>
der die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. Zwar sind es keine<lb/>
Großthaten der Politik, durch welche sich Karoline von Hessen<lb/>
gleich ihren Zeitgenössinnen Maria Theresia von Österreich und<lb/>
Katharina der Zweiten von Rußland einen Namen in der Ge¬<lb/>
schichte der Völker erworben hat. Das Land, dem sie an der Seite ihres fürst¬<lb/>
lichen Gemahls vorstand, war klein und einflußlos in dem vielverschlungnen<lb/>
Getriebe der Zeitpolitik. Die Bewunderung, welche ihr die Zeitgenossen in einem<lb/>
seltnen Grade zollten, entsprang durchweg nur dem Eindrucke, welchen ihr ganzes<lb/>
Denken, Fühlen und Handeln auf alle machte, denen es vergönnt war, in ihrer<lb/>
Umgebung zu leben und sie in den vielfachen schwierigen Lagen, in welche sie<lb/>
ihre Stellung im Leben brachte, zu beobachten. Wer möchte leugnen, daß dieser<lb/>
Nuhm der weniger vergängliche ist? Nicht selten schwinden auch die glänzendsten<lb/>
äußeren Erfolge vor dem unparteiisch prüfenden Blick der Nachwelt auf ein<lb/>
bescheidnes Maß zusammen, aber für alle Zeiten unverrückt bleibt das Bild der<lb/>
großen und edeln Seele, welches von den Besten seiner Zeit erkannt und für<lb/>
dus Gedächtnis der späteren Geschlechter festgehalten worden ist. Eine solche<lb/>
Erscheinung war die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt. Die &#x201E;große<lb/>
Landgräfin" nennen sie Goethe und Herder, und Friedrich der Große bezeichnet<lb/>
sie als die &#x201E;Zierde des Jahrhunderts."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1789" next="#ID_1790"> Meine vorzüglichste Quelle für die nachfolgende Darstellung ist der Brief¬<lb/>
wechsel der Fürstin. Die Landgräfin korrespondirte viel, denn sie war der<lb/>
Sprache und des Ausdruckes mächtig wie wenige Frauen; sie korrespondirte<lb/>
nach alleu Seiten hin, weil es ihr ein Bedürfnis war, ihren warmen Gefühlen<lb/>
für andre Ausdruck zu verleihen. Sie hatte die Gewohnheit, an jedem Tage<lb/>
nach der Tafel einige Stunden zu schreiben, obgleich ihr dies als ihre Ge¬<lb/>
sundheit schädigend von den Ärzten widerraten worden war. Wie groß ihre<lb/>
Korrespondenz war, ersieht man daraus, daß sie an ihren Gemahl, von dem sie<lb/>
allerdings, wie wir sehen werden, einen großen Teil ihres ehelichen Lebens<lb/>
hindurch getrennt leben mußte, nicht weniger als 2555 Briefe geschrieben hat.<lb/>
Ähnlich zahlreich sind ihre Briefe an ihren Schwiegervater, an ihre Freundin<lb/>
und Schwägerin, die Markgräfin Kcirolinc von Baden, an ihre Mutter, an<lb/>
Friedrich den Großen, an die Prinzessin Amalie und den Prinzen Heinrich von<lb/>
Preußen, an C. F. von Moser, an den Encyklopädisten Grimm und andre mehr.<lb/>
Diese ganze Korrespondenz findet sich im Darmstädter Hausarchiv, teils in den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0456] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. ^. Die „große Landgräfin." s ist eine der edelsten Frauencrscheinnngcn der deutschen Geschichte, der die nachfolgenden Blätter gewidmet sind. Zwar sind es keine Großthaten der Politik, durch welche sich Karoline von Hessen gleich ihren Zeitgenössinnen Maria Theresia von Österreich und Katharina der Zweiten von Rußland einen Namen in der Ge¬ schichte der Völker erworben hat. Das Land, dem sie an der Seite ihres fürst¬ lichen Gemahls vorstand, war klein und einflußlos in dem vielverschlungnen Getriebe der Zeitpolitik. Die Bewunderung, welche ihr die Zeitgenossen in einem seltnen Grade zollten, entsprang durchweg nur dem Eindrucke, welchen ihr ganzes Denken, Fühlen und Handeln auf alle machte, denen es vergönnt war, in ihrer Umgebung zu leben und sie in den vielfachen schwierigen Lagen, in welche sie ihre Stellung im Leben brachte, zu beobachten. Wer möchte leugnen, daß dieser Nuhm der weniger vergängliche ist? Nicht selten schwinden auch die glänzendsten äußeren Erfolge vor dem unparteiisch prüfenden Blick der Nachwelt auf ein bescheidnes Maß zusammen, aber für alle Zeiten unverrückt bleibt das Bild der großen und edeln Seele, welches von den Besten seiner Zeit erkannt und für dus Gedächtnis der späteren Geschlechter festgehalten worden ist. Eine solche Erscheinung war die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt. Die „große Landgräfin" nennen sie Goethe und Herder, und Friedrich der Große bezeichnet sie als die „Zierde des Jahrhunderts." Meine vorzüglichste Quelle für die nachfolgende Darstellung ist der Brief¬ wechsel der Fürstin. Die Landgräfin korrespondirte viel, denn sie war der Sprache und des Ausdruckes mächtig wie wenige Frauen; sie korrespondirte nach alleu Seiten hin, weil es ihr ein Bedürfnis war, ihren warmen Gefühlen für andre Ausdruck zu verleihen. Sie hatte die Gewohnheit, an jedem Tage nach der Tafel einige Stunden zu schreiben, obgleich ihr dies als ihre Ge¬ sundheit schädigend von den Ärzten widerraten worden war. Wie groß ihre Korrespondenz war, ersieht man daraus, daß sie an ihren Gemahl, von dem sie allerdings, wie wir sehen werden, einen großen Teil ihres ehelichen Lebens hindurch getrennt leben mußte, nicht weniger als 2555 Briefe geschrieben hat. Ähnlich zahlreich sind ihre Briefe an ihren Schwiegervater, an ihre Freundin und Schwägerin, die Markgräfin Kcirolinc von Baden, an ihre Mutter, an Friedrich den Großen, an die Prinzessin Amalie und den Prinzen Heinrich von Preußen, an C. F. von Moser, an den Encyklopädisten Grimm und andre mehr. Diese ganze Korrespondenz findet sich im Darmstädter Hausarchiv, teils in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/456
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/456>, abgerufen am 30.04.2024.