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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

nach der Hofsitte nach dem Tode der Laiidgräfin zurückgegebnen Originalen, teils
in Abschriften vor. Die Briefe an die Landgräfin sind nur zu einem kleinen
Teile noch vorhanden, da, ihrem letzten Willen zufolge, alle Briefe, welche nicht
auf Staatsverhältnisse sich bezogen, mit Ausnahme derer Friedrichs des Großen,
der Kaiserin Katharina von Rußland, des Großfürsten Paul und der Gro߬
fürstin Natalie verbrannt werden mußten.

Die nachmalige Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt*) war die Tochter
des Herzogs Christian des Dritten von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld und wurde
um 9. März 1721 geboren. Früh schon starb der Vater, nachdem er kaum die
Negierung des kleinen Landes angetreten hatte. Wie so häufig große Menschen
das Beste und Eigenste ihres Wesens ihren Müttern verdanken, so darf auch
bei Karoline von Hessen die spätere Entfaltung der herrlichsten Eigenschaften
des Geistes und Herzens auf Rechnung der ihr durch ihre hochgebildete Mutter,
eine geborne Prinzessin von Nassau-Saarbrücken, gewordnen trefflichen Erziehung
gesetzt werden. Mit rührender kindlicher Liebe hat denn auch die dankbare
Tochter an der Mutter gehangen. In jedem ihrer zahlreichen Briefe an dieselbe
leiht sie diesem Gefühle den innigsten Ausdruck. Nur eine einzige von den vielen
Stellen ihrer Briefe, die von diesem kindlich dankbaren Gefühle Zeugnis geben,
sei hier als Beispiel angeführt. Ich entnehme sie dem Briefe, den sie an die
Mutter schrieb, als diese noch einmal nach Darmstadt gekommen war, um die
Tochter und die Enkelinnen vor deren Abreise nach Se. Petersburg zu sehen.
Da schreibt sie: "Ich hörte dich gestern morgens wegfahren, meine liebe und
angebetete Mutter; ich war um fünf Uhr erwacht; Gott weiß, wie ich gelitten
habe, als ich den Wagen wegfahren hörte; ich ließ mich in meinem Bette auf
die Kniee nieder und bat Gott, daß er mir die Gnade gewähren möchte, dich
in Gesundheit wiederzusehen; dann ließ ich meinen Thränen freien Lauf, die
mich seit zwei Tagen schwer gepreßt hatten. Gott erhalte dich! ist mein höchster
Wunsch, tausendmal und abertausendmal Dank für alle die Beweise der Liebe,
die du mir im Leben gegeben hast. Beraube mich dieser Liebe niemals, ihr
Verlust würde mich töten. Du bist das Glück deiner Kinder und Enkel, dir
verdanken wir alles." Dasselbe innige Gefühl spricht sich auch in den andern
an die Mutter gerichteten Briefen aus, und man darf sagen, daß selten zwei
Menschen mit gleich inniger Liebe aneinander gehangen haben, wie diese zwei fürst¬
lichen Frauen, welche der Tod fast an demselben Tage von dieser Welt abrief.

Am 20. August 1741 vermählte sich Karoline mit dem Erbprinzen Ludwig
von Hessen-Darmstadt, der zugleich von seinem Großvater mütterlicherseits Herr
der linksrheinischen, unter französischer Oberhoheit stehenden Grafschaft Hanau
war. Die erste Zeit ihrer Ehe verlebten die jungen Gatten in Buxweiler, der
Hauptstadt der genannten Herrschaft. Doch litt es den Erbprinzen, der ein



Sie ist die gemeinsame Urgroßmutter des deutschen Kmserpcmrcs.
Grenzboten III. 1885. 57
Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

nach der Hofsitte nach dem Tode der Laiidgräfin zurückgegebnen Originalen, teils
in Abschriften vor. Die Briefe an die Landgräfin sind nur zu einem kleinen
Teile noch vorhanden, da, ihrem letzten Willen zufolge, alle Briefe, welche nicht
auf Staatsverhältnisse sich bezogen, mit Ausnahme derer Friedrichs des Großen,
der Kaiserin Katharina von Rußland, des Großfürsten Paul und der Gro߬
fürstin Natalie verbrannt werden mußten.

Die nachmalige Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt*) war die Tochter
des Herzogs Christian des Dritten von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld und wurde
um 9. März 1721 geboren. Früh schon starb der Vater, nachdem er kaum die
Negierung des kleinen Landes angetreten hatte. Wie so häufig große Menschen
das Beste und Eigenste ihres Wesens ihren Müttern verdanken, so darf auch
bei Karoline von Hessen die spätere Entfaltung der herrlichsten Eigenschaften
des Geistes und Herzens auf Rechnung der ihr durch ihre hochgebildete Mutter,
eine geborne Prinzessin von Nassau-Saarbrücken, gewordnen trefflichen Erziehung
gesetzt werden. Mit rührender kindlicher Liebe hat denn auch die dankbare
Tochter an der Mutter gehangen. In jedem ihrer zahlreichen Briefe an dieselbe
leiht sie diesem Gefühle den innigsten Ausdruck. Nur eine einzige von den vielen
Stellen ihrer Briefe, die von diesem kindlich dankbaren Gefühle Zeugnis geben,
sei hier als Beispiel angeführt. Ich entnehme sie dem Briefe, den sie an die
Mutter schrieb, als diese noch einmal nach Darmstadt gekommen war, um die
Tochter und die Enkelinnen vor deren Abreise nach Se. Petersburg zu sehen.
Da schreibt sie: „Ich hörte dich gestern morgens wegfahren, meine liebe und
angebetete Mutter; ich war um fünf Uhr erwacht; Gott weiß, wie ich gelitten
habe, als ich den Wagen wegfahren hörte; ich ließ mich in meinem Bette auf
die Kniee nieder und bat Gott, daß er mir die Gnade gewähren möchte, dich
in Gesundheit wiederzusehen; dann ließ ich meinen Thränen freien Lauf, die
mich seit zwei Tagen schwer gepreßt hatten. Gott erhalte dich! ist mein höchster
Wunsch, tausendmal und abertausendmal Dank für alle die Beweise der Liebe,
die du mir im Leben gegeben hast. Beraube mich dieser Liebe niemals, ihr
Verlust würde mich töten. Du bist das Glück deiner Kinder und Enkel, dir
verdanken wir alles." Dasselbe innige Gefühl spricht sich auch in den andern
an die Mutter gerichteten Briefen aus, und man darf sagen, daß selten zwei
Menschen mit gleich inniger Liebe aneinander gehangen haben, wie diese zwei fürst¬
lichen Frauen, welche der Tod fast an demselben Tage von dieser Welt abrief.

Am 20. August 1741 vermählte sich Karoline mit dem Erbprinzen Ludwig
von Hessen-Darmstadt, der zugleich von seinem Großvater mütterlicherseits Herr
der linksrheinischen, unter französischer Oberhoheit stehenden Grafschaft Hanau
war. Die erste Zeit ihrer Ehe verlebten die jungen Gatten in Buxweiler, der
Hauptstadt der genannten Herrschaft. Doch litt es den Erbprinzen, der ein



Sie ist die gemeinsame Urgroßmutter des deutschen Kmserpcmrcs.
Grenzboten III. 1885. 57
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[0457] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. nach der Hofsitte nach dem Tode der Laiidgräfin zurückgegebnen Originalen, teils in Abschriften vor. Die Briefe an die Landgräfin sind nur zu einem kleinen Teile noch vorhanden, da, ihrem letzten Willen zufolge, alle Briefe, welche nicht auf Staatsverhältnisse sich bezogen, mit Ausnahme derer Friedrichs des Großen, der Kaiserin Katharina von Rußland, des Großfürsten Paul und der Gro߬ fürstin Natalie verbrannt werden mußten. Die nachmalige Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt*) war die Tochter des Herzogs Christian des Dritten von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld und wurde um 9. März 1721 geboren. Früh schon starb der Vater, nachdem er kaum die Negierung des kleinen Landes angetreten hatte. Wie so häufig große Menschen das Beste und Eigenste ihres Wesens ihren Müttern verdanken, so darf auch bei Karoline von Hessen die spätere Entfaltung der herrlichsten Eigenschaften des Geistes und Herzens auf Rechnung der ihr durch ihre hochgebildete Mutter, eine geborne Prinzessin von Nassau-Saarbrücken, gewordnen trefflichen Erziehung gesetzt werden. Mit rührender kindlicher Liebe hat denn auch die dankbare Tochter an der Mutter gehangen. In jedem ihrer zahlreichen Briefe an dieselbe leiht sie diesem Gefühle den innigsten Ausdruck. Nur eine einzige von den vielen Stellen ihrer Briefe, die von diesem kindlich dankbaren Gefühle Zeugnis geben, sei hier als Beispiel angeführt. Ich entnehme sie dem Briefe, den sie an die Mutter schrieb, als diese noch einmal nach Darmstadt gekommen war, um die Tochter und die Enkelinnen vor deren Abreise nach Se. Petersburg zu sehen. Da schreibt sie: „Ich hörte dich gestern morgens wegfahren, meine liebe und angebetete Mutter; ich war um fünf Uhr erwacht; Gott weiß, wie ich gelitten habe, als ich den Wagen wegfahren hörte; ich ließ mich in meinem Bette auf die Kniee nieder und bat Gott, daß er mir die Gnade gewähren möchte, dich in Gesundheit wiederzusehen; dann ließ ich meinen Thränen freien Lauf, die mich seit zwei Tagen schwer gepreßt hatten. Gott erhalte dich! ist mein höchster Wunsch, tausendmal und abertausendmal Dank für alle die Beweise der Liebe, die du mir im Leben gegeben hast. Beraube mich dieser Liebe niemals, ihr Verlust würde mich töten. Du bist das Glück deiner Kinder und Enkel, dir verdanken wir alles." Dasselbe innige Gefühl spricht sich auch in den andern an die Mutter gerichteten Briefen aus, und man darf sagen, daß selten zwei Menschen mit gleich inniger Liebe aneinander gehangen haben, wie diese zwei fürst¬ lichen Frauen, welche der Tod fast an demselben Tage von dieser Welt abrief. Am 20. August 1741 vermählte sich Karoline mit dem Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt, der zugleich von seinem Großvater mütterlicherseits Herr der linksrheinischen, unter französischer Oberhoheit stehenden Grafschaft Hanau war. Die erste Zeit ihrer Ehe verlebten die jungen Gatten in Buxweiler, der Hauptstadt der genannten Herrschaft. Doch litt es den Erbprinzen, der ein Sie ist die gemeinsame Urgroßmutter des deutschen Kmserpcmrcs. Grenzboten III. 1885. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/457>, abgerufen am 21.05.2024.