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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Ministerwechsel in London.

n der letztvergangenen Woche hat sich in England eine Thatsache
vollzogen, die man dort und in ganz Europa kurz vorher noch
nahezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte, und die in Wirk¬
lichkeit einen schwer erfochtenen Sieg einschließt. Volle vierzehn
Tage dauerte die Krisis, durch welche die Regierung des bri¬
tischen Reiches aus den Händen der liberalen Partei in die der konservativen
oder richtiger, da auch die Sieger in gewissem Maße liberalen Grundsätzen
folgen werden, ans den Händen der mit Radikalen verbundenen Whigs in die
der Tories überging. Es war ein langsames Sterben und eine schwere Ge¬
burt, es war in andrer Auffassung ein sehr interessantes, sehr charakteristisches
konstitutionelles Schachspiel, bei welchem den Tories das Gewinnen dadurch er¬
leichtert wurde, daß sie zuletzt unter ihren Figuren eine Königin behielten.
Nachdem Gladstone in einer nicht sehr bedeutenden Bndgetfrage in der Mino¬
rität geblieben war, gaben er und seine Kollegen ihr Entlassungsgesuch ein,
und Salisburh begann die Bildung eines neuen Kabinets. Er unternahm dies
mit der Voraussetzung, daß ihm die Führer der Liberalen im Unterhause bei
Erledigung der laufenden Geschäfte während des Nestes der parlamentarischen
Session keine Schwierigkeiten bereiten würden. Am 18. Juni wurde ein dahin¬
gehendes Verlangen an dieselben gestellt. Es schloß keine Unterstützung der
Beschlüsse des im Entstehen begriffenen Ministeriums in auswärtigen Fragen
oder in Betreff neuer legislativer Borlagen ein. Es wurde nur gefordert, daß
der Negierung bei der Abwicklung der dringenden Geschäfte der gegenwärtigen
Session keine Opposition gemacht werde, welche ihr Ansehen im Lande unter¬
graben könne. Nach Empfang dieser Mitteilung beriet sich Gladstone mit seinen
bisherigen Amtsgenossen, und man kam zu dem Beschlusse, zu erklären, daß


Grenzboten III. 1836. 1


Der Ministerwechsel in London.

n der letztvergangenen Woche hat sich in England eine Thatsache
vollzogen, die man dort und in ganz Europa kurz vorher noch
nahezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte, und die in Wirk¬
lichkeit einen schwer erfochtenen Sieg einschließt. Volle vierzehn
Tage dauerte die Krisis, durch welche die Regierung des bri¬
tischen Reiches aus den Händen der liberalen Partei in die der konservativen
oder richtiger, da auch die Sieger in gewissem Maße liberalen Grundsätzen
folgen werden, ans den Händen der mit Radikalen verbundenen Whigs in die
der Tories überging. Es war ein langsames Sterben und eine schwere Ge¬
burt, es war in andrer Auffassung ein sehr interessantes, sehr charakteristisches
konstitutionelles Schachspiel, bei welchem den Tories das Gewinnen dadurch er¬
leichtert wurde, daß sie zuletzt unter ihren Figuren eine Königin behielten.
Nachdem Gladstone in einer nicht sehr bedeutenden Bndgetfrage in der Mino¬
rität geblieben war, gaben er und seine Kollegen ihr Entlassungsgesuch ein,
und Salisburh begann die Bildung eines neuen Kabinets. Er unternahm dies
mit der Voraussetzung, daß ihm die Führer der Liberalen im Unterhause bei
Erledigung der laufenden Geschäfte während des Nestes der parlamentarischen
Session keine Schwierigkeiten bereiten würden. Am 18. Juni wurde ein dahin¬
gehendes Verlangen an dieselben gestellt. Es schloß keine Unterstützung der
Beschlüsse des im Entstehen begriffenen Ministeriums in auswärtigen Fragen
oder in Betreff neuer legislativer Borlagen ein. Es wurde nur gefordert, daß
der Negierung bei der Abwicklung der dringenden Geschäfte der gegenwärtigen
Session keine Opposition gemacht werde, welche ihr Ansehen im Lande unter¬
graben könne. Nach Empfang dieser Mitteilung beriet sich Gladstone mit seinen
bisherigen Amtsgenossen, und man kam zu dem Beschlusse, zu erklären, daß


Grenzboten III. 1836. 1
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[0009] [Abbildung] Der Ministerwechsel in London. n der letztvergangenen Woche hat sich in England eine Thatsache vollzogen, die man dort und in ganz Europa kurz vorher noch nahezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte, und die in Wirk¬ lichkeit einen schwer erfochtenen Sieg einschließt. Volle vierzehn Tage dauerte die Krisis, durch welche die Regierung des bri¬ tischen Reiches aus den Händen der liberalen Partei in die der konservativen oder richtiger, da auch die Sieger in gewissem Maße liberalen Grundsätzen folgen werden, ans den Händen der mit Radikalen verbundenen Whigs in die der Tories überging. Es war ein langsames Sterben und eine schwere Ge¬ burt, es war in andrer Auffassung ein sehr interessantes, sehr charakteristisches konstitutionelles Schachspiel, bei welchem den Tories das Gewinnen dadurch er¬ leichtert wurde, daß sie zuletzt unter ihren Figuren eine Königin behielten. Nachdem Gladstone in einer nicht sehr bedeutenden Bndgetfrage in der Mino¬ rität geblieben war, gaben er und seine Kollegen ihr Entlassungsgesuch ein, und Salisburh begann die Bildung eines neuen Kabinets. Er unternahm dies mit der Voraussetzung, daß ihm die Führer der Liberalen im Unterhause bei Erledigung der laufenden Geschäfte während des Nestes der parlamentarischen Session keine Schwierigkeiten bereiten würden. Am 18. Juni wurde ein dahin¬ gehendes Verlangen an dieselben gestellt. Es schloß keine Unterstützung der Beschlüsse des im Entstehen begriffenen Ministeriums in auswärtigen Fragen oder in Betreff neuer legislativer Borlagen ein. Es wurde nur gefordert, daß der Negierung bei der Abwicklung der dringenden Geschäfte der gegenwärtigen Session keine Opposition gemacht werde, welche ihr Ansehen im Lande unter¬ graben könne. Nach Empfang dieser Mitteilung beriet sich Gladstone mit seinen bisherigen Amtsgenossen, und man kam zu dem Beschlusse, zu erklären, daß Grenzboten III. 1836. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/9>, abgerufen am 30.04.2024.