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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Ministermüchsel in London.

man den Führern der Tories nicht mehr als die allgemeine Versicherung er¬
teilen könne, man werde, soweit man Einfluß habe, den Nachfolgern die Ab¬
wicklung der Sessiousgeschüfte weder durch faktiöse Opposition noch (in der
Weise der Parnelliten) dnrch Obstruktion das Regieren erschweren. Dieser Be¬
scheid befriedigte im Lager der Konservativen nicht, in der Bildung des
Kabinets trat eine Pause ein, und es erschien einige Tage möglich, daß die Li¬
beralen ans Ruder zurückkehrte". Indes setzte Marquis Salisbury die Unter¬
handlungen fort, und zuletzt hatte er damit Erfolg, indem mit Gladstone ein
nwÄu8 vivonäi, vereinbart wurde, welcher befriedigte. Am 24. fand unter Vor¬
sitz der Königin in Windsor ein Kabinetsrat statt, in welcher die bisherigen
Minister der Souveräuiu die Siegel der von ihnen innegehabten Departe¬
ments überreichten, die sodann den neuen Ministern übergeben wurden. Was
die nähern Umstände bei den Verhandlungen zwischen den Parteiführern be¬
trifft, so erklärte Salisbury im Oberhause, daß er anfänglich im Hinblick auf
die abnormen, durch die Gladstonesche Wahlreformbill geschaffenen Verhältnisse
der Königin geraten habe, die Demission der liberalen Minister zu verweigern.
Indes habe Gladstone telegraphisch die Möglichkeit, sein EutlassungSgesnch zurück¬
zunehmen, entschieden in Abrede gestellt, und so sei es nötig geworden, über
die parlamentarische Lage eine Verständigung herbeizuführen. Gladstone habe
zwar spezielle Zusagen verweigert, in einem letzten Briefe aber doch genauere
Versicherungen erteilt, welche der Königin billig und befriedigend erschienen seien,
und da dieselbe zugleich eindringlich auf die Nachteile aufmerksam gemacht habe,
welche sich aus lciugerer Verzögerung für den Staatsdienst ergeben müßten, so
habe man sich nicht länger bedenken dürfen, die Regierung zu übernehmen.
Über die Politik, welche das neue Kabinet befolgen werde, behielt er sich eine
Erklärung vor, und in bezug auf die Prophezeiung einiger Politiker, dasselbe
werde sich nicht lange behaupten können, bemerkte er, man möge sich erinnern,
daß frühere Regierungen, denen man gleichfalls eine kurze Amtsdauer voraus¬
gesagt habe, später nenn oder zehn Jahre am Ruder geblieben seien.

Das neue Ministerium ist im ganzen wohlgewählt. Der Chef desselben,
der zugleich die auswärtigen Angelegenheiten übernommen hat, Marquis von
Salisbury, ragt zunächst durch alten Adel und großen Reichtum hervor, und
seine parlamentarische und diplomatische Vergangenheit sichern ihm ein bedeu¬
tendes Ansehen. Er hat als Lord Cecil und Viscount Cranborne viele Jahre
im Unterhause gesessen und sich dabei, sowie als Mitglied des Kabinets Derby,
das er 1867 verließ, weil Disraelis Refvrmplüne ihm zu weit gingen, als
strenger Tory erwiesen. Als Diplomat machte er sich zunächst 1876 auf der
Konferenz zu Konstantinopel einen Namen, der in den Ohren der Türken keinen
wohlthuenden Klang hatte. Dann erschien er neben Veacvnsfield auf dem Ber¬
liner Kongresse, wo er am 28. Juni 1878 den Antrag auf Besetzung und Ver¬
waltung Bosniens und der Herzegowina durch die Österreicher stellte und be-


Der Ministermüchsel in London.

man den Führern der Tories nicht mehr als die allgemeine Versicherung er¬
teilen könne, man werde, soweit man Einfluß habe, den Nachfolgern die Ab¬
wicklung der Sessiousgeschüfte weder durch faktiöse Opposition noch (in der
Weise der Parnelliten) dnrch Obstruktion das Regieren erschweren. Dieser Be¬
scheid befriedigte im Lager der Konservativen nicht, in der Bildung des
Kabinets trat eine Pause ein, und es erschien einige Tage möglich, daß die Li¬
beralen ans Ruder zurückkehrte». Indes setzte Marquis Salisbury die Unter¬
handlungen fort, und zuletzt hatte er damit Erfolg, indem mit Gladstone ein
nwÄu8 vivonäi, vereinbart wurde, welcher befriedigte. Am 24. fand unter Vor¬
sitz der Königin in Windsor ein Kabinetsrat statt, in welcher die bisherigen
Minister der Souveräuiu die Siegel der von ihnen innegehabten Departe¬
ments überreichten, die sodann den neuen Ministern übergeben wurden. Was
die nähern Umstände bei den Verhandlungen zwischen den Parteiführern be¬
trifft, so erklärte Salisbury im Oberhause, daß er anfänglich im Hinblick auf
die abnormen, durch die Gladstonesche Wahlreformbill geschaffenen Verhältnisse
der Königin geraten habe, die Demission der liberalen Minister zu verweigern.
Indes habe Gladstone telegraphisch die Möglichkeit, sein EutlassungSgesnch zurück¬
zunehmen, entschieden in Abrede gestellt, und so sei es nötig geworden, über
die parlamentarische Lage eine Verständigung herbeizuführen. Gladstone habe
zwar spezielle Zusagen verweigert, in einem letzten Briefe aber doch genauere
Versicherungen erteilt, welche der Königin billig und befriedigend erschienen seien,
und da dieselbe zugleich eindringlich auf die Nachteile aufmerksam gemacht habe,
welche sich aus lciugerer Verzögerung für den Staatsdienst ergeben müßten, so
habe man sich nicht länger bedenken dürfen, die Regierung zu übernehmen.
Über die Politik, welche das neue Kabinet befolgen werde, behielt er sich eine
Erklärung vor, und in bezug auf die Prophezeiung einiger Politiker, dasselbe
werde sich nicht lange behaupten können, bemerkte er, man möge sich erinnern,
daß frühere Regierungen, denen man gleichfalls eine kurze Amtsdauer voraus¬
gesagt habe, später nenn oder zehn Jahre am Ruder geblieben seien.

Das neue Ministerium ist im ganzen wohlgewählt. Der Chef desselben,
der zugleich die auswärtigen Angelegenheiten übernommen hat, Marquis von
Salisbury, ragt zunächst durch alten Adel und großen Reichtum hervor, und
seine parlamentarische und diplomatische Vergangenheit sichern ihm ein bedeu¬
tendes Ansehen. Er hat als Lord Cecil und Viscount Cranborne viele Jahre
im Unterhause gesessen und sich dabei, sowie als Mitglied des Kabinets Derby,
das er 1867 verließ, weil Disraelis Refvrmplüne ihm zu weit gingen, als
strenger Tory erwiesen. Als Diplomat machte er sich zunächst 1876 auf der
Konferenz zu Konstantinopel einen Namen, der in den Ohren der Türken keinen
wohlthuenden Klang hatte. Dann erschien er neben Veacvnsfield auf dem Ber¬
liner Kongresse, wo er am 28. Juni 1878 den Antrag auf Besetzung und Ver¬
waltung Bosniens und der Herzegowina durch die Österreicher stellte und be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/10>, abgerufen am 21.05.2024.