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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

Fünfunddreißigstes Aapitel.

Giaeinta stand auf der Schwelle des entzückendsten Raumes, den sie je im
Leben betreten zu haben glaubte; war er doch, obschon die Sonne schon hoch
stand, von nur angenehmer Wärme erfüllt, spielten doch einzelne ihrer Strahlen
noch hie und da durch das üppige Weinlaub der zwei offenstehenden Fenster
-- mit dem Fußende dem dritten, vermauerten Fenster zugekehrt, stand das
mit bläulich gemusterten Gardinen dicht behängte Himmelbett --, zogen doch
Nosen-, Orangen- und Jasmiudiifte aus und ein, und hatten sich's doch Tauben
schon wieder zwischen den bunt blühenden Töpfen der beiden offnen Fenster
bequem gemacht, unter ihnen vielleicht die nämlichen, die Giuseppe Gonzaga mit
der wunderlichen Botschaft an das jubilirende Mcmtuaner Volk entsandt hatte.

Ja wunderlich erschienen ihr jetzt diese Notrufe.

Freilich, die Fenster hatten eiserne Stangen, aber gab es in Mantua oder
überhaupt in einer Stadt Italiens Erdgeschoßfenster ohne diesen Schutz? Der
arme Herr lag hinter seineu Gardinen so sorglich verwahrt und gepflegt da,
wie kein Prinz es besser wünschen konnte.

Freilich, Antonio Maria hatte ihn einst einen argen Verschwörer geheißen.
Aber war diese Fabel glaubhafter, als sich die seines Todes ausgewiesen hatte?
Wer mochte auf die Worte eines Mannes schwören, dem es darauf ankommen
mußte, dem Herzog immer neue Verdächtige nachzuweisen, so gutartig auch An¬
tonio Maria in allem übrigen sicherlich war.

Während sie sich in dieser Weise von den schrecklichen Vorstellungen er¬
holte, die. in dem langen, kalten und halbfinstern Gange ihre geängstigt? Ein¬
bildungskraft gemartert hatte, kam eine ihr seit Wochen fremd gewesene Stille
über sie, und mit vorsichtigen Schritten näherte sie sich dem Bette.

Eecellenza, sagte sie leise.

Hinter der Gardine bewegte sich eine Hand. Gleich darauf rollte die Gar¬
dine zurück.

Giuseppe lag mit offnen, nach oben gerichteten Augen regungslos da. Ich
brauche nichts, Ubidia, sagte er müden Tones.

Er glaubte es mit der alten Negerin zu thun zu haben und winkte ab,
da sie nichts ganz zu verstehen pflegte.

Giacinta, von der Blässe und Mattigkeit des Kranken bänglich bewegt,
vermochte nicht gleich zu antworten.

Es ist nicht Ubidia, Eeeellenza, sagte sie dann, es ist ein Mädchen, das
Euch damals in dem Vieolo dei Spadaji einen kleinen Dienst erweisen durfte;
sie heißt Giacinta, Eeeellenza, Giaeinta d'Jsa, einige nennen sie auch 1a NeänM --
setzte sie stotternd hinzu, denn er hatte sein Haupt nach ihrer Seite gewendet,
und es verwirrte sie die Eigentümlichkeit seines befremdet auf ihr ruhenden
Blickes in solchem Grade, daß sie völlig vergaß, was sie hier hatte thun und
reden sollen.


Grenzboten III. 188S. 12
Um eine Perle.

Fünfunddreißigstes Aapitel.

Giaeinta stand auf der Schwelle des entzückendsten Raumes, den sie je im
Leben betreten zu haben glaubte; war er doch, obschon die Sonne schon hoch
stand, von nur angenehmer Wärme erfüllt, spielten doch einzelne ihrer Strahlen
noch hie und da durch das üppige Weinlaub der zwei offenstehenden Fenster
— mit dem Fußende dem dritten, vermauerten Fenster zugekehrt, stand das
mit bläulich gemusterten Gardinen dicht behängte Himmelbett —, zogen doch
Nosen-, Orangen- und Jasmiudiifte aus und ein, und hatten sich's doch Tauben
schon wieder zwischen den bunt blühenden Töpfen der beiden offnen Fenster
bequem gemacht, unter ihnen vielleicht die nämlichen, die Giuseppe Gonzaga mit
der wunderlichen Botschaft an das jubilirende Mcmtuaner Volk entsandt hatte.

Ja wunderlich erschienen ihr jetzt diese Notrufe.

Freilich, die Fenster hatten eiserne Stangen, aber gab es in Mantua oder
überhaupt in einer Stadt Italiens Erdgeschoßfenster ohne diesen Schutz? Der
arme Herr lag hinter seineu Gardinen so sorglich verwahrt und gepflegt da,
wie kein Prinz es besser wünschen konnte.

Freilich, Antonio Maria hatte ihn einst einen argen Verschwörer geheißen.
Aber war diese Fabel glaubhafter, als sich die seines Todes ausgewiesen hatte?
Wer mochte auf die Worte eines Mannes schwören, dem es darauf ankommen
mußte, dem Herzog immer neue Verdächtige nachzuweisen, so gutartig auch An¬
tonio Maria in allem übrigen sicherlich war.

Während sie sich in dieser Weise von den schrecklichen Vorstellungen er¬
holte, die. in dem langen, kalten und halbfinstern Gange ihre geängstigt? Ein¬
bildungskraft gemartert hatte, kam eine ihr seit Wochen fremd gewesene Stille
über sie, und mit vorsichtigen Schritten näherte sie sich dem Bette.

Eecellenza, sagte sie leise.

Hinter der Gardine bewegte sich eine Hand. Gleich darauf rollte die Gar¬
dine zurück.

Giuseppe lag mit offnen, nach oben gerichteten Augen regungslos da. Ich
brauche nichts, Ubidia, sagte er müden Tones.

Er glaubte es mit der alten Negerin zu thun zu haben und winkte ab,
da sie nichts ganz zu verstehen pflegte.

Giacinta, von der Blässe und Mattigkeit des Kranken bänglich bewegt,
vermochte nicht gleich zu antworten.

Es ist nicht Ubidia, Eeeellenza, sagte sie dann, es ist ein Mädchen, das
Euch damals in dem Vieolo dei Spadaji einen kleinen Dienst erweisen durfte;
sie heißt Giacinta, Eeeellenza, Giaeinta d'Jsa, einige nennen sie auch 1a NeänM —
setzte sie stotternd hinzu, denn er hatte sein Haupt nach ihrer Seite gewendet,
und es verwirrte sie die Eigentümlichkeit seines befremdet auf ihr ruhenden
Blickes in solchem Grade, daß sie völlig vergaß, was sie hier hatte thun und
reden sollen.


Grenzboten III. 188S. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/97>, abgerufen am 30.04.2024.