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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Heinrich Steinhausen.

für verpflichtet hielt, alles das einzuladen, was nur irgendeine Berechtigung
dazu hatte. Aber die Generale und Regimentskommandeure, die doch Repräsen-
tationskvsten bezogen, beschränkten gewöhnlich ihre Einladungen auf die wirklich
erste Gesellschaft.

Gab aber der Klub eine Gesellschaft, einen Ball oder dergleichen, so er¬
schienen dort die Damen beider Kreise und wurden vom Präsidenten mit der¬
selben ausgesuchten Höflichkeit und denselben Formen empfangen, begrüßten sich
auch gegenseitig und sorgten dafür, daß Fremde allseitig vorgestellt und bekannt
gemacht wurden. Später führte aber der Präsident die vornehmste Frau zu
Tische, und die Herren suchten sich ihre Tischgenossinnen unter den ihnen näher
bekannten Damen. Damit teilten sich aber beide Gesellschaften, um bis zum
nächsten Klubball wieder getrennt neben einander herzugehen.




Heinrich Steinhaufen.

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MW
WMse es nicht manchem unsrer Leser auch schon so gegangen, daß
ihm der Zufall ein Gedicht, einen Aufsatz, ein Bändchen eines
Autors in die Hände spielte, die ihn so interessirten, daß er sich
entschloß, alles kennen zu lernen, was von diesem einen Schrift¬
steller gedruckt worden sei? Im Grunde macht man auf diese
Weise seine interessantesten literarischen Bekanntschaften. Es kann geschehen, daß
man sich im Verlaufe der weitern Lektüre enttäuscht fühlt, daß der Zufall uns
gerade das Beste zuerst geboten hatte, gerade das, was die Originalität und
Eigentümlichkeit des Autors am meisten bekundete und deshalb auch so anzog;
es kann aber auch das Gegenteil eintreten. In jedem Falle aber greift man
neugierig nach einem Buche, welches den Namen des Autors trägt, zu dem mau
unversehens ein persönliches Verhältnis gewonnen hat: man ärgert oder freut
sich über ihn, läßt sich überraschen oder hat es schon vorausgesehen -- in keinem
Falle aber läßt man etwas ungelesen, was er geschrieben hat.

So ist es mir mit Heinrich Steinhaufen ergangen, und da er in der That
ein merkwürdiger Autor ist, so will ich auch meine Geschichte erzählen. Der
Zufall, wie gesagt, und nicht die zahlreichen Inserate des Verlegers seiner
"Jrmela" um die vorige Weihnachtszeit, erweckte mein Interesse für ihn. Da
kamen mir vor einiger Zeit zwei dünne, schon mehrere Jahre alte Broschüren
in die Hand: "Zufällige Herzenserleichterungen eines einsamen Kunst- und Lite¬
raturfreundes, herausgegeben von Heinrich Steinhausen." Solche Herzenserleich-


Heinrich Steinhausen.

für verpflichtet hielt, alles das einzuladen, was nur irgendeine Berechtigung
dazu hatte. Aber die Generale und Regimentskommandeure, die doch Repräsen-
tationskvsten bezogen, beschränkten gewöhnlich ihre Einladungen auf die wirklich
erste Gesellschaft.

Gab aber der Klub eine Gesellschaft, einen Ball oder dergleichen, so er¬
schienen dort die Damen beider Kreise und wurden vom Präsidenten mit der¬
selben ausgesuchten Höflichkeit und denselben Formen empfangen, begrüßten sich
auch gegenseitig und sorgten dafür, daß Fremde allseitig vorgestellt und bekannt
gemacht wurden. Später führte aber der Präsident die vornehmste Frau zu
Tische, und die Herren suchten sich ihre Tischgenossinnen unter den ihnen näher
bekannten Damen. Damit teilten sich aber beide Gesellschaften, um bis zum
nächsten Klubball wieder getrennt neben einander herzugehen.




Heinrich Steinhaufen.

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WMse es nicht manchem unsrer Leser auch schon so gegangen, daß
ihm der Zufall ein Gedicht, einen Aufsatz, ein Bändchen eines
Autors in die Hände spielte, die ihn so interessirten, daß er sich
entschloß, alles kennen zu lernen, was von diesem einen Schrift¬
steller gedruckt worden sei? Im Grunde macht man auf diese
Weise seine interessantesten literarischen Bekanntschaften. Es kann geschehen, daß
man sich im Verlaufe der weitern Lektüre enttäuscht fühlt, daß der Zufall uns
gerade das Beste zuerst geboten hatte, gerade das, was die Originalität und
Eigentümlichkeit des Autors am meisten bekundete und deshalb auch so anzog;
es kann aber auch das Gegenteil eintreten. In jedem Falle aber greift man
neugierig nach einem Buche, welches den Namen des Autors trägt, zu dem mau
unversehens ein persönliches Verhältnis gewonnen hat: man ärgert oder freut
sich über ihn, läßt sich überraschen oder hat es schon vorausgesehen — in keinem
Falle aber läßt man etwas ungelesen, was er geschrieben hat.

So ist es mir mit Heinrich Steinhaufen ergangen, und da er in der That
ein merkwürdiger Autor ist, so will ich auch meine Geschichte erzählen. Der
Zufall, wie gesagt, und nicht die zahlreichen Inserate des Verlegers seiner
„Jrmela" um die vorige Weihnachtszeit, erweckte mein Interesse für ihn. Da
kamen mir vor einiger Zeit zwei dünne, schon mehrere Jahre alte Broschüren
in die Hand: „Zufällige Herzenserleichterungen eines einsamen Kunst- und Lite¬
raturfreundes, herausgegeben von Heinrich Steinhausen." Solche Herzenserleich-


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[0028] Heinrich Steinhausen. für verpflichtet hielt, alles das einzuladen, was nur irgendeine Berechtigung dazu hatte. Aber die Generale und Regimentskommandeure, die doch Repräsen- tationskvsten bezogen, beschränkten gewöhnlich ihre Einladungen auf die wirklich erste Gesellschaft. Gab aber der Klub eine Gesellschaft, einen Ball oder dergleichen, so er¬ schienen dort die Damen beider Kreise und wurden vom Präsidenten mit der¬ selben ausgesuchten Höflichkeit und denselben Formen empfangen, begrüßten sich auch gegenseitig und sorgten dafür, daß Fremde allseitig vorgestellt und bekannt gemacht wurden. Später führte aber der Präsident die vornehmste Frau zu Tische, und die Herren suchten sich ihre Tischgenossinnen unter den ihnen näher bekannten Damen. Damit teilten sich aber beide Gesellschaften, um bis zum nächsten Klubball wieder getrennt neben einander herzugehen. Heinrich Steinhaufen. ?^ND> MW WMse es nicht manchem unsrer Leser auch schon so gegangen, daß ihm der Zufall ein Gedicht, einen Aufsatz, ein Bändchen eines Autors in die Hände spielte, die ihn so interessirten, daß er sich entschloß, alles kennen zu lernen, was von diesem einen Schrift¬ steller gedruckt worden sei? Im Grunde macht man auf diese Weise seine interessantesten literarischen Bekanntschaften. Es kann geschehen, daß man sich im Verlaufe der weitern Lektüre enttäuscht fühlt, daß der Zufall uns gerade das Beste zuerst geboten hatte, gerade das, was die Originalität und Eigentümlichkeit des Autors am meisten bekundete und deshalb auch so anzog; es kann aber auch das Gegenteil eintreten. In jedem Falle aber greift man neugierig nach einem Buche, welches den Namen des Autors trägt, zu dem mau unversehens ein persönliches Verhältnis gewonnen hat: man ärgert oder freut sich über ihn, läßt sich überraschen oder hat es schon vorausgesehen — in keinem Falle aber läßt man etwas ungelesen, was er geschrieben hat. So ist es mir mit Heinrich Steinhaufen ergangen, und da er in der That ein merkwürdiger Autor ist, so will ich auch meine Geschichte erzählen. Der Zufall, wie gesagt, und nicht die zahlreichen Inserate des Verlegers seiner „Jrmela" um die vorige Weihnachtszeit, erweckte mein Interesse für ihn. Da kamen mir vor einiger Zeit zwei dünne, schon mehrere Jahre alte Broschüren in die Hand: „Zufällige Herzenserleichterungen eines einsamen Kunst- und Lite¬ raturfreundes, herausgegeben von Heinrich Steinhausen." Solche Herzenserleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/28>, abgerufen am 19.05.2024.