Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die hannoversche Gesellschaft.

keines großen Einflusses. Es gelang ihm aber, einen andern Stabsoffizier des
Regiments zu gewinnen, einen der alten Krieger von der Albuera, Vittoria und
la Haye Sande, der eines Tages den jungen Rechtsanwalt zur Aufnahme in
den Klub vorschlug. Es folgte allgemeines Staunen, viel Murren und Un¬
zufriedenheit, dann aber erklärten die ältern Offiziere, Premicrleutuauts und
Hauptleute, daß der alte Herr nicht im Stich gelassen werden dürfe, und so
wurde ausgemacht, auf den Klub zu gehen und geschlossen für die Aufnahme
des fürchterlichen Demokraten zu stimmen. Zu gleicher Zeit ward dem be¬
treffenden Kavallerieregiment Mitteilung von diesem Gesinnungswechsel gemacht,
und das Offizierkorps desselben, welches Mann für Mann gegen die Aufnahme
gestimmt haben würde, blieb an dem betreffenden Tage fern, um es mit den
Kameraden von der Infanterie, mit denen es immer in der besten Harmonie
gelebt hatte, nicht zu verderben.

Häufig war es der Klub, von dem die gemeinsamen Vergnügungen der
Gesellschaft ausgingen, und haben wir bis jetzt nur von der stärkern Hälfte des
menschlichen Geschlechts gesprochen, so wenden wir uns hiermit schließlich der
schönern Hälfte zu, die wie überall, so auch im gesellschaftlichen Leben Han¬
novers die leitende Rolle hatte. Zwar konnte die Frau an den einmal fest¬
stehenden Formen nichts ändern; ihrem Einfluß sowohl als dem stark aus¬
geprägten ständischen Geiste des Hannoveraners ist es aber zuzuschreiben, daß
eine Verschmelzung der beiden oben geschilderten Kreise niemals gelungen ist.

Vielleicht hat kein Adel der Welt bis in die neueste Zeit herein so streng
ans reines Blut gesehen wie der hannoversche. Mesalliancen waren äußerst
selten, und heiratete ein Aolicher eine Bürgerliche oder umgekehrt, so gab es
Naserümpfen die Hülle und Fülle. Ebensowenig liebten es aber auch die
bürgerlichen Offiziere Und Beamten, wie ihre Schwestern und Töchter in die
Kreise der zweiten Gesellschaft hinabzusteigen, wenn auch in dieser viel mehr Reich¬
tum vorhanden war als in der ersten. Denn Geld allein schaffte in Hannover
keine soziale Stellung, und wir erinnern uns noch wohl, daß ein Offizier seinen
Abschied nehmen mußte, um sich mit der Tochter eines Schiefergrnbenbesitzers,
der seiue Karriere als Dachdecker begonnen hatte, ehelich verbinden zu können.
Sehr selten geschah es, daß eine Frau aus der zweiten Gesellschaft in der ersten
Einlaß fand, wie es auch nur ausnahmsweise geschah, daß Damen der letztern
in den Häusern der reichen Kaufleute, Weinhändler und Bankiers verkehrten.

Zwar machten auch jung verheiratete Paare wie neu zugezogue Familien
ihnen die hergebrachten Besuche, damit aber war der äußern Form Genüge ge¬
leistet. Ward man eingeladen, so bedauerte man in der Regel tief, wegen Krank¬
heit verhindert zu sein, machte den feierlichen Danksagungsbesuch, aber -- lud die
betreffende Familie nicht wieder ein; man "gab ja keine großen Gesellschaften."

Nur selten traf man sich in Privatgesellschaften. In Celle schlechterdings
nicht. In andern Orten dort, wo der Herr des Hauses sich durch seine Stellung


Die hannoversche Gesellschaft.

keines großen Einflusses. Es gelang ihm aber, einen andern Stabsoffizier des
Regiments zu gewinnen, einen der alten Krieger von der Albuera, Vittoria und
la Haye Sande, der eines Tages den jungen Rechtsanwalt zur Aufnahme in
den Klub vorschlug. Es folgte allgemeines Staunen, viel Murren und Un¬
zufriedenheit, dann aber erklärten die ältern Offiziere, Premicrleutuauts und
Hauptleute, daß der alte Herr nicht im Stich gelassen werden dürfe, und so
wurde ausgemacht, auf den Klub zu gehen und geschlossen für die Aufnahme
des fürchterlichen Demokraten zu stimmen. Zu gleicher Zeit ward dem be¬
treffenden Kavallerieregiment Mitteilung von diesem Gesinnungswechsel gemacht,
und das Offizierkorps desselben, welches Mann für Mann gegen die Aufnahme
gestimmt haben würde, blieb an dem betreffenden Tage fern, um es mit den
Kameraden von der Infanterie, mit denen es immer in der besten Harmonie
gelebt hatte, nicht zu verderben.

Häufig war es der Klub, von dem die gemeinsamen Vergnügungen der
Gesellschaft ausgingen, und haben wir bis jetzt nur von der stärkern Hälfte des
menschlichen Geschlechts gesprochen, so wenden wir uns hiermit schließlich der
schönern Hälfte zu, die wie überall, so auch im gesellschaftlichen Leben Han¬
novers die leitende Rolle hatte. Zwar konnte die Frau an den einmal fest¬
stehenden Formen nichts ändern; ihrem Einfluß sowohl als dem stark aus¬
geprägten ständischen Geiste des Hannoveraners ist es aber zuzuschreiben, daß
eine Verschmelzung der beiden oben geschilderten Kreise niemals gelungen ist.

Vielleicht hat kein Adel der Welt bis in die neueste Zeit herein so streng
ans reines Blut gesehen wie der hannoversche. Mesalliancen waren äußerst
selten, und heiratete ein Aolicher eine Bürgerliche oder umgekehrt, so gab es
Naserümpfen die Hülle und Fülle. Ebensowenig liebten es aber auch die
bürgerlichen Offiziere Und Beamten, wie ihre Schwestern und Töchter in die
Kreise der zweiten Gesellschaft hinabzusteigen, wenn auch in dieser viel mehr Reich¬
tum vorhanden war als in der ersten. Denn Geld allein schaffte in Hannover
keine soziale Stellung, und wir erinnern uns noch wohl, daß ein Offizier seinen
Abschied nehmen mußte, um sich mit der Tochter eines Schiefergrnbenbesitzers,
der seiue Karriere als Dachdecker begonnen hatte, ehelich verbinden zu können.
Sehr selten geschah es, daß eine Frau aus der zweiten Gesellschaft in der ersten
Einlaß fand, wie es auch nur ausnahmsweise geschah, daß Damen der letztern
in den Häusern der reichen Kaufleute, Weinhändler und Bankiers verkehrten.

Zwar machten auch jung verheiratete Paare wie neu zugezogue Familien
ihnen die hergebrachten Besuche, damit aber war der äußern Form Genüge ge¬
leistet. Ward man eingeladen, so bedauerte man in der Regel tief, wegen Krank¬
heit verhindert zu sein, machte den feierlichen Danksagungsbesuch, aber — lud die
betreffende Familie nicht wieder ein; man „gab ja keine großen Gesellschaften."

Nur selten traf man sich in Privatgesellschaften. In Celle schlechterdings
nicht. In andern Orten dort, wo der Herr des Hauses sich durch seine Stellung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197451"/>
          <fw type="header" place="top"> Die hannoversche Gesellschaft.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_62" prev="#ID_61"> keines großen Einflusses. Es gelang ihm aber, einen andern Stabsoffizier des<lb/>
Regiments zu gewinnen, einen der alten Krieger von der Albuera, Vittoria und<lb/>
la Haye Sande, der eines Tages den jungen Rechtsanwalt zur Aufnahme in<lb/>
den Klub vorschlug. Es folgte allgemeines Staunen, viel Murren und Un¬<lb/>
zufriedenheit, dann aber erklärten die ältern Offiziere, Premicrleutuauts und<lb/>
Hauptleute, daß der alte Herr nicht im Stich gelassen werden dürfe, und so<lb/>
wurde ausgemacht, auf den Klub zu gehen und geschlossen für die Aufnahme<lb/>
des fürchterlichen Demokraten zu stimmen. Zu gleicher Zeit ward dem be¬<lb/>
treffenden Kavallerieregiment Mitteilung von diesem Gesinnungswechsel gemacht,<lb/>
und das Offizierkorps desselben, welches Mann für Mann gegen die Aufnahme<lb/>
gestimmt haben würde, blieb an dem betreffenden Tage fern, um es mit den<lb/>
Kameraden von der Infanterie, mit denen es immer in der besten Harmonie<lb/>
gelebt hatte, nicht zu verderben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_63"> Häufig war es der Klub, von dem die gemeinsamen Vergnügungen der<lb/>
Gesellschaft ausgingen, und haben wir bis jetzt nur von der stärkern Hälfte des<lb/>
menschlichen Geschlechts gesprochen, so wenden wir uns hiermit schließlich der<lb/>
schönern Hälfte zu, die wie überall, so auch im gesellschaftlichen Leben Han¬<lb/>
novers die leitende Rolle hatte. Zwar konnte die Frau an den einmal fest¬<lb/>
stehenden Formen nichts ändern; ihrem Einfluß sowohl als dem stark aus¬<lb/>
geprägten ständischen Geiste des Hannoveraners ist es aber zuzuschreiben, daß<lb/>
eine Verschmelzung der beiden oben geschilderten Kreise niemals gelungen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_64"> Vielleicht hat kein Adel der Welt bis in die neueste Zeit herein so streng<lb/>
ans reines Blut gesehen wie der hannoversche. Mesalliancen waren äußerst<lb/>
selten, und heiratete ein Aolicher eine Bürgerliche oder umgekehrt, so gab es<lb/>
Naserümpfen die Hülle und Fülle. Ebensowenig liebten es aber auch die<lb/>
bürgerlichen Offiziere Und Beamten, wie ihre Schwestern und Töchter in die<lb/>
Kreise der zweiten Gesellschaft hinabzusteigen, wenn auch in dieser viel mehr Reich¬<lb/>
tum vorhanden war als in der ersten. Denn Geld allein schaffte in Hannover<lb/>
keine soziale Stellung, und wir erinnern uns noch wohl, daß ein Offizier seinen<lb/>
Abschied nehmen mußte, um sich mit der Tochter eines Schiefergrnbenbesitzers,<lb/>
der seiue Karriere als Dachdecker begonnen hatte, ehelich verbinden zu können.<lb/>
Sehr selten geschah es, daß eine Frau aus der zweiten Gesellschaft in der ersten<lb/>
Einlaß fand, wie es auch nur ausnahmsweise geschah, daß Damen der letztern<lb/>
in den Häusern der reichen Kaufleute, Weinhändler und Bankiers verkehrten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_65"> Zwar machten auch jung verheiratete Paare wie neu zugezogue Familien<lb/>
ihnen die hergebrachten Besuche, damit aber war der äußern Form Genüge ge¬<lb/>
leistet. Ward man eingeladen, so bedauerte man in der Regel tief, wegen Krank¬<lb/>
heit verhindert zu sein, machte den feierlichen Danksagungsbesuch, aber &#x2014; lud die<lb/>
betreffende Familie nicht wieder ein; man &#x201E;gab ja keine großen Gesellschaften."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_66" next="#ID_67"> Nur selten traf man sich in Privatgesellschaften. In Celle schlechterdings<lb/>
nicht. In andern Orten dort, wo der Herr des Hauses sich durch seine Stellung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Die hannoversche Gesellschaft. keines großen Einflusses. Es gelang ihm aber, einen andern Stabsoffizier des Regiments zu gewinnen, einen der alten Krieger von der Albuera, Vittoria und la Haye Sande, der eines Tages den jungen Rechtsanwalt zur Aufnahme in den Klub vorschlug. Es folgte allgemeines Staunen, viel Murren und Un¬ zufriedenheit, dann aber erklärten die ältern Offiziere, Premicrleutuauts und Hauptleute, daß der alte Herr nicht im Stich gelassen werden dürfe, und so wurde ausgemacht, auf den Klub zu gehen und geschlossen für die Aufnahme des fürchterlichen Demokraten zu stimmen. Zu gleicher Zeit ward dem be¬ treffenden Kavallerieregiment Mitteilung von diesem Gesinnungswechsel gemacht, und das Offizierkorps desselben, welches Mann für Mann gegen die Aufnahme gestimmt haben würde, blieb an dem betreffenden Tage fern, um es mit den Kameraden von der Infanterie, mit denen es immer in der besten Harmonie gelebt hatte, nicht zu verderben. Häufig war es der Klub, von dem die gemeinsamen Vergnügungen der Gesellschaft ausgingen, und haben wir bis jetzt nur von der stärkern Hälfte des menschlichen Geschlechts gesprochen, so wenden wir uns hiermit schließlich der schönern Hälfte zu, die wie überall, so auch im gesellschaftlichen Leben Han¬ novers die leitende Rolle hatte. Zwar konnte die Frau an den einmal fest¬ stehenden Formen nichts ändern; ihrem Einfluß sowohl als dem stark aus¬ geprägten ständischen Geiste des Hannoveraners ist es aber zuzuschreiben, daß eine Verschmelzung der beiden oben geschilderten Kreise niemals gelungen ist. Vielleicht hat kein Adel der Welt bis in die neueste Zeit herein so streng ans reines Blut gesehen wie der hannoversche. Mesalliancen waren äußerst selten, und heiratete ein Aolicher eine Bürgerliche oder umgekehrt, so gab es Naserümpfen die Hülle und Fülle. Ebensowenig liebten es aber auch die bürgerlichen Offiziere Und Beamten, wie ihre Schwestern und Töchter in die Kreise der zweiten Gesellschaft hinabzusteigen, wenn auch in dieser viel mehr Reich¬ tum vorhanden war als in der ersten. Denn Geld allein schaffte in Hannover keine soziale Stellung, und wir erinnern uns noch wohl, daß ein Offizier seinen Abschied nehmen mußte, um sich mit der Tochter eines Schiefergrnbenbesitzers, der seiue Karriere als Dachdecker begonnen hatte, ehelich verbinden zu können. Sehr selten geschah es, daß eine Frau aus der zweiten Gesellschaft in der ersten Einlaß fand, wie es auch nur ausnahmsweise geschah, daß Damen der letztern in den Häusern der reichen Kaufleute, Weinhändler und Bankiers verkehrten. Zwar machten auch jung verheiratete Paare wie neu zugezogue Familien ihnen die hergebrachten Besuche, damit aber war der äußern Form Genüge ge¬ leistet. Ward man eingeladen, so bedauerte man in der Regel tief, wegen Krank¬ heit verhindert zu sein, machte den feierlichen Danksagungsbesuch, aber — lud die betreffende Familie nicht wieder ein; man „gab ja keine großen Gesellschaften." Nur selten traf man sich in Privatgesellschaften. In Celle schlechterdings nicht. In andern Orten dort, wo der Herr des Hauses sich durch seine Stellung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/27>, abgerufen am 10.06.2024.