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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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(Lamoens.
Roman von Adolf Stern. Erstes Aapitel.

er schmale, steinige, schattenlose Pfad, der, von dem Flecken Cintra
heranfführend, längs der Bergwand hinlief, an deren Südende
sich das Kloster zum heiligen Kreuz erhob, ward halbwegs von
einer kleinen Schlucht anmutig unterbrochen. Plötzlich und fast
jus senkte sich die Straße, auf der zwei einander begegnende Maul¬
tiere sich eben ausweichen konnten, in eine schattige Tiefe. Die Felsen traten
einige hundert Schritte zurück, ein weißschäumender Sturzbach, der, vom ge¬
bahnten Pfade überbrückt, seinen Weg zu Thal suchte, brauste zwischen brauu-
und grünbemoosten Felsblöcken aus dem Hintergrunde der Senkung, und die
Doppelgruppe dicht stehender Korkeichen, mit altersgrauen, zerrissenen Stämmen
und üppigem Laubdach, ließ gerade soviel Nachmittagssonne und blauen Sommer¬
himmel in die Tiefe hereinleuchten, daß die kleine Schlucht nicht finster erschien.

Der einsame Reiter, der soeben von dem glutheißen Pfad in die Kühle
hinabtauchte und sein brennendes Gesicht vom feuchten Anhauch des Wassers
erfrischt fühlte, glitt nach kurzem Umblick aus dem Sattel und überließ es
seinem Maultier, sich die beste Stelle zur eignen Erquickung zu suchen. Er selbst
schritt ein paar niedrigen Felsblöcken am Rande des Baches zu, welche offenbar
schon vielen zuvor als Ruheplatz gedient hatten, ließ sich auf einem der Blöcke
nieder und sah einige Augenblicke mit zufriednem Lächeln zu, wie sein durstiges
Tier Kopf und Hals in das frische Wasser niederstreckte, sodaß die roten Troddeln
des Netzgeflechts, mit dem Hals und Leib bedeckt waren, auf dem Wasser
schwammen. Dann holte der Ruhende ans der Tasche seines Wamses einen
seltsam geformten Hornbecher, in welchem er mehreremale einen Strahl des
klaren Sprudels auffing, und erquickte sich an dem Trunke. Nachdem er ge¬
trunken, streckte er sich auf dem moosigen Steine der Länge nach aus, das Haupt,




(Lamoens.
Roman von Adolf Stern. Erstes Aapitel.

er schmale, steinige, schattenlose Pfad, der, von dem Flecken Cintra
heranfführend, längs der Bergwand hinlief, an deren Südende
sich das Kloster zum heiligen Kreuz erhob, ward halbwegs von
einer kleinen Schlucht anmutig unterbrochen. Plötzlich und fast
jus senkte sich die Straße, auf der zwei einander begegnende Maul¬
tiere sich eben ausweichen konnten, in eine schattige Tiefe. Die Felsen traten
einige hundert Schritte zurück, ein weißschäumender Sturzbach, der, vom ge¬
bahnten Pfade überbrückt, seinen Weg zu Thal suchte, brauste zwischen brauu-
und grünbemoosten Felsblöcken aus dem Hintergrunde der Senkung, und die
Doppelgruppe dicht stehender Korkeichen, mit altersgrauen, zerrissenen Stämmen
und üppigem Laubdach, ließ gerade soviel Nachmittagssonne und blauen Sommer¬
himmel in die Tiefe hereinleuchten, daß die kleine Schlucht nicht finster erschien.

Der einsame Reiter, der soeben von dem glutheißen Pfad in die Kühle
hinabtauchte und sein brennendes Gesicht vom feuchten Anhauch des Wassers
erfrischt fühlte, glitt nach kurzem Umblick aus dem Sattel und überließ es
seinem Maultier, sich die beste Stelle zur eignen Erquickung zu suchen. Er selbst
schritt ein paar niedrigen Felsblöcken am Rande des Baches zu, welche offenbar
schon vielen zuvor als Ruheplatz gedient hatten, ließ sich auf einem der Blöcke
nieder und sah einige Augenblicke mit zufriednem Lächeln zu, wie sein durstiges
Tier Kopf und Hals in das frische Wasser niederstreckte, sodaß die roten Troddeln
des Netzgeflechts, mit dem Hals und Leib bedeckt waren, auf dem Wasser
schwammen. Dann holte der Ruhende ans der Tasche seines Wamses einen
seltsam geformten Hornbecher, in welchem er mehreremale einen Strahl des
klaren Sprudels auffing, und erquickte sich an dem Trunke. Nachdem er ge¬
trunken, streckte er sich auf dem moosigen Steine der Länge nach aus, das Haupt,


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[0046] [Abbildung] (Lamoens. Roman von Adolf Stern. Erstes Aapitel. er schmale, steinige, schattenlose Pfad, der, von dem Flecken Cintra heranfführend, längs der Bergwand hinlief, an deren Südende sich das Kloster zum heiligen Kreuz erhob, ward halbwegs von einer kleinen Schlucht anmutig unterbrochen. Plötzlich und fast jus senkte sich die Straße, auf der zwei einander begegnende Maul¬ tiere sich eben ausweichen konnten, in eine schattige Tiefe. Die Felsen traten einige hundert Schritte zurück, ein weißschäumender Sturzbach, der, vom ge¬ bahnten Pfade überbrückt, seinen Weg zu Thal suchte, brauste zwischen brauu- und grünbemoosten Felsblöcken aus dem Hintergrunde der Senkung, und die Doppelgruppe dicht stehender Korkeichen, mit altersgrauen, zerrissenen Stämmen und üppigem Laubdach, ließ gerade soviel Nachmittagssonne und blauen Sommer¬ himmel in die Tiefe hereinleuchten, daß die kleine Schlucht nicht finster erschien. Der einsame Reiter, der soeben von dem glutheißen Pfad in die Kühle hinabtauchte und sein brennendes Gesicht vom feuchten Anhauch des Wassers erfrischt fühlte, glitt nach kurzem Umblick aus dem Sattel und überließ es seinem Maultier, sich die beste Stelle zur eignen Erquickung zu suchen. Er selbst schritt ein paar niedrigen Felsblöcken am Rande des Baches zu, welche offenbar schon vielen zuvor als Ruheplatz gedient hatten, ließ sich auf einem der Blöcke nieder und sah einige Augenblicke mit zufriednem Lächeln zu, wie sein durstiges Tier Kopf und Hals in das frische Wasser niederstreckte, sodaß die roten Troddeln des Netzgeflechts, mit dem Hals und Leib bedeckt waren, auf dem Wasser schwammen. Dann holte der Ruhende ans der Tasche seines Wamses einen seltsam geformten Hornbecher, in welchem er mehreremale einen Strahl des klaren Sprudels auffing, und erquickte sich an dem Trunke. Nachdem er ge¬ trunken, streckte er sich auf dem moosigen Steine der Länge nach aus, das Haupt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/46>, abgerufen am 19.05.2024.