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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Aonscrvatorien und UünstK'i'prolkwriat.

Zöglinge darf man sich völlig entschlagen. Sie werden sich in keinem Falle zu
Organisten, Klavierlehrern und vielgeplagten Musikdirektoren kleiner Städte ent¬
falten, sondern als gespreizte Virtuosen und meist als Komponisten, die den
Stich ihrer Partituren und die "Jnszeuesetzung" ihrer Opern nötigenfalls aus
eigner Tasche bezahlen können, die Welt in Erstaunen setzen. Warum sollte
mau da Bedenken tragen, ihnen den Weg zur Kunst, die sie "nicht nötig haben,"
zu eröffnen? Warum sich nicht mit besondrer Beflissenheit dem Unterrichte
solcher widmen? Stellt sich hinterdrein die völlige Talentlosigkeit, der arm¬
seligste Nachahmungstrieb statt der reichen Erfindung und der seelischen Fülle
heraus, so bleibt noch der landesübliche Ausdruck des Bedauerns, daß der be¬
treffende Künstler leider ein zu reicher Mann sei, um ernste Anstrengungen zu
machen. Jedenfalls aber begnügen sich zahlreiche Musiker dieses Schlages
keineswegs mit den Ehren der Schaffenden, und wenn sie die gröbern Mühen
des Berufs den schlecht gestellten Kollegen überlassen, so nehmen sie doch mit
Vorliebe jene Stellungen an der Spitze musikalischer Vereine und kleiner
Konzertinstitnte ein, welche ehedem dem bescheidnen Ehrgeize wahrhaft tüchtiger
und ernster Musiker als eine Belohnung für die Anstrengungen des Erwerbes
winkten. Die Gewissenlosigkeit, mit der in diesen Fällen die Talentfrage ohne
weiteres bejaht worden ist, bleibt also nicht ohne weitwirkende Folgen, und das
Künstlerproletariat wird mittelbar durch eine Laxheit vermehrt, die unmittelbar
zu seiner Bekämpfung beizutragen scheint.

Unsre Betrachtung würde kein Ende finden, wenn wir uns in die Einzel¬
heiten verlieren wollten, hier der verhängnisvollen Leichtigkeit, mit der unter
den obwaltenden Umständen ein Bernfsweg betreten wird, auf dem selbst für die
Auserwählten schwere Enttäuschungen und harte Kämpfe harren, dort der Spe¬
kulation, welche die Gelegenheiten zur Steigerung dieser Mißverhältnisse unab¬
lässig zu mehren trachtet. Unter den mancherlei Kalamitäten, unter denen die
deutsche Musik und die deutschen Musiker der Gegenwart zu leiden haben, ist
die Überfüllung der Konservatorien mit unzureichenden, von vornherein zur Ver¬
kümmerung verurteilten Halbtalenten eine der schwersten, und es ist hohe Zeit,
daß sich warnende und protestirende Stimmen auch von andrer Seite erheben,
da die einzelne wirkungslos verhallen würde.




Aonscrvatorien und UünstK'i'prolkwriat.

Zöglinge darf man sich völlig entschlagen. Sie werden sich in keinem Falle zu
Organisten, Klavierlehrern und vielgeplagten Musikdirektoren kleiner Städte ent¬
falten, sondern als gespreizte Virtuosen und meist als Komponisten, die den
Stich ihrer Partituren und die „Jnszeuesetzung" ihrer Opern nötigenfalls aus
eigner Tasche bezahlen können, die Welt in Erstaunen setzen. Warum sollte
mau da Bedenken tragen, ihnen den Weg zur Kunst, die sie „nicht nötig haben,"
zu eröffnen? Warum sich nicht mit besondrer Beflissenheit dem Unterrichte
solcher widmen? Stellt sich hinterdrein die völlige Talentlosigkeit, der arm¬
seligste Nachahmungstrieb statt der reichen Erfindung und der seelischen Fülle
heraus, so bleibt noch der landesübliche Ausdruck des Bedauerns, daß der be¬
treffende Künstler leider ein zu reicher Mann sei, um ernste Anstrengungen zu
machen. Jedenfalls aber begnügen sich zahlreiche Musiker dieses Schlages
keineswegs mit den Ehren der Schaffenden, und wenn sie die gröbern Mühen
des Berufs den schlecht gestellten Kollegen überlassen, so nehmen sie doch mit
Vorliebe jene Stellungen an der Spitze musikalischer Vereine und kleiner
Konzertinstitnte ein, welche ehedem dem bescheidnen Ehrgeize wahrhaft tüchtiger
und ernster Musiker als eine Belohnung für die Anstrengungen des Erwerbes
winkten. Die Gewissenlosigkeit, mit der in diesen Fällen die Talentfrage ohne
weiteres bejaht worden ist, bleibt also nicht ohne weitwirkende Folgen, und das
Künstlerproletariat wird mittelbar durch eine Laxheit vermehrt, die unmittelbar
zu seiner Bekämpfung beizutragen scheint.

Unsre Betrachtung würde kein Ende finden, wenn wir uns in die Einzel¬
heiten verlieren wollten, hier der verhängnisvollen Leichtigkeit, mit der unter
den obwaltenden Umständen ein Bernfsweg betreten wird, auf dem selbst für die
Auserwählten schwere Enttäuschungen und harte Kämpfe harren, dort der Spe¬
kulation, welche die Gelegenheiten zur Steigerung dieser Mißverhältnisse unab¬
lässig zu mehren trachtet. Unter den mancherlei Kalamitäten, unter denen die
deutsche Musik und die deutschen Musiker der Gegenwart zu leiden haben, ist
die Überfüllung der Konservatorien mit unzureichenden, von vornherein zur Ver¬
kümmerung verurteilten Halbtalenten eine der schwersten, und es ist hohe Zeit,
daß sich warnende und protestirende Stimmen auch von andrer Seite erheben,
da die einzelne wirkungslos verhallen würde.




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[0045] Aonscrvatorien und UünstK'i'prolkwriat. Zöglinge darf man sich völlig entschlagen. Sie werden sich in keinem Falle zu Organisten, Klavierlehrern und vielgeplagten Musikdirektoren kleiner Städte ent¬ falten, sondern als gespreizte Virtuosen und meist als Komponisten, die den Stich ihrer Partituren und die „Jnszeuesetzung" ihrer Opern nötigenfalls aus eigner Tasche bezahlen können, die Welt in Erstaunen setzen. Warum sollte mau da Bedenken tragen, ihnen den Weg zur Kunst, die sie „nicht nötig haben," zu eröffnen? Warum sich nicht mit besondrer Beflissenheit dem Unterrichte solcher widmen? Stellt sich hinterdrein die völlige Talentlosigkeit, der arm¬ seligste Nachahmungstrieb statt der reichen Erfindung und der seelischen Fülle heraus, so bleibt noch der landesübliche Ausdruck des Bedauerns, daß der be¬ treffende Künstler leider ein zu reicher Mann sei, um ernste Anstrengungen zu machen. Jedenfalls aber begnügen sich zahlreiche Musiker dieses Schlages keineswegs mit den Ehren der Schaffenden, und wenn sie die gröbern Mühen des Berufs den schlecht gestellten Kollegen überlassen, so nehmen sie doch mit Vorliebe jene Stellungen an der Spitze musikalischer Vereine und kleiner Konzertinstitnte ein, welche ehedem dem bescheidnen Ehrgeize wahrhaft tüchtiger und ernster Musiker als eine Belohnung für die Anstrengungen des Erwerbes winkten. Die Gewissenlosigkeit, mit der in diesen Fällen die Talentfrage ohne weiteres bejaht worden ist, bleibt also nicht ohne weitwirkende Folgen, und das Künstlerproletariat wird mittelbar durch eine Laxheit vermehrt, die unmittelbar zu seiner Bekämpfung beizutragen scheint. Unsre Betrachtung würde kein Ende finden, wenn wir uns in die Einzel¬ heiten verlieren wollten, hier der verhängnisvollen Leichtigkeit, mit der unter den obwaltenden Umständen ein Bernfsweg betreten wird, auf dem selbst für die Auserwählten schwere Enttäuschungen und harte Kämpfe harren, dort der Spe¬ kulation, welche die Gelegenheiten zur Steigerung dieser Mißverhältnisse unab¬ lässig zu mehren trachtet. Unter den mancherlei Kalamitäten, unter denen die deutsche Musik und die deutschen Musiker der Gegenwart zu leiden haben, ist die Überfüllung der Konservatorien mit unzureichenden, von vornherein zur Ver¬ kümmerung verurteilten Halbtalenten eine der schwersten, und es ist hohe Zeit, daß sich warnende und protestirende Stimmen auch von andrer Seite erheben, da die einzelne wirkungslos verhallen würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/45>, abgerufen am 02.06.2024.