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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allerlei Laufbahnen.

Auswurf bei ältern Personen. Ur. 3, Anthropin einer Sängerin, wirkt bei männ¬
lichen Personen gegen Kehlkopfkatarrhe und erzeugt bei weiblichen Heiserkeit. Ur. 4
stammt von einem gesunden Manne und ist ein Probatum gegen -- Examen-
nngst, Ur. 6 von einem jungen brünetten Sänger verbessert die Singstimmen bei
Damen, Ur. 10 von einem kräftigen siebenjährigen Knaben wird gegen Epilepsie
angewandt u. s. w.

Doch genug von "Seinem System" oder der Kunst, aus unrichtigen Beobach¬
tungen falsche Schlüsse zu ziehen. Herr Jäger fällt zurück in die symbolische Heil<
Methode des Mittelalters, das er noch dazu als eine Zeit rühmt, deren Aerzte durch
wissenschaftliche Theorien noch nicht voreingenommen waren, und endet als Wunder¬
doktor uuter den lnntesten Tönen der Reklame. Wir geben die Schilderung des
Jägerschen "Systems" -- nicht des Systems wegen, sondern um zu zeige": Dies
kann mau deu "gebildeten" Ständen unsers Volkes heutzutage bieten, mit solche"
Ungeheuerlichkeiten kaun man Erfolg haben. Warum? Worin hat denn der Erfolg
der Homöopathie bestanden? Darin, daß sie. die schwierige Frage nach dem Warum
oder Wohin beseitigt und, indem sie nach Symptomen kurirt, jeden, der die Worte
Nux Voiuica oder Acorn behalten kann, befähigt, den Arzt zu spiele". So ver¬
steht es Jäger, dem Laien das zu bieten, was dieser gern und leicht annimmt.
Umstände und Denkschwierigkeiten werden kurzer Hand beseitigt; die Gesundheits-
regel wird in eine drastische, leicht behältliche Form gebracht und die Methode der
Selbstbeobachtung eingeführt, bei welcher es leicht ist, jedes gewünschte Resultat zu
erzielen. Die an sich harmlose Wvlltracht wird mit den nötigen Anpreisungen
Versehen und mit Baroquerien umkleidet und wird Mode, Sport. Das ist es.




Allerlei Laufbahnen.
Erinnerungen eines alten Journalisten.
1. Dr. Schmauch.

en Dr. Schmauch kannte die ganze Universität, an welcher er un¬
gezählte Semester lang angeblich Medizin studirte. Da die Kom¬
militonen ihm längst den Doktortitel lumoris c^usg. verliehen hatten,
und die Philister diese Promotion anerkannten, trug er in seiner
Bescheidenheit gar kein Verlangen nach weiter" Graden, und würde
vielleicht noch heute immatrikulirt sein, hätte nicht das Schicksal
zweimal rauh und kalt in seine idyllische Existenz eingegriffen. Das erstemal ge¬
schah dies, als er mit einigen jüngern Studenten eine "Spritztour" machte. Sie
waren in einem Lnndwirtshanse eingeregnet und Vertrieben sich die Zeit mit dem
dünnen Bier und deu abgegriffenem Karten, den einzigen Genüssen, die das Haus
zu bieten hatte. Plötzlich blieb die Wirtin, die ab- und zugegangen War und die
Gespräche der Studenten gehört hatte, vor Schmauch steheu mit der schüchternen Frage,


Allerlei Laufbahnen.

Auswurf bei ältern Personen. Ur. 3, Anthropin einer Sängerin, wirkt bei männ¬
lichen Personen gegen Kehlkopfkatarrhe und erzeugt bei weiblichen Heiserkeit. Ur. 4
stammt von einem gesunden Manne und ist ein Probatum gegen — Examen-
nngst, Ur. 6 von einem jungen brünetten Sänger verbessert die Singstimmen bei
Damen, Ur. 10 von einem kräftigen siebenjährigen Knaben wird gegen Epilepsie
angewandt u. s. w.

Doch genug von „Seinem System" oder der Kunst, aus unrichtigen Beobach¬
tungen falsche Schlüsse zu ziehen. Herr Jäger fällt zurück in die symbolische Heil<
Methode des Mittelalters, das er noch dazu als eine Zeit rühmt, deren Aerzte durch
wissenschaftliche Theorien noch nicht voreingenommen waren, und endet als Wunder¬
doktor uuter den lnntesten Tönen der Reklame. Wir geben die Schilderung des
Jägerschen „Systems" — nicht des Systems wegen, sondern um zu zeige«: Dies
kann mau deu „gebildeten" Ständen unsers Volkes heutzutage bieten, mit solche»
Ungeheuerlichkeiten kaun man Erfolg haben. Warum? Worin hat denn der Erfolg
der Homöopathie bestanden? Darin, daß sie. die schwierige Frage nach dem Warum
oder Wohin beseitigt und, indem sie nach Symptomen kurirt, jeden, der die Worte
Nux Voiuica oder Acorn behalten kann, befähigt, den Arzt zu spiele«. So ver¬
steht es Jäger, dem Laien das zu bieten, was dieser gern und leicht annimmt.
Umstände und Denkschwierigkeiten werden kurzer Hand beseitigt; die Gesundheits-
regel wird in eine drastische, leicht behältliche Form gebracht und die Methode der
Selbstbeobachtung eingeführt, bei welcher es leicht ist, jedes gewünschte Resultat zu
erzielen. Die an sich harmlose Wvlltracht wird mit den nötigen Anpreisungen
Versehen und mit Baroquerien umkleidet und wird Mode, Sport. Das ist es.




Allerlei Laufbahnen.
Erinnerungen eines alten Journalisten.
1. Dr. Schmauch.

en Dr. Schmauch kannte die ganze Universität, an welcher er un¬
gezählte Semester lang angeblich Medizin studirte. Da die Kom¬
militonen ihm längst den Doktortitel lumoris c^usg. verliehen hatten,
und die Philister diese Promotion anerkannten, trug er in seiner
Bescheidenheit gar kein Verlangen nach weiter» Graden, und würde
vielleicht noch heute immatrikulirt sein, hätte nicht das Schicksal
zweimal rauh und kalt in seine idyllische Existenz eingegriffen. Das erstemal ge¬
schah dies, als er mit einigen jüngern Studenten eine „Spritztour" machte. Sie
waren in einem Lnndwirtshanse eingeregnet und Vertrieben sich die Zeit mit dem
dünnen Bier und deu abgegriffenem Karten, den einzigen Genüssen, die das Haus
zu bieten hatte. Plötzlich blieb die Wirtin, die ab- und zugegangen War und die
Gespräche der Studenten gehört hatte, vor Schmauch steheu mit der schüchternen Frage,


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[0186] Allerlei Laufbahnen. Auswurf bei ältern Personen. Ur. 3, Anthropin einer Sängerin, wirkt bei männ¬ lichen Personen gegen Kehlkopfkatarrhe und erzeugt bei weiblichen Heiserkeit. Ur. 4 stammt von einem gesunden Manne und ist ein Probatum gegen — Examen- nngst, Ur. 6 von einem jungen brünetten Sänger verbessert die Singstimmen bei Damen, Ur. 10 von einem kräftigen siebenjährigen Knaben wird gegen Epilepsie angewandt u. s. w. Doch genug von „Seinem System" oder der Kunst, aus unrichtigen Beobach¬ tungen falsche Schlüsse zu ziehen. Herr Jäger fällt zurück in die symbolische Heil< Methode des Mittelalters, das er noch dazu als eine Zeit rühmt, deren Aerzte durch wissenschaftliche Theorien noch nicht voreingenommen waren, und endet als Wunder¬ doktor uuter den lnntesten Tönen der Reklame. Wir geben die Schilderung des Jägerschen „Systems" — nicht des Systems wegen, sondern um zu zeige«: Dies kann mau deu „gebildeten" Ständen unsers Volkes heutzutage bieten, mit solche» Ungeheuerlichkeiten kaun man Erfolg haben. Warum? Worin hat denn der Erfolg der Homöopathie bestanden? Darin, daß sie. die schwierige Frage nach dem Warum oder Wohin beseitigt und, indem sie nach Symptomen kurirt, jeden, der die Worte Nux Voiuica oder Acorn behalten kann, befähigt, den Arzt zu spiele«. So ver¬ steht es Jäger, dem Laien das zu bieten, was dieser gern und leicht annimmt. Umstände und Denkschwierigkeiten werden kurzer Hand beseitigt; die Gesundheits- regel wird in eine drastische, leicht behältliche Form gebracht und die Methode der Selbstbeobachtung eingeführt, bei welcher es leicht ist, jedes gewünschte Resultat zu erzielen. Die an sich harmlose Wvlltracht wird mit den nötigen Anpreisungen Versehen und mit Baroquerien umkleidet und wird Mode, Sport. Das ist es. Allerlei Laufbahnen. Erinnerungen eines alten Journalisten. 1. Dr. Schmauch. en Dr. Schmauch kannte die ganze Universität, an welcher er un¬ gezählte Semester lang angeblich Medizin studirte. Da die Kom¬ militonen ihm längst den Doktortitel lumoris c^usg. verliehen hatten, und die Philister diese Promotion anerkannten, trug er in seiner Bescheidenheit gar kein Verlangen nach weiter» Graden, und würde vielleicht noch heute immatrikulirt sein, hätte nicht das Schicksal zweimal rauh und kalt in seine idyllische Existenz eingegriffen. Das erstemal ge¬ schah dies, als er mit einigen jüngern Studenten eine „Spritztour" machte. Sie waren in einem Lnndwirtshanse eingeregnet und Vertrieben sich die Zeit mit dem dünnen Bier und deu abgegriffenem Karten, den einzigen Genüssen, die das Haus zu bieten hatte. Plötzlich blieb die Wirtin, die ab- und zugegangen War und die Gespräche der Studenten gehört hatte, vor Schmauch steheu mit der schüchternen Frage,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/186>, abgerufen am 01.05.2024.