Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Germanische Altertümer
aus den Bauerdörfern Nordungarns.
von Rarl Rhamm.
Z. Die Hausgenossenschaften in den Haudörfern und ihr Lüde. (Schluß,)

es muß nun noch einer eigentümlich und für das Wesen des
ganzen Verhältnisses sehr bezeichnenden Gewohnheit Erwähnung
thun, durch welche für eine gewisse und gegenseitige Ausgleichung
unter den einzelnen, bald anwachsenden, bald abnehmenden Ge-
schlcchtsgenossenschaften Sorge getragen wurde. Man hat mir
merkwürdigerweise gesagt, daß eine Übervölkerung einer "Behausung" -- dies
ist der Ausdruck des Stadtbuchs -- nicht leicht vorkommen könne, da ja, wie
wir gesehen, die Erwerbsthätigkeit der Glieder sich nicht auf den Hof beschränkte.
Im Notfall konnte man ja einige jüngere Söhne in die Stadt schicken, um ein
Handwerk zu lernen, wie es nach Krischko früher auch bei dem ungarischen Klein¬
adel Brauch war. Es konnte aber auch der andre Fall eintreten, daß ein Haus
infolge von Todesfällen, Kinderlosigkeit verödete und es an Händen fehlte, um
das Feld gehörig zu bestellen. Man konnte sich dadurch zu helfen suchen, daß
man die Söhne früh verheiratete, wie überhaupt frühe Heiraten, der Burschen
mit dem vierzehnten, der Mädchen mit dem zwölften Lebensjahre damals sehr
im Schwange gewesen sein sollen. Man konnte Knechte annehmen, die freilich Lohn
kosteten. Aber es gab noch einen andern Ausweg, der obendrein Geld ins Haus
brachte. Man konnte ans einem übervölkerten Geschlecht ein Mitglied aufnehmen,
das sich dann dnrch eine Einzahlung einkaufen mußte, welche aber nicht etwa
nach dem Grundwert des Hofes, sondern nach dein Betriebsinventar, dem
Zugvieh, Wagen, Pflug n. s. w. berechnet wurde, vou dem er deu auf seinen
Anteil fallenden Schützwert zu entrichten hatte. Waren also in der Genossen¬
schaft schon fünf Mitglieder, so zahlte er den sechsten Teil. Außerdem wird
für seine Person noch verlangt, daß er zur "Freundschaft" im alten Sinne
gehöre, daß er mit dem Hanse verwandt sei. Häufig wurde eine derartige
Aufnahme dadurch vermittelt, daß der Eintretende eine Tochter aus dem Hause
heiratete.

Im Innern der Hausgenossenschaft herrschte -- getragen dnrch die alt¬
hergebrachte Sitte -- größte Verträglichkeit und strenge Unterordnung unter
den Wirt. War ein Mitglied aufsäßig, trunksüchtig, wurde es eine Gefahr für


Germanische Altertümer
aus den Bauerdörfern Nordungarns.
von Rarl Rhamm.
Z. Die Hausgenossenschaften in den Haudörfern und ihr Lüde. (Schluß,)

es muß nun noch einer eigentümlich und für das Wesen des
ganzen Verhältnisses sehr bezeichnenden Gewohnheit Erwähnung
thun, durch welche für eine gewisse und gegenseitige Ausgleichung
unter den einzelnen, bald anwachsenden, bald abnehmenden Ge-
schlcchtsgenossenschaften Sorge getragen wurde. Man hat mir
merkwürdigerweise gesagt, daß eine Übervölkerung einer „Behausung" — dies
ist der Ausdruck des Stadtbuchs — nicht leicht vorkommen könne, da ja, wie
wir gesehen, die Erwerbsthätigkeit der Glieder sich nicht auf den Hof beschränkte.
Im Notfall konnte man ja einige jüngere Söhne in die Stadt schicken, um ein
Handwerk zu lernen, wie es nach Krischko früher auch bei dem ungarischen Klein¬
adel Brauch war. Es konnte aber auch der andre Fall eintreten, daß ein Haus
infolge von Todesfällen, Kinderlosigkeit verödete und es an Händen fehlte, um
das Feld gehörig zu bestellen. Man konnte sich dadurch zu helfen suchen, daß
man die Söhne früh verheiratete, wie überhaupt frühe Heiraten, der Burschen
mit dem vierzehnten, der Mädchen mit dem zwölften Lebensjahre damals sehr
im Schwange gewesen sein sollen. Man konnte Knechte annehmen, die freilich Lohn
kosteten. Aber es gab noch einen andern Ausweg, der obendrein Geld ins Haus
brachte. Man konnte ans einem übervölkerten Geschlecht ein Mitglied aufnehmen,
das sich dann dnrch eine Einzahlung einkaufen mußte, welche aber nicht etwa
nach dem Grundwert des Hofes, sondern nach dein Betriebsinventar, dem
Zugvieh, Wagen, Pflug n. s. w. berechnet wurde, vou dem er deu auf seinen
Anteil fallenden Schützwert zu entrichten hatte. Waren also in der Genossen¬
schaft schon fünf Mitglieder, so zahlte er den sechsten Teil. Außerdem wird
für seine Person noch verlangt, daß er zur „Freundschaft" im alten Sinne
gehöre, daß er mit dem Hanse verwandt sei. Häufig wurde eine derartige
Aufnahme dadurch vermittelt, daß der Eintretende eine Tochter aus dem Hause
heiratete.

Im Innern der Hausgenossenschaft herrschte — getragen dnrch die alt¬
hergebrachte Sitte — größte Verträglichkeit und strenge Unterordnung unter
den Wirt. War ein Mitglied aufsäßig, trunksüchtig, wurde es eine Gefahr für


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199622"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Germanische Altertümer<lb/>
aus den Bauerdörfern Nordungarns.<lb/><note type="byline"> von Rarl Rhamm.</note><lb/>
Z. Die Hausgenossenschaften in den Haudörfern und ihr Lüde. (Schluß,) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1097"> es muß nun noch einer eigentümlich und für das Wesen des<lb/>
ganzen Verhältnisses sehr bezeichnenden Gewohnheit Erwähnung<lb/>
thun, durch welche für eine gewisse und gegenseitige Ausgleichung<lb/>
unter den einzelnen, bald anwachsenden, bald abnehmenden Ge-<lb/>
schlcchtsgenossenschaften Sorge getragen wurde. Man hat mir<lb/>
merkwürdigerweise gesagt, daß eine Übervölkerung einer &#x201E;Behausung" &#x2014; dies<lb/>
ist der Ausdruck des Stadtbuchs &#x2014; nicht leicht vorkommen könne, da ja, wie<lb/>
wir gesehen, die Erwerbsthätigkeit der Glieder sich nicht auf den Hof beschränkte.<lb/>
Im Notfall konnte man ja einige jüngere Söhne in die Stadt schicken, um ein<lb/>
Handwerk zu lernen, wie es nach Krischko früher auch bei dem ungarischen Klein¬<lb/>
adel Brauch war. Es konnte aber auch der andre Fall eintreten, daß ein Haus<lb/>
infolge von Todesfällen, Kinderlosigkeit verödete und es an Händen fehlte, um<lb/>
das Feld gehörig zu bestellen. Man konnte sich dadurch zu helfen suchen, daß<lb/>
man die Söhne früh verheiratete, wie überhaupt frühe Heiraten, der Burschen<lb/>
mit dem vierzehnten, der Mädchen mit dem zwölften Lebensjahre damals sehr<lb/>
im Schwange gewesen sein sollen. Man konnte Knechte annehmen, die freilich Lohn<lb/>
kosteten. Aber es gab noch einen andern Ausweg, der obendrein Geld ins Haus<lb/>
brachte. Man konnte ans einem übervölkerten Geschlecht ein Mitglied aufnehmen,<lb/>
das sich dann dnrch eine Einzahlung einkaufen mußte, welche aber nicht etwa<lb/>
nach dem Grundwert des Hofes, sondern nach dein Betriebsinventar, dem<lb/>
Zugvieh, Wagen, Pflug n. s. w. berechnet wurde, vou dem er deu auf seinen<lb/>
Anteil fallenden Schützwert zu entrichten hatte. Waren also in der Genossen¬<lb/>
schaft schon fünf Mitglieder, so zahlte er den sechsten Teil. Außerdem wird<lb/>
für seine Person noch verlangt, daß er zur &#x201E;Freundschaft" im alten Sinne<lb/>
gehöre, daß er mit dem Hanse verwandt sei. Häufig wurde eine derartige<lb/>
Aufnahme dadurch vermittelt, daß der Eintretende eine Tochter aus dem Hause<lb/>
heiratete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1098" next="#ID_1099"> Im Innern der Hausgenossenschaft herrschte &#x2014; getragen dnrch die alt¬<lb/>
hergebrachte Sitte &#x2014; größte Verträglichkeit und strenge Unterordnung unter<lb/>
den Wirt. War ein Mitglied aufsäßig, trunksüchtig, wurde es eine Gefahr für</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0268] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. von Rarl Rhamm. Z. Die Hausgenossenschaften in den Haudörfern und ihr Lüde. (Schluß,) es muß nun noch einer eigentümlich und für das Wesen des ganzen Verhältnisses sehr bezeichnenden Gewohnheit Erwähnung thun, durch welche für eine gewisse und gegenseitige Ausgleichung unter den einzelnen, bald anwachsenden, bald abnehmenden Ge- schlcchtsgenossenschaften Sorge getragen wurde. Man hat mir merkwürdigerweise gesagt, daß eine Übervölkerung einer „Behausung" — dies ist der Ausdruck des Stadtbuchs — nicht leicht vorkommen könne, da ja, wie wir gesehen, die Erwerbsthätigkeit der Glieder sich nicht auf den Hof beschränkte. Im Notfall konnte man ja einige jüngere Söhne in die Stadt schicken, um ein Handwerk zu lernen, wie es nach Krischko früher auch bei dem ungarischen Klein¬ adel Brauch war. Es konnte aber auch der andre Fall eintreten, daß ein Haus infolge von Todesfällen, Kinderlosigkeit verödete und es an Händen fehlte, um das Feld gehörig zu bestellen. Man konnte sich dadurch zu helfen suchen, daß man die Söhne früh verheiratete, wie überhaupt frühe Heiraten, der Burschen mit dem vierzehnten, der Mädchen mit dem zwölften Lebensjahre damals sehr im Schwange gewesen sein sollen. Man konnte Knechte annehmen, die freilich Lohn kosteten. Aber es gab noch einen andern Ausweg, der obendrein Geld ins Haus brachte. Man konnte ans einem übervölkerten Geschlecht ein Mitglied aufnehmen, das sich dann dnrch eine Einzahlung einkaufen mußte, welche aber nicht etwa nach dem Grundwert des Hofes, sondern nach dein Betriebsinventar, dem Zugvieh, Wagen, Pflug n. s. w. berechnet wurde, vou dem er deu auf seinen Anteil fallenden Schützwert zu entrichten hatte. Waren also in der Genossen¬ schaft schon fünf Mitglieder, so zahlte er den sechsten Teil. Außerdem wird für seine Person noch verlangt, daß er zur „Freundschaft" im alten Sinne gehöre, daß er mit dem Hanse verwandt sei. Häufig wurde eine derartige Aufnahme dadurch vermittelt, daß der Eintretende eine Tochter aus dem Hause heiratete. Im Innern der Hausgenossenschaft herrschte — getragen dnrch die alt¬ hergebrachte Sitte — größte Verträglichkeit und strenge Unterordnung unter den Wirt. War ein Mitglied aufsäßig, trunksüchtig, wurde es eine Gefahr für

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/268
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/268>, abgerufen am 29.04.2024.