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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Zurückkehrt? Diese Frage treibt
Sich stets in meinem alten Kopf umher --
Ich fürchte, daß sie unentschieden bleibt.

Die Lösung des Ahasver-Problems verschiebt der Dichter auf das Ende der
Zeiten. So "konfessionslos" wie sein Held, ist der Dichter selbst, und sein
Gedicht wird dadurch, bei allen Schwächen, die nicht wegzuleugnen sind, zu
einem merkwürdigen Denkmal unsrer Zeit, die wohl weiß, was Religion ist,
aber keine Religion hat.


Moritz Necker.


Neue Theaterstücke.
von Eugen Reiche!.

ES ist müßiges Geschwätz, das von einseitigen
oder blasirten Leuten ausgeht und zu allen Zeilen
ausgegangen ist: die Zeit des Theaters sei vorüber,
die Deutschen hätten Wichtigeres zu thun. Unwahr
zu jeder Zeit! Das Theater ist und bleibt die po¬
pulärste, wirksamste Kunst. Keine kann soviel bieten.
Es ist immer des Schweißes der Edeln wert, die
sich darum bemühen, es zu bereichern, es zu erhöhe".

Heinrich Laube.

s ist eine Thatsache, daß das Theater in Deutschland auch heute
noch immer nicht jene feststehende Hochachtung der eigentlich Ge¬
bildeten genießt, die es doch notwendigerweise braucht, wenn es
als ein wesentlicher, durch nichts andres zu ersetzender Knltur-
faltor seine Aufgabe erfüllen soll. Zwar darf immerhin behauptet
werden, daß das deutsche Theater der Gegenwart, wenn man der Theater-
Verhältnisse im achtzehnten und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts gedenkt,gewissermaßen sein goldenes Zeitalter erlebt; aber wir, dieMWB



-) Justus Möser erklärte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, "daß keine Stadt in
Deutschland so groß und volkreich sei, um eine ziehende Gesellschaft, die sich bloß von ihren
Vorstellungen erdulden will, lauge bei sich ernähren zu können," und wünschte, "daß einige
Einwohner einer Stadt, sie mögen sich nun von der Feder oder vom Leder nähren, sich zur
Bühne geschickt machen und für einen niäßigeu Nebengcwinnst ihren Mitbürgern etwa die Woche
zweimal das Vergnügen eines Schauspiels bereiten möchten." KarhLessing berichtete 1768 aus
Berlin: "Seit deu zwei Monaten, daß Döbbelin spielt, hat er neun ganze Stücke auf das Theater
gebracht, die sich die Berliner längst zum Ekel gesehen hatten, da sie noch besser gegeben
wurden als jetzt." Lessing schrieb 1772 an seinen Bruder: "Döbbelin spielt in Braunschweig
mit sehr mäßigem Beifall, und reich soll er wenigstens dabei nicht werden." Eva König
schrieb in demselben Jahre von Wien ans: "Nach dem allgemeinen Urteil soll das deutsche
Theater seit einem halben Jahre sehr gesunken sein, und mei" Schwager sagt: wenn es je¬
mals mit Recht wäre gelobt wordeu, so sei es wirklich wieder gefallen. Er findet es unter
dem Mittelmäßigen." Engel machte 1786 in seiner "Mimik" Vorschläge zur Hebung des
Grenzboten IV. 1886. 36
Neue Theaterstücke.

Zurückkehrt? Diese Frage treibt
Sich stets in meinem alten Kopf umher —
Ich fürchte, daß sie unentschieden bleibt.

Die Lösung des Ahasver-Problems verschiebt der Dichter auf das Ende der
Zeiten. So „konfessionslos" wie sein Held, ist der Dichter selbst, und sein
Gedicht wird dadurch, bei allen Schwächen, die nicht wegzuleugnen sind, zu
einem merkwürdigen Denkmal unsrer Zeit, die wohl weiß, was Religion ist,
aber keine Religion hat.


Moritz Necker.


Neue Theaterstücke.
von Eugen Reiche!.

ES ist müßiges Geschwätz, das von einseitigen
oder blasirten Leuten ausgeht und zu allen Zeilen
ausgegangen ist: die Zeit des Theaters sei vorüber,
die Deutschen hätten Wichtigeres zu thun. Unwahr
zu jeder Zeit! Das Theater ist und bleibt die po¬
pulärste, wirksamste Kunst. Keine kann soviel bieten.
Es ist immer des Schweißes der Edeln wert, die
sich darum bemühen, es zu bereichern, es zu erhöhe».

Heinrich Laube.

s ist eine Thatsache, daß das Theater in Deutschland auch heute
noch immer nicht jene feststehende Hochachtung der eigentlich Ge¬
bildeten genießt, die es doch notwendigerweise braucht, wenn es
als ein wesentlicher, durch nichts andres zu ersetzender Knltur-
faltor seine Aufgabe erfüllen soll. Zwar darf immerhin behauptet
werden, daß das deutsche Theater der Gegenwart, wenn man der Theater-
Verhältnisse im achtzehnten und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr¬
hunderts gedenkt,gewissermaßen sein goldenes Zeitalter erlebt; aber wir, dieMWB



-) Justus Möser erklärte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, „daß keine Stadt in
Deutschland so groß und volkreich sei, um eine ziehende Gesellschaft, die sich bloß von ihren
Vorstellungen erdulden will, lauge bei sich ernähren zu können," und wünschte, „daß einige
Einwohner einer Stadt, sie mögen sich nun von der Feder oder vom Leder nähren, sich zur
Bühne geschickt machen und für einen niäßigeu Nebengcwinnst ihren Mitbürgern etwa die Woche
zweimal das Vergnügen eines Schauspiels bereiten möchten." KarhLessing berichtete 1768 aus
Berlin: „Seit deu zwei Monaten, daß Döbbelin spielt, hat er neun ganze Stücke auf das Theater
gebracht, die sich die Berliner längst zum Ekel gesehen hatten, da sie noch besser gegeben
wurden als jetzt." Lessing schrieb 1772 an seinen Bruder: „Döbbelin spielt in Braunschweig
mit sehr mäßigem Beifall, und reich soll er wenigstens dabei nicht werden." Eva König
schrieb in demselben Jahre von Wien ans: „Nach dem allgemeinen Urteil soll das deutsche
Theater seit einem halben Jahre sehr gesunken sein, und mei« Schwager sagt: wenn es je¬
mals mit Recht wäre gelobt wordeu, so sei es wirklich wieder gefallen. Er findet es unter
dem Mittelmäßigen." Engel machte 1786 in seiner „Mimik" Vorschläge zur Hebung des
Grenzboten IV. 1886. 36
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[0289] Neue Theaterstücke. Zurückkehrt? Diese Frage treibt Sich stets in meinem alten Kopf umher — Ich fürchte, daß sie unentschieden bleibt. Die Lösung des Ahasver-Problems verschiebt der Dichter auf das Ende der Zeiten. So „konfessionslos" wie sein Held, ist der Dichter selbst, und sein Gedicht wird dadurch, bei allen Schwächen, die nicht wegzuleugnen sind, zu einem merkwürdigen Denkmal unsrer Zeit, die wohl weiß, was Religion ist, aber keine Religion hat. Moritz Necker. Neue Theaterstücke. von Eugen Reiche!. ES ist müßiges Geschwätz, das von einseitigen oder blasirten Leuten ausgeht und zu allen Zeilen ausgegangen ist: die Zeit des Theaters sei vorüber, die Deutschen hätten Wichtigeres zu thun. Unwahr zu jeder Zeit! Das Theater ist und bleibt die po¬ pulärste, wirksamste Kunst. Keine kann soviel bieten. Es ist immer des Schweißes der Edeln wert, die sich darum bemühen, es zu bereichern, es zu erhöhe». Heinrich Laube. s ist eine Thatsache, daß das Theater in Deutschland auch heute noch immer nicht jene feststehende Hochachtung der eigentlich Ge¬ bildeten genießt, die es doch notwendigerweise braucht, wenn es als ein wesentlicher, durch nichts andres zu ersetzender Knltur- faltor seine Aufgabe erfüllen soll. Zwar darf immerhin behauptet werden, daß das deutsche Theater der Gegenwart, wenn man der Theater- Verhältnisse im achtzehnten und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr¬ hunderts gedenkt,gewissermaßen sein goldenes Zeitalter erlebt; aber wir, dieMWB -) Justus Möser erklärte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, „daß keine Stadt in Deutschland so groß und volkreich sei, um eine ziehende Gesellschaft, die sich bloß von ihren Vorstellungen erdulden will, lauge bei sich ernähren zu können," und wünschte, „daß einige Einwohner einer Stadt, sie mögen sich nun von der Feder oder vom Leder nähren, sich zur Bühne geschickt machen und für einen niäßigeu Nebengcwinnst ihren Mitbürgern etwa die Woche zweimal das Vergnügen eines Schauspiels bereiten möchten." KarhLessing berichtete 1768 aus Berlin: „Seit deu zwei Monaten, daß Döbbelin spielt, hat er neun ganze Stücke auf das Theater gebracht, die sich die Berliner längst zum Ekel gesehen hatten, da sie noch besser gegeben wurden als jetzt." Lessing schrieb 1772 an seinen Bruder: „Döbbelin spielt in Braunschweig mit sehr mäßigem Beifall, und reich soll er wenigstens dabei nicht werden." Eva König schrieb in demselben Jahre von Wien ans: „Nach dem allgemeinen Urteil soll das deutsche Theater seit einem halben Jahre sehr gesunken sein, und mei« Schwager sagt: wenn es je¬ mals mit Recht wäre gelobt wordeu, so sei es wirklich wieder gefallen. Er findet es unter dem Mittelmäßigen." Engel machte 1786 in seiner „Mimik" Vorschläge zur Hebung des Grenzboten IV. 1886. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/289>, abgerufen am 29.04.2024.