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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

Das Tiefste, Reichste aufgestört.
Doch niemals hat es aufgehört,
Mit scharfem Zahn an uns zu nagen,
Mit steter Sehnsucht uns zu plage".
Nie ließ er nach, der innere Tyrann,
Der stets erneute Qual ersann;
Es zeugte jeder Fortschritt nur aufs neue
Uns Leiden, Zweifel, Überdruß und Reue,
Und heut, da ich der Menschheit großes Buch
Beschließe, faßt mich wehmutsvolles Sehnen;
Auf jedem Blatte dieses Buchs sind Thränen;
Und auf dein letzten Blatte steht ein Fluch,
So ist's mit unserer Gottähnlichkeit!
Erdrückt vom Jammer der Vergangenheit,
Schlaflos vom Schmerzensschrei der Millionen,
Die wesenlos in diesen Trümmern wohnen,
Freudlos am Ausgang alles Erdenglücks
Erleben wir den Schluß des alten Stücks.

Nun kommen alle bösen Dämonen herein, um von dem letzten Menschen das Erbe
der Welt zu übernehmen. Aber mit der Menschheit ist auch die Existenz jener bösen
Dämonen zu Eude. Den letzten Augenblick mit dem letzten Menschen zu teilen tritt
noch Minne auf die Bühne. Sie rufen den Dümvn des Todes herbei; er will sie
begnadigen, wenn sie sich lieben. Dem letzten Menschen macht Minne noch das
Herz schwer. Ahasver aber entscheidet: es soll gestorben werden. Er reißt
dem Dämon die Hülle vom Haupt. Donner, tiefe Finsternis. Der Vorhang
der kleinen Bühne fällt. Schweigen in der Zuhörerschaft. Allein die Königin
des Festes, die Phantasie, ist mit diesem Schluß nicht zufrieden; sie läßt uach
ihrem Königsrecht den Vorhang noch einmal aufgehen, eine großartige Land¬
schaft erscheint, im Hintergrunde auf einem Berge ein Helles Licht. Die Königin
feiert in begeistertem Hymnus die Schönheit der Welt und die Größe des
Menschen. In der Kunst wird schließlich der einzige Trost des Menschen gesehen:


Der Mensch muß an sich selbst zum Künstler werden;
Wenn das einst jeder weiß und thut,
Dann ist das Schönste allgemeines Gut,
Dann ist das Reich der Phantasie auf Erden!

Ahasver ist andrer Meinung; er bleibt der unverbesserliche Pessimist. Das
erfahren wir aus dem Nachspiel, in welchem Graumann, Schwarz und der
Dichter Kurt vom Feste heimkehrend vorgestellt werden. Schwarz bleibt dabei:
"Der letzte Mensch ist jedenfalls ein Narr";


Für mich ist fraglich nur ein einzig Ding:
Das Ew'ge -- ist es ein gcschlossner Ring?
Ist es ein Strom, der stets der gleichen Quelle
Entströmt und nie zur alten Stelle

Der ewige Jude.

Das Tiefste, Reichste aufgestört.
Doch niemals hat es aufgehört,
Mit scharfem Zahn an uns zu nagen,
Mit steter Sehnsucht uns zu plage».
Nie ließ er nach, der innere Tyrann,
Der stets erneute Qual ersann;
Es zeugte jeder Fortschritt nur aufs neue
Uns Leiden, Zweifel, Überdruß und Reue,
Und heut, da ich der Menschheit großes Buch
Beschließe, faßt mich wehmutsvolles Sehnen;
Auf jedem Blatte dieses Buchs sind Thränen;
Und auf dein letzten Blatte steht ein Fluch,
So ist's mit unserer Gottähnlichkeit!
Erdrückt vom Jammer der Vergangenheit,
Schlaflos vom Schmerzensschrei der Millionen,
Die wesenlos in diesen Trümmern wohnen,
Freudlos am Ausgang alles Erdenglücks
Erleben wir den Schluß des alten Stücks.

Nun kommen alle bösen Dämonen herein, um von dem letzten Menschen das Erbe
der Welt zu übernehmen. Aber mit der Menschheit ist auch die Existenz jener bösen
Dämonen zu Eude. Den letzten Augenblick mit dem letzten Menschen zu teilen tritt
noch Minne auf die Bühne. Sie rufen den Dümvn des Todes herbei; er will sie
begnadigen, wenn sie sich lieben. Dem letzten Menschen macht Minne noch das
Herz schwer. Ahasver aber entscheidet: es soll gestorben werden. Er reißt
dem Dämon die Hülle vom Haupt. Donner, tiefe Finsternis. Der Vorhang
der kleinen Bühne fällt. Schweigen in der Zuhörerschaft. Allein die Königin
des Festes, die Phantasie, ist mit diesem Schluß nicht zufrieden; sie läßt uach
ihrem Königsrecht den Vorhang noch einmal aufgehen, eine großartige Land¬
schaft erscheint, im Hintergrunde auf einem Berge ein Helles Licht. Die Königin
feiert in begeistertem Hymnus die Schönheit der Welt und die Größe des
Menschen. In der Kunst wird schließlich der einzige Trost des Menschen gesehen:


Der Mensch muß an sich selbst zum Künstler werden;
Wenn das einst jeder weiß und thut,
Dann ist das Schönste allgemeines Gut,
Dann ist das Reich der Phantasie auf Erden!

Ahasver ist andrer Meinung; er bleibt der unverbesserliche Pessimist. Das
erfahren wir aus dem Nachspiel, in welchem Graumann, Schwarz und der
Dichter Kurt vom Feste heimkehrend vorgestellt werden. Schwarz bleibt dabei:
„Der letzte Mensch ist jedenfalls ein Narr";


Für mich ist fraglich nur ein einzig Ding:
Das Ew'ge — ist es ein gcschlossner Ring?
Ist es ein Strom, der stets der gleichen Quelle
Entströmt und nie zur alten Stelle

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[0288] Der ewige Jude. Das Tiefste, Reichste aufgestört. Doch niemals hat es aufgehört, Mit scharfem Zahn an uns zu nagen, Mit steter Sehnsucht uns zu plage». Nie ließ er nach, der innere Tyrann, Der stets erneute Qual ersann; Es zeugte jeder Fortschritt nur aufs neue Uns Leiden, Zweifel, Überdruß und Reue, Und heut, da ich der Menschheit großes Buch Beschließe, faßt mich wehmutsvolles Sehnen; Auf jedem Blatte dieses Buchs sind Thränen; Und auf dein letzten Blatte steht ein Fluch, So ist's mit unserer Gottähnlichkeit! Erdrückt vom Jammer der Vergangenheit, Schlaflos vom Schmerzensschrei der Millionen, Die wesenlos in diesen Trümmern wohnen, Freudlos am Ausgang alles Erdenglücks Erleben wir den Schluß des alten Stücks. Nun kommen alle bösen Dämonen herein, um von dem letzten Menschen das Erbe der Welt zu übernehmen. Aber mit der Menschheit ist auch die Existenz jener bösen Dämonen zu Eude. Den letzten Augenblick mit dem letzten Menschen zu teilen tritt noch Minne auf die Bühne. Sie rufen den Dümvn des Todes herbei; er will sie begnadigen, wenn sie sich lieben. Dem letzten Menschen macht Minne noch das Herz schwer. Ahasver aber entscheidet: es soll gestorben werden. Er reißt dem Dämon die Hülle vom Haupt. Donner, tiefe Finsternis. Der Vorhang der kleinen Bühne fällt. Schweigen in der Zuhörerschaft. Allein die Königin des Festes, die Phantasie, ist mit diesem Schluß nicht zufrieden; sie läßt uach ihrem Königsrecht den Vorhang noch einmal aufgehen, eine großartige Land¬ schaft erscheint, im Hintergrunde auf einem Berge ein Helles Licht. Die Königin feiert in begeistertem Hymnus die Schönheit der Welt und die Größe des Menschen. In der Kunst wird schließlich der einzige Trost des Menschen gesehen: Der Mensch muß an sich selbst zum Künstler werden; Wenn das einst jeder weiß und thut, Dann ist das Schönste allgemeines Gut, Dann ist das Reich der Phantasie auf Erden! Ahasver ist andrer Meinung; er bleibt der unverbesserliche Pessimist. Das erfahren wir aus dem Nachspiel, in welchem Graumann, Schwarz und der Dichter Kurt vom Feste heimkehrend vorgestellt werden. Schwarz bleibt dabei: „Der letzte Mensch ist jedenfalls ein Narr"; Für mich ist fraglich nur ein einzig Ding: Das Ew'ge — ist es ein gcschlossner Ring? Ist es ein Strom, der stets der gleichen Quelle Entströmt und nie zur alten Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/288>, abgerufen am 16.05.2024.