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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Mer.

ach längerer Abwesenheit habe ich Wien in manchen äußerlichen
Dingen verändert, in der Hauptsache aber als das alte, das ewig
junge wiedergefunden. Viele bestreikn die Nichtigkeit dieser Be¬
obachtung. Nach ihrer Meinung altert die Stadt, die Jugend-
frische soll gewichen sein, ohne durch Reife ersetzt zu werden. Aber
wenn ich betrachte, wofür sich Wien laut interessirt und wie es sein Interesse äußert,
so wird mir zu Mute, als ob wir nicht 1886, sondern 1866 schrieben, wohl
gar eine noch geringere Ziffer. Das deutet doch auf "gute Kouservirung"!
An die Zeit vor zwanzig Jahren aber wird man besonders lebhaft erinnert.
Wie ich höre, sollen vor wenigen Wochen die tonangebenden Zeitungen ebenso
kriegslustig und siegesgewiß gewesen sein, nur daß es diesmal auf den Russen
abgesehen war. Und nun wimmeln die Blätter von Biographien, Nekrologen,
Erinnerungen, Anekdoten, deren Held Graf Beust ist. Am 23. Oktober 1886
ist er gestorben, 364 Tage nach seinem Pylades Baron Hofmann, am 30. Ok¬
tober 1866 war er zum Minister des Auswärtigen ernannt worden.
Man hat oft ausgesprochen, diese beiden Persönlichkeiten hätten "nnr in Öster¬
reich" zu so einflußreichen Stellungen gelangen können. So äußert sich der Pessi¬
mismus, welchen gerade Beust einmal als unsern Hauptfehler bezeichnet hat.
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß für einen satirischen Roman keine besseren
Vorbilder zu finden wären. Sie waren verschlagen in eine Zeit, welche von
Staatsmännern andre Eigenschaften als "Leichtigkeit" fordert; aber leichtes Herz,
leichte Zunge, leichte Feder, leichte Füße u. f. w. besaßen beide, und so fanden sie
sich und nahmen mit einander den Staat auf die leichte Achsel.

Die Erinnerungen an Hofmann führen noch weiter zurück, in die Zeit, als
im Auswärtigen Amte lauter streng kirchlich gesinnte Herren saßen, zum Teil


Grenzboten IV. 1386. 38


Aus Mer.

ach längerer Abwesenheit habe ich Wien in manchen äußerlichen
Dingen verändert, in der Hauptsache aber als das alte, das ewig
junge wiedergefunden. Viele bestreikn die Nichtigkeit dieser Be¬
obachtung. Nach ihrer Meinung altert die Stadt, die Jugend-
frische soll gewichen sein, ohne durch Reife ersetzt zu werden. Aber
wenn ich betrachte, wofür sich Wien laut interessirt und wie es sein Interesse äußert,
so wird mir zu Mute, als ob wir nicht 1886, sondern 1866 schrieben, wohl
gar eine noch geringere Ziffer. Das deutet doch auf „gute Kouservirung"!
An die Zeit vor zwanzig Jahren aber wird man besonders lebhaft erinnert.
Wie ich höre, sollen vor wenigen Wochen die tonangebenden Zeitungen ebenso
kriegslustig und siegesgewiß gewesen sein, nur daß es diesmal auf den Russen
abgesehen war. Und nun wimmeln die Blätter von Biographien, Nekrologen,
Erinnerungen, Anekdoten, deren Held Graf Beust ist. Am 23. Oktober 1886
ist er gestorben, 364 Tage nach seinem Pylades Baron Hofmann, am 30. Ok¬
tober 1866 war er zum Minister des Auswärtigen ernannt worden.
Man hat oft ausgesprochen, diese beiden Persönlichkeiten hätten „nnr in Öster¬
reich" zu so einflußreichen Stellungen gelangen können. So äußert sich der Pessi¬
mismus, welchen gerade Beust einmal als unsern Hauptfehler bezeichnet hat.
Indessen läßt sich nicht leugnen, daß für einen satirischen Roman keine besseren
Vorbilder zu finden wären. Sie waren verschlagen in eine Zeit, welche von
Staatsmännern andre Eigenschaften als „Leichtigkeit" fordert; aber leichtes Herz,
leichte Zunge, leichte Feder, leichte Füße u. f. w. besaßen beide, und so fanden sie
sich und nahmen mit einander den Staat auf die leichte Achsel.

Die Erinnerungen an Hofmann führen noch weiter zurück, in die Zeit, als
im Auswärtigen Amte lauter streng kirchlich gesinnte Herren saßen, zum Teil


Grenzboten IV. 1386. 38
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[0305] [Abbildung] Aus Mer. ach längerer Abwesenheit habe ich Wien in manchen äußerlichen Dingen verändert, in der Hauptsache aber als das alte, das ewig junge wiedergefunden. Viele bestreikn die Nichtigkeit dieser Be¬ obachtung. Nach ihrer Meinung altert die Stadt, die Jugend- frische soll gewichen sein, ohne durch Reife ersetzt zu werden. Aber wenn ich betrachte, wofür sich Wien laut interessirt und wie es sein Interesse äußert, so wird mir zu Mute, als ob wir nicht 1886, sondern 1866 schrieben, wohl gar eine noch geringere Ziffer. Das deutet doch auf „gute Kouservirung"! An die Zeit vor zwanzig Jahren aber wird man besonders lebhaft erinnert. Wie ich höre, sollen vor wenigen Wochen die tonangebenden Zeitungen ebenso kriegslustig und siegesgewiß gewesen sein, nur daß es diesmal auf den Russen abgesehen war. Und nun wimmeln die Blätter von Biographien, Nekrologen, Erinnerungen, Anekdoten, deren Held Graf Beust ist. Am 23. Oktober 1886 ist er gestorben, 364 Tage nach seinem Pylades Baron Hofmann, am 30. Ok¬ tober 1866 war er zum Minister des Auswärtigen ernannt worden. Man hat oft ausgesprochen, diese beiden Persönlichkeiten hätten „nnr in Öster¬ reich" zu so einflußreichen Stellungen gelangen können. So äußert sich der Pessi¬ mismus, welchen gerade Beust einmal als unsern Hauptfehler bezeichnet hat. Indessen läßt sich nicht leugnen, daß für einen satirischen Roman keine besseren Vorbilder zu finden wären. Sie waren verschlagen in eine Zeit, welche von Staatsmännern andre Eigenschaften als „Leichtigkeit" fordert; aber leichtes Herz, leichte Zunge, leichte Feder, leichte Füße u. f. w. besaßen beide, und so fanden sie sich und nahmen mit einander den Staat auf die leichte Achsel. Die Erinnerungen an Hofmann führen noch weiter zurück, in die Zeit, als im Auswärtigen Amte lauter streng kirchlich gesinnte Herren saßen, zum Teil Grenzboten IV. 1386. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/305>, abgerufen am 29.04.2024.