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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshnusen.

Wenn er meiner überdrüssig würde und hielte mir meine Armut vor! Rede mir
nicht mehr zu, Onkel! Befiehl oder erlaß es mir.

Du weißt, was du fallen läßt.

Sie küßte seine Hand. Er zog sie zurück. Laß das, ich mag es nicht.
Er sprach immer in dem gleichen, wenig bewegten Tone. Julie erhob sich und
sah ihn lächelnd an. Denkst du, Tante Cäcilie hätte uns ganz umsonst so
manchen Vortrag über das Wort "Heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser"
gehalten?

Heiter ging sie und wandte keinen Gedanken an den Mann, der dies ernste
Gespräch hervorgerufen hatte. Der kluge Geschäftsmann hatte sich einmal verrechnet.

Vierzehn Tage später, als der Postbote Müller wieder über die Brücke
schritt, reichte der Baron seiner Nichte ein Zeitungsblatt über den Frühstücks¬
tisch und wies ans eine Anzeige unter den Familiennachrichten:

BnleSka von Prtzcinsky
Gustav Brcunhold
Verlobte.
Merseburg. Ntederdetteuheun bei Erfurt.

Immer gut, wenn man uoch Waare auf Lager hat, sagte Julie gleichmütig,
indem sie das Blatt zurückschob; aber sie ärgerte sich doch etwas, daß der Fabrik¬
herr sich so rasch anderweitig umgesehen hatte.




Neuuuuddreißigstes Aapitel.

Wenn einmal der erste Reif gefallen ist, kommt der Winter schnell ins
Land. Vranue und rote Blätter liegen in den Wegen, glitzernde Eissplitter
glänzen darin und werden in der immer noch warmen Sonne zu Wasser.
Schlehen und Berberitzen schauen unerschrocken den Frostnächten entgegen, und die
Hagebutten leuchten weithin über die kahle Flur. Aber die Herbstluft weht rein
und frisch auf den Hügeln, und die Berge in der Ferne stehen in seltsamer
Deutlichkeit da, sodaß die Tanncnwaldung auf dem Kamme dem Auge erkennbar ist.

Die Farben des Herbstes sind wunderbar und prächtig. Nie erglänzt der
Fimmel in so köstlichem Not und Violett, als wenn die Sonne ihren kurzen
Lauf über die halb schlafende Flur beendet hat. Ans der Morgenseite liegt
Dämmerung über der Landschaft; unbestimmt und farblos sinkt die Nacht über
die Waldlinie; Himmel und Erde verschwimmen in einem grauen Dufte, nur ein
matter, rötlicher Wiederschein zieht für kurze Zeit über das kalte Bild, wie ein
Lächeln, das dem Tode einen Anschein des Lebens verleiht. Drüben aber glüht
und flammt es in dem grauabgetönten Gewölk, wie Goldadern ziehen die Streifen
über den Himmel, feurige Gebilde erscheinen zwischen den zackigen Bergformen,
welche die Wolken über dem Horizonte gebildet haben. Aber Schwefel und Gold
werden matter, das weiche Not hat die Oberhand, und sanfter begegnen sich die
einander bekämpfenden Himmclsfarbcn, bis Wolken und Berge in demselben
violetten Schimmer zusammenschmelzen, dann siegt auch hier die ruhige Nacht.

Ueber das Stoppelfeld schlüpft die Feldmaus, bewegt den Kopf und sieht mit
blitzenden Aeuglein um sich herum. Einige Krähen erheben schreiend ihre trägen
Schwingen und fliegen nach dem Holzgclände, das den Siebenhofcner Steinbruch
umgiebt. Dort setzen sie sich, eine neben die andre, und stecken die Köpfe unter
die Flügel.


Aus der Chronik derer von Riffelshnusen.

Wenn er meiner überdrüssig würde und hielte mir meine Armut vor! Rede mir
nicht mehr zu, Onkel! Befiehl oder erlaß es mir.

Du weißt, was du fallen läßt.

Sie küßte seine Hand. Er zog sie zurück. Laß das, ich mag es nicht.
Er sprach immer in dem gleichen, wenig bewegten Tone. Julie erhob sich und
sah ihn lächelnd an. Denkst du, Tante Cäcilie hätte uns ganz umsonst so
manchen Vortrag über das Wort „Heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser"
gehalten?

Heiter ging sie und wandte keinen Gedanken an den Mann, der dies ernste
Gespräch hervorgerufen hatte. Der kluge Geschäftsmann hatte sich einmal verrechnet.

Vierzehn Tage später, als der Postbote Müller wieder über die Brücke
schritt, reichte der Baron seiner Nichte ein Zeitungsblatt über den Frühstücks¬
tisch und wies ans eine Anzeige unter den Familiennachrichten:

BnleSka von Prtzcinsky
Gustav Brcunhold
Verlobte.
Merseburg. Ntederdetteuheun bei Erfurt.

Immer gut, wenn man uoch Waare auf Lager hat, sagte Julie gleichmütig,
indem sie das Blatt zurückschob; aber sie ärgerte sich doch etwas, daß der Fabrik¬
herr sich so rasch anderweitig umgesehen hatte.




Neuuuuddreißigstes Aapitel.

Wenn einmal der erste Reif gefallen ist, kommt der Winter schnell ins
Land. Vranue und rote Blätter liegen in den Wegen, glitzernde Eissplitter
glänzen darin und werden in der immer noch warmen Sonne zu Wasser.
Schlehen und Berberitzen schauen unerschrocken den Frostnächten entgegen, und die
Hagebutten leuchten weithin über die kahle Flur. Aber die Herbstluft weht rein
und frisch auf den Hügeln, und die Berge in der Ferne stehen in seltsamer
Deutlichkeit da, sodaß die Tanncnwaldung auf dem Kamme dem Auge erkennbar ist.

Die Farben des Herbstes sind wunderbar und prächtig. Nie erglänzt der
Fimmel in so köstlichem Not und Violett, als wenn die Sonne ihren kurzen
Lauf über die halb schlafende Flur beendet hat. Ans der Morgenseite liegt
Dämmerung über der Landschaft; unbestimmt und farblos sinkt die Nacht über
die Waldlinie; Himmel und Erde verschwimmen in einem grauen Dufte, nur ein
matter, rötlicher Wiederschein zieht für kurze Zeit über das kalte Bild, wie ein
Lächeln, das dem Tode einen Anschein des Lebens verleiht. Drüben aber glüht
und flammt es in dem grauabgetönten Gewölk, wie Goldadern ziehen die Streifen
über den Himmel, feurige Gebilde erscheinen zwischen den zackigen Bergformen,
welche die Wolken über dem Horizonte gebildet haben. Aber Schwefel und Gold
werden matter, das weiche Not hat die Oberhand, und sanfter begegnen sich die
einander bekämpfenden Himmclsfarbcn, bis Wolken und Berge in demselben
violetten Schimmer zusammenschmelzen, dann siegt auch hier die ruhige Nacht.

Ueber das Stoppelfeld schlüpft die Feldmaus, bewegt den Kopf und sieht mit
blitzenden Aeuglein um sich herum. Einige Krähen erheben schreiend ihre trägen
Schwingen und fliegen nach dem Holzgclände, das den Siebenhofcner Steinbruch
umgiebt. Dort setzen sie sich, eine neben die andre, und stecken die Köpfe unter
die Flügel.


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[0506] Aus der Chronik derer von Riffelshnusen. Wenn er meiner überdrüssig würde und hielte mir meine Armut vor! Rede mir nicht mehr zu, Onkel! Befiehl oder erlaß es mir. Du weißt, was du fallen läßt. Sie küßte seine Hand. Er zog sie zurück. Laß das, ich mag es nicht. Er sprach immer in dem gleichen, wenig bewegten Tone. Julie erhob sich und sah ihn lächelnd an. Denkst du, Tante Cäcilie hätte uns ganz umsonst so manchen Vortrag über das Wort „Heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser" gehalten? Heiter ging sie und wandte keinen Gedanken an den Mann, der dies ernste Gespräch hervorgerufen hatte. Der kluge Geschäftsmann hatte sich einmal verrechnet. Vierzehn Tage später, als der Postbote Müller wieder über die Brücke schritt, reichte der Baron seiner Nichte ein Zeitungsblatt über den Frühstücks¬ tisch und wies ans eine Anzeige unter den Familiennachrichten: BnleSka von Prtzcinsky Gustav Brcunhold Verlobte. Merseburg. Ntederdetteuheun bei Erfurt. Immer gut, wenn man uoch Waare auf Lager hat, sagte Julie gleichmütig, indem sie das Blatt zurückschob; aber sie ärgerte sich doch etwas, daß der Fabrik¬ herr sich so rasch anderweitig umgesehen hatte. Neuuuuddreißigstes Aapitel. Wenn einmal der erste Reif gefallen ist, kommt der Winter schnell ins Land. Vranue und rote Blätter liegen in den Wegen, glitzernde Eissplitter glänzen darin und werden in der immer noch warmen Sonne zu Wasser. Schlehen und Berberitzen schauen unerschrocken den Frostnächten entgegen, und die Hagebutten leuchten weithin über die kahle Flur. Aber die Herbstluft weht rein und frisch auf den Hügeln, und die Berge in der Ferne stehen in seltsamer Deutlichkeit da, sodaß die Tanncnwaldung auf dem Kamme dem Auge erkennbar ist. Die Farben des Herbstes sind wunderbar und prächtig. Nie erglänzt der Fimmel in so köstlichem Not und Violett, als wenn die Sonne ihren kurzen Lauf über die halb schlafende Flur beendet hat. Ans der Morgenseite liegt Dämmerung über der Landschaft; unbestimmt und farblos sinkt die Nacht über die Waldlinie; Himmel und Erde verschwimmen in einem grauen Dufte, nur ein matter, rötlicher Wiederschein zieht für kurze Zeit über das kalte Bild, wie ein Lächeln, das dem Tode einen Anschein des Lebens verleiht. Drüben aber glüht und flammt es in dem grauabgetönten Gewölk, wie Goldadern ziehen die Streifen über den Himmel, feurige Gebilde erscheinen zwischen den zackigen Bergformen, welche die Wolken über dem Horizonte gebildet haben. Aber Schwefel und Gold werden matter, das weiche Not hat die Oberhand, und sanfter begegnen sich die einander bekämpfenden Himmclsfarbcn, bis Wolken und Berge in demselben violetten Schimmer zusammenschmelzen, dann siegt auch hier die ruhige Nacht. Ueber das Stoppelfeld schlüpft die Feldmaus, bewegt den Kopf und sieht mit blitzenden Aeuglein um sich herum. Einige Krähen erheben schreiend ihre trägen Schwingen und fliegen nach dem Holzgclände, das den Siebenhofcner Steinbruch umgiebt. Dort setzen sie sich, eine neben die andre, und stecken die Köpfe unter die Flügel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/506>, abgerufen am 29.04.2024.