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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.
von Karl Borinski.

er Kritiker, dem es ein Bedürfnis ist, außerhalb des Rahmens
der obligaten Tageskritik bei Gelegenheit eines neuen bedeutsamen
Werkes auf seinen Schöpfer einzugehen, braucht hierfür bei Wildeu-
bruchs "Neuem Gebot" weder eine Rechtfertigung noch eine Er¬
klärung, Es ist von diesem Stücke in letzter Zeit soviel die Rede
gewesen, daß man ihm schon als Markstein im öffentlichen Kunstleben genauere
Beachtung angedeihen lassen müßte, selbst wenn es nicht von Wildenbruch, selbst
wenn es kein bedeutendes Stück wäre.

Das "Neue Gebot" ist seit -- nun vielleicht seit dem vielnmfochtcnen
"Fechter von Ravenna" das erste Theaterstück ernster Richtung, das wieder
eine allgemeine und große Aufmerksamkeit erregt. Die Gründe hierfür waren,
wie der literarisch gebildete weiß, bei jenem äußerlicher, ja lächerlicher Natur;
sie sind es, wie wir ihn überzeugen möchten, bei diesem nicht. Ein Menschen¬
alter liegt zwischen den beiden Stücken. Ließen sich aus der Vergleichung dieser
Gründe am Ende Schlüsse ziehen über Ab- und Aufstieg des deutschen Theaters,
welche eben dies Menschennlter begrenzt?

Wünschen wir dem neuen Stücke zu seinen vielen und großen den einen
und größten Erfolg, wieder am Ausgangspunkte einer höhern, einer sonnigeren
Bah" des deutschen Theaters zu stehen! Quittiren wir dem deutschen Publikum
dankbar seine alte Note: "Besser als sein Ruf," und wünschen wir, daß es von
nun an wieder öfter sein schätzbares Interesse dramatischen Fragen zuwenden
möge, die sich nicht bloß um verloren gegangene Briefe, überspannte Frauen¬
zimmer und gelangweilte Ehemänner drehen. Denn darum handelt es sich im
Kerne. Das historische Kostüm thut's freilich nicht, auch nicht der fünffüßige
Jambus. Aber darum handelt es sich, anzuerkennen, daß das große Theater,
das "Nationaltheater," vorwiegend zu andern Zwecken dasei, als zur dekora¬
tiven Verkörperung der Sensationsrvmane und der Feuilletons eines Massen-
blattes. Eine moralische Schule soll das Theater allerdings nicht sein, und
wir möchten bei diesem Anlaß wieder einmal scharf darauf hinweisen, daß nicht
das deutsche, sondern das französische Theater diesen Grnndirrtum angebracht
hat und trotz aller seiner moralischen Gefährlichkeit noch heute aufrecht erhält.
Aber eine ästhetische, eine Lebensschule soll es sein. Eine Art Anschauungs¬
unterricht der Ideale soll es bilden für das gesamte Volk, es soll der Jugend


Der Dramatiker der deutschen Jugend.
von Karl Borinski.

er Kritiker, dem es ein Bedürfnis ist, außerhalb des Rahmens
der obligaten Tageskritik bei Gelegenheit eines neuen bedeutsamen
Werkes auf seinen Schöpfer einzugehen, braucht hierfür bei Wildeu-
bruchs „Neuem Gebot" weder eine Rechtfertigung noch eine Er¬
klärung, Es ist von diesem Stücke in letzter Zeit soviel die Rede
gewesen, daß man ihm schon als Markstein im öffentlichen Kunstleben genauere
Beachtung angedeihen lassen müßte, selbst wenn es nicht von Wildenbruch, selbst
wenn es kein bedeutendes Stück wäre.

Das „Neue Gebot" ist seit — nun vielleicht seit dem vielnmfochtcnen
„Fechter von Ravenna" das erste Theaterstück ernster Richtung, das wieder
eine allgemeine und große Aufmerksamkeit erregt. Die Gründe hierfür waren,
wie der literarisch gebildete weiß, bei jenem äußerlicher, ja lächerlicher Natur;
sie sind es, wie wir ihn überzeugen möchten, bei diesem nicht. Ein Menschen¬
alter liegt zwischen den beiden Stücken. Ließen sich aus der Vergleichung dieser
Gründe am Ende Schlüsse ziehen über Ab- und Aufstieg des deutschen Theaters,
welche eben dies Menschennlter begrenzt?

Wünschen wir dem neuen Stücke zu seinen vielen und großen den einen
und größten Erfolg, wieder am Ausgangspunkte einer höhern, einer sonnigeren
Bah» des deutschen Theaters zu stehen! Quittiren wir dem deutschen Publikum
dankbar seine alte Note: „Besser als sein Ruf," und wünschen wir, daß es von
nun an wieder öfter sein schätzbares Interesse dramatischen Fragen zuwenden
möge, die sich nicht bloß um verloren gegangene Briefe, überspannte Frauen¬
zimmer und gelangweilte Ehemänner drehen. Denn darum handelt es sich im
Kerne. Das historische Kostüm thut's freilich nicht, auch nicht der fünffüßige
Jambus. Aber darum handelt es sich, anzuerkennen, daß das große Theater,
das „Nationaltheater," vorwiegend zu andern Zwecken dasei, als zur dekora¬
tiven Verkörperung der Sensationsrvmane und der Feuilletons eines Massen-
blattes. Eine moralische Schule soll das Theater allerdings nicht sein, und
wir möchten bei diesem Anlaß wieder einmal scharf darauf hinweisen, daß nicht
das deutsche, sondern das französische Theater diesen Grnndirrtum angebracht
hat und trotz aller seiner moralischen Gefährlichkeit noch heute aufrecht erhält.
Aber eine ästhetische, eine Lebensschule soll es sein. Eine Art Anschauungs¬
unterricht der Ideale soll es bilden für das gesamte Volk, es soll der Jugend


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[0532] Der Dramatiker der deutschen Jugend. von Karl Borinski. er Kritiker, dem es ein Bedürfnis ist, außerhalb des Rahmens der obligaten Tageskritik bei Gelegenheit eines neuen bedeutsamen Werkes auf seinen Schöpfer einzugehen, braucht hierfür bei Wildeu- bruchs „Neuem Gebot" weder eine Rechtfertigung noch eine Er¬ klärung, Es ist von diesem Stücke in letzter Zeit soviel die Rede gewesen, daß man ihm schon als Markstein im öffentlichen Kunstleben genauere Beachtung angedeihen lassen müßte, selbst wenn es nicht von Wildenbruch, selbst wenn es kein bedeutendes Stück wäre. Das „Neue Gebot" ist seit — nun vielleicht seit dem vielnmfochtcnen „Fechter von Ravenna" das erste Theaterstück ernster Richtung, das wieder eine allgemeine und große Aufmerksamkeit erregt. Die Gründe hierfür waren, wie der literarisch gebildete weiß, bei jenem äußerlicher, ja lächerlicher Natur; sie sind es, wie wir ihn überzeugen möchten, bei diesem nicht. Ein Menschen¬ alter liegt zwischen den beiden Stücken. Ließen sich aus der Vergleichung dieser Gründe am Ende Schlüsse ziehen über Ab- und Aufstieg des deutschen Theaters, welche eben dies Menschennlter begrenzt? Wünschen wir dem neuen Stücke zu seinen vielen und großen den einen und größten Erfolg, wieder am Ausgangspunkte einer höhern, einer sonnigeren Bah» des deutschen Theaters zu stehen! Quittiren wir dem deutschen Publikum dankbar seine alte Note: „Besser als sein Ruf," und wünschen wir, daß es von nun an wieder öfter sein schätzbares Interesse dramatischen Fragen zuwenden möge, die sich nicht bloß um verloren gegangene Briefe, überspannte Frauen¬ zimmer und gelangweilte Ehemänner drehen. Denn darum handelt es sich im Kerne. Das historische Kostüm thut's freilich nicht, auch nicht der fünffüßige Jambus. Aber darum handelt es sich, anzuerkennen, daß das große Theater, das „Nationaltheater," vorwiegend zu andern Zwecken dasei, als zur dekora¬ tiven Verkörperung der Sensationsrvmane und der Feuilletons eines Massen- blattes. Eine moralische Schule soll das Theater allerdings nicht sein, und wir möchten bei diesem Anlaß wieder einmal scharf darauf hinweisen, daß nicht das deutsche, sondern das französische Theater diesen Grnndirrtum angebracht hat und trotz aller seiner moralischen Gefährlichkeit noch heute aufrecht erhält. Aber eine ästhetische, eine Lebensschule soll es sein. Eine Art Anschauungs¬ unterricht der Ideale soll es bilden für das gesamte Volk, es soll der Jugend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/532>, abgerufen am 29.04.2024.