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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

in möglichst weiten Kreisen den Schatz von erhabenen Gedanken, schönen und
großen Bildern übermitteln, den seine edelsten Geister angesammelt haben, es
soll dem Erwachsenen aller Berufsarten stets gegenwärtig erhalten, daß da draußen
außerhalb des engen Zirkeltanzes seiner Interessen uoch ein großes, freies und
schönes Leben besteht, welches keinem gehörig und allen gemeinsam sei. Es soll
auch dem Höchstgebildeten stets die Möglichkeit gewähren, leicht und schnell
wieder mit den Faktoren in Berührung zu treten, ohne die alle seine Be¬
strebungen zu leeren Scheinbildern und dürren Abstraktionen zerflattern: mit
dem Volke und der Sinnlichkeit. Das Bedürfnis hierfür leugnet höchstens der
übertreibende Satiriker. Oder geschieht es für andre als die genannten Zwecke,
daß die Höfe, seitdem sie ihre Theater dem Volke geöffnet haben, daß die Stadt¬
gemeinden, seitdem sie zu dieser Erkenntnis gelaugt sind, ihre Theater unter¬
stützen und oft mit Opfern und Kosten aufrecht erhalten? Soll das Theater
nichts weiter sein als ein geschäftliches Unternehmen zur Ausbeutung des
bloßen Unterhaltungsbedürfnisses, wie etwa ein Wiener Cafe, dann sage man
es wenigstens offen und ehrlich, und lasse die stolzen Titel weg. Will es aber
mehr sein, will es sein Schwergewicht wirklich auf die Pflege der Kunst legen,
so pflege man denn auch die Kunst, und überlasse die Gründung von Unter-
haltuugsbühnen und Wiener Cafes den spelulirenden Privatleuten, die das
schon genügend besorgen werden. Und wenn es wirklich so schwer zu ermöglichen
ist, so fragen wir immer wieder: Wann wird endlich die Zeit angebrochen sein,
da der Staat auch uur ein Scherflein von dem Überflusse, den er den bilden¬
den Künsten zuwendet, auch der dramatischen Muse zu Teil werden läßt? Aber
davon hört man nicht gern in Deutschland. Man muukelt dann allerlei von
Byzantinismus und Solddieust der freien dramatischen Muse. Nun gut den",
ihr Herren, wenn euch die freie dramatische Muse so gar sehr am Herzen liegt,
was kümmert ihr euch denn so spottwenig um sie, was laßt ihr sie denn lieber
ganz und gar verkommen, statt mindestens einmal im Monat nicht dem Klub,
sondern ihr, der Muse, euern "wertvollen Besuch" zukomme" zu lassen? Aber
da kommt irgend el" "unbewußter" Philosoph und sagt, man sei dazu
heutzutage nicht mehr imstande, man habe zuviel zu schreiben und zu rechnen,
man müsse täglich auf die Börse gehen und habe dann abends Kopfschmerzen.
Nun, ich sollte meinen, die lärmende Ausstattuugsoper, das sinnbetäubende,
entnervende Ballet, die verwickelten Operettenintriguen, welche er so gütig der
künstlerischen Zukunft verordnet, sind am wenigsten dazu angethan, jene Kopf¬
schmerzen zu heben, eure Tagesanstrenguugeu zu berücksichtigen. Eure Väter
und Großväter haben auch gearbeitet und sind gleichwohl ins Schauspiel ge-
gaugen, und meint ihr, jene ernsten Männer aller Berufsarten, aus denen sich
heute uoch der Stamm wahrer Theaterfreunde zusammensetzt, verbrachten ihre
Tage mit Müßiggang? Wollt ihr schwächer sein als sie? Was uns beim
höhern Schauspiel erwartet, sind keine geistigen Anstrengungen, keine Rechen-


Der Dramatiker der deutschen Jugend.

in möglichst weiten Kreisen den Schatz von erhabenen Gedanken, schönen und
großen Bildern übermitteln, den seine edelsten Geister angesammelt haben, es
soll dem Erwachsenen aller Berufsarten stets gegenwärtig erhalten, daß da draußen
außerhalb des engen Zirkeltanzes seiner Interessen uoch ein großes, freies und
schönes Leben besteht, welches keinem gehörig und allen gemeinsam sei. Es soll
auch dem Höchstgebildeten stets die Möglichkeit gewähren, leicht und schnell
wieder mit den Faktoren in Berührung zu treten, ohne die alle seine Be¬
strebungen zu leeren Scheinbildern und dürren Abstraktionen zerflattern: mit
dem Volke und der Sinnlichkeit. Das Bedürfnis hierfür leugnet höchstens der
übertreibende Satiriker. Oder geschieht es für andre als die genannten Zwecke,
daß die Höfe, seitdem sie ihre Theater dem Volke geöffnet haben, daß die Stadt¬
gemeinden, seitdem sie zu dieser Erkenntnis gelaugt sind, ihre Theater unter¬
stützen und oft mit Opfern und Kosten aufrecht erhalten? Soll das Theater
nichts weiter sein als ein geschäftliches Unternehmen zur Ausbeutung des
bloßen Unterhaltungsbedürfnisses, wie etwa ein Wiener Cafe, dann sage man
es wenigstens offen und ehrlich, und lasse die stolzen Titel weg. Will es aber
mehr sein, will es sein Schwergewicht wirklich auf die Pflege der Kunst legen,
so pflege man denn auch die Kunst, und überlasse die Gründung von Unter-
haltuugsbühnen und Wiener Cafes den spelulirenden Privatleuten, die das
schon genügend besorgen werden. Und wenn es wirklich so schwer zu ermöglichen
ist, so fragen wir immer wieder: Wann wird endlich die Zeit angebrochen sein,
da der Staat auch uur ein Scherflein von dem Überflusse, den er den bilden¬
den Künsten zuwendet, auch der dramatischen Muse zu Teil werden läßt? Aber
davon hört man nicht gern in Deutschland. Man muukelt dann allerlei von
Byzantinismus und Solddieust der freien dramatischen Muse. Nun gut den»,
ihr Herren, wenn euch die freie dramatische Muse so gar sehr am Herzen liegt,
was kümmert ihr euch denn so spottwenig um sie, was laßt ihr sie denn lieber
ganz und gar verkommen, statt mindestens einmal im Monat nicht dem Klub,
sondern ihr, der Muse, euern „wertvollen Besuch" zukomme» zu lassen? Aber
da kommt irgend el» „unbewußter" Philosoph und sagt, man sei dazu
heutzutage nicht mehr imstande, man habe zuviel zu schreiben und zu rechnen,
man müsse täglich auf die Börse gehen und habe dann abends Kopfschmerzen.
Nun, ich sollte meinen, die lärmende Ausstattuugsoper, das sinnbetäubende,
entnervende Ballet, die verwickelten Operettenintriguen, welche er so gütig der
künstlerischen Zukunft verordnet, sind am wenigsten dazu angethan, jene Kopf¬
schmerzen zu heben, eure Tagesanstrenguugeu zu berücksichtigen. Eure Väter
und Großväter haben auch gearbeitet und sind gleichwohl ins Schauspiel ge-
gaugen, und meint ihr, jene ernsten Männer aller Berufsarten, aus denen sich
heute uoch der Stamm wahrer Theaterfreunde zusammensetzt, verbrachten ihre
Tage mit Müßiggang? Wollt ihr schwächer sein als sie? Was uns beim
höhern Schauspiel erwartet, sind keine geistigen Anstrengungen, keine Rechen-


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[0533] Der Dramatiker der deutschen Jugend. in möglichst weiten Kreisen den Schatz von erhabenen Gedanken, schönen und großen Bildern übermitteln, den seine edelsten Geister angesammelt haben, es soll dem Erwachsenen aller Berufsarten stets gegenwärtig erhalten, daß da draußen außerhalb des engen Zirkeltanzes seiner Interessen uoch ein großes, freies und schönes Leben besteht, welches keinem gehörig und allen gemeinsam sei. Es soll auch dem Höchstgebildeten stets die Möglichkeit gewähren, leicht und schnell wieder mit den Faktoren in Berührung zu treten, ohne die alle seine Be¬ strebungen zu leeren Scheinbildern und dürren Abstraktionen zerflattern: mit dem Volke und der Sinnlichkeit. Das Bedürfnis hierfür leugnet höchstens der übertreibende Satiriker. Oder geschieht es für andre als die genannten Zwecke, daß die Höfe, seitdem sie ihre Theater dem Volke geöffnet haben, daß die Stadt¬ gemeinden, seitdem sie zu dieser Erkenntnis gelaugt sind, ihre Theater unter¬ stützen und oft mit Opfern und Kosten aufrecht erhalten? Soll das Theater nichts weiter sein als ein geschäftliches Unternehmen zur Ausbeutung des bloßen Unterhaltungsbedürfnisses, wie etwa ein Wiener Cafe, dann sage man es wenigstens offen und ehrlich, und lasse die stolzen Titel weg. Will es aber mehr sein, will es sein Schwergewicht wirklich auf die Pflege der Kunst legen, so pflege man denn auch die Kunst, und überlasse die Gründung von Unter- haltuugsbühnen und Wiener Cafes den spelulirenden Privatleuten, die das schon genügend besorgen werden. Und wenn es wirklich so schwer zu ermöglichen ist, so fragen wir immer wieder: Wann wird endlich die Zeit angebrochen sein, da der Staat auch uur ein Scherflein von dem Überflusse, den er den bilden¬ den Künsten zuwendet, auch der dramatischen Muse zu Teil werden läßt? Aber davon hört man nicht gern in Deutschland. Man muukelt dann allerlei von Byzantinismus und Solddieust der freien dramatischen Muse. Nun gut den», ihr Herren, wenn euch die freie dramatische Muse so gar sehr am Herzen liegt, was kümmert ihr euch denn so spottwenig um sie, was laßt ihr sie denn lieber ganz und gar verkommen, statt mindestens einmal im Monat nicht dem Klub, sondern ihr, der Muse, euern „wertvollen Besuch" zukomme» zu lassen? Aber da kommt irgend el» „unbewußter" Philosoph und sagt, man sei dazu heutzutage nicht mehr imstande, man habe zuviel zu schreiben und zu rechnen, man müsse täglich auf die Börse gehen und habe dann abends Kopfschmerzen. Nun, ich sollte meinen, die lärmende Ausstattuugsoper, das sinnbetäubende, entnervende Ballet, die verwickelten Operettenintriguen, welche er so gütig der künstlerischen Zukunft verordnet, sind am wenigsten dazu angethan, jene Kopf¬ schmerzen zu heben, eure Tagesanstrenguugeu zu berücksichtigen. Eure Väter und Großväter haben auch gearbeitet und sind gleichwohl ins Schauspiel ge- gaugen, und meint ihr, jene ernsten Männer aller Berufsarten, aus denen sich heute uoch der Stamm wahrer Theaterfreunde zusammensetzt, verbrachten ihre Tage mit Müßiggang? Wollt ihr schwächer sein als sie? Was uns beim höhern Schauspiel erwartet, sind keine geistigen Anstrengungen, keine Rechen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/533>, abgerufen am 16.05.2024.