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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Toynbee-Hall.
von Gerhart Schulze. (Fortsetzung.)
3.

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^as ich in Toynbee-Hall gesehen und gehört hatte, war für mich
anziehend genug, um näheren Aufschluß über die Entstehung und
Thätigkeit dieser merkwürdigen Anstalt zu suchen. Ich sah dabei
bald die Notwendigkeit ein, meine Aufmerksamkeit den sozial¬
politischen Bestrebungen der englischen Universitäten überhaupt zu¬
zuwenden, denn aus ihnen ist Toynbee-Hall hervorgegangen. Eingehendere
Nachrichten über diese Bewegung wird umso wertvoller für den Deutschen, als
er dabei eigentümlich englische und deshalb bei uns wenig bekannte Verhältnisse
zu berühren hat, aber trotzdem im Grunde die gleichen Aufgaben wiederfindet,
zu denen auch wir früher oder später werden Stellung nehmen müssen.

Die englische Nation war lange Zeit hindurch in dem Gefühl ihrer eignen
Größe eingeschlafen. Erst seit den zwanziger und dreißiger Jahren unsers Jahr¬
hunderts ergingen an die gebildeten Klaffen Weckrufe großer Romanschriftsteller,
die ihnen die krankhaften Zustände innerhalb ihres Volkskörpers zum Bewußtsein
brachten. Allmählich gewannen die sozialen Fragen des Tages wieder das Ver¬
ständnis und Interesse weiterer Kreise des Volkes. Auch den englischen Uni¬
versitäten wurde das Bewußtsein drohender Gefahren ein Antrieb zum Handeln.
Sie suchten tu ihrer Weise zur Lösung jener Fragen durch das University-
Extension-Movement beizutragen, d. h. die Bewegung zur Ausbreitung von
Universitätsbildung. Aus diesen Bestrebungen ist Toynbee-Hall hervorgewachsen
und heute ihr Mittelpunkt sür den Bezirk White Chapel.

Um dem University-Extension-Movcment gerecht zu werden, ist es nötig,
sich die Stellung der englischen Universitäten im englischen Leben zu vergegen¬
wärtigen. Fern von den Mittelpunkten des modernen Verkehrs in stillen Land¬
städten gelegen, führen die englischen Universitäten ein abgeschiedenes, vornehmes
Dasein. Den begünstigten Söhnen der Nation ist es beschieden, sich hier zu-
sammenzufinden, um Körper und Geist zu bilden, so wie es die Vorfahren ge¬
than haben. Alle die Staatsmänner, deren Namen in der englischen Parla¬
mentsgeschichte glänzen, sind hier gebildet worden. Ihre Bilder schmücken noch
heute die altertümlichen Halts, d. h. Speisesäle in den Universitäten, dem LollsZö
zum Ruhm, den jüngeren ein Ansporn, es ihnen einst gleich zu thun und da¬
durch den Ruhm großer Männer dem geliebten Volksth zu bewahren. Jedes


Grenzboten I, 1837. 52
Toynbee-Hall.
von Gerhart Schulze. (Fortsetzung.)
3.

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^as ich in Toynbee-Hall gesehen und gehört hatte, war für mich
anziehend genug, um näheren Aufschluß über die Entstehung und
Thätigkeit dieser merkwürdigen Anstalt zu suchen. Ich sah dabei
bald die Notwendigkeit ein, meine Aufmerksamkeit den sozial¬
politischen Bestrebungen der englischen Universitäten überhaupt zu¬
zuwenden, denn aus ihnen ist Toynbee-Hall hervorgegangen. Eingehendere
Nachrichten über diese Bewegung wird umso wertvoller für den Deutschen, als
er dabei eigentümlich englische und deshalb bei uns wenig bekannte Verhältnisse
zu berühren hat, aber trotzdem im Grunde die gleichen Aufgaben wiederfindet,
zu denen auch wir früher oder später werden Stellung nehmen müssen.

Die englische Nation war lange Zeit hindurch in dem Gefühl ihrer eignen
Größe eingeschlafen. Erst seit den zwanziger und dreißiger Jahren unsers Jahr¬
hunderts ergingen an die gebildeten Klaffen Weckrufe großer Romanschriftsteller,
die ihnen die krankhaften Zustände innerhalb ihres Volkskörpers zum Bewußtsein
brachten. Allmählich gewannen die sozialen Fragen des Tages wieder das Ver¬
ständnis und Interesse weiterer Kreise des Volkes. Auch den englischen Uni¬
versitäten wurde das Bewußtsein drohender Gefahren ein Antrieb zum Handeln.
Sie suchten tu ihrer Weise zur Lösung jener Fragen durch das University-
Extension-Movement beizutragen, d. h. die Bewegung zur Ausbreitung von
Universitätsbildung. Aus diesen Bestrebungen ist Toynbee-Hall hervorgewachsen
und heute ihr Mittelpunkt sür den Bezirk White Chapel.

Um dem University-Extension-Movcment gerecht zu werden, ist es nötig,
sich die Stellung der englischen Universitäten im englischen Leben zu vergegen¬
wärtigen. Fern von den Mittelpunkten des modernen Verkehrs in stillen Land¬
städten gelegen, führen die englischen Universitäten ein abgeschiedenes, vornehmes
Dasein. Den begünstigten Söhnen der Nation ist es beschieden, sich hier zu-
sammenzufinden, um Körper und Geist zu bilden, so wie es die Vorfahren ge¬
than haben. Alle die Staatsmänner, deren Namen in der englischen Parla¬
mentsgeschichte glänzen, sind hier gebildet worden. Ihre Bilder schmücken noch
heute die altertümlichen Halts, d. h. Speisesäle in den Universitäten, dem LollsZö
zum Ruhm, den jüngeren ein Ansporn, es ihnen einst gleich zu thun und da¬
durch den Ruhm großer Männer dem geliebten Volksth zu bewahren. Jedes


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[0417] Toynbee-Hall. von Gerhart Schulze. (Fortsetzung.) 3. l^M^ ^MA ^as ich in Toynbee-Hall gesehen und gehört hatte, war für mich anziehend genug, um näheren Aufschluß über die Entstehung und Thätigkeit dieser merkwürdigen Anstalt zu suchen. Ich sah dabei bald die Notwendigkeit ein, meine Aufmerksamkeit den sozial¬ politischen Bestrebungen der englischen Universitäten überhaupt zu¬ zuwenden, denn aus ihnen ist Toynbee-Hall hervorgegangen. Eingehendere Nachrichten über diese Bewegung wird umso wertvoller für den Deutschen, als er dabei eigentümlich englische und deshalb bei uns wenig bekannte Verhältnisse zu berühren hat, aber trotzdem im Grunde die gleichen Aufgaben wiederfindet, zu denen auch wir früher oder später werden Stellung nehmen müssen. Die englische Nation war lange Zeit hindurch in dem Gefühl ihrer eignen Größe eingeschlafen. Erst seit den zwanziger und dreißiger Jahren unsers Jahr¬ hunderts ergingen an die gebildeten Klaffen Weckrufe großer Romanschriftsteller, die ihnen die krankhaften Zustände innerhalb ihres Volkskörpers zum Bewußtsein brachten. Allmählich gewannen die sozialen Fragen des Tages wieder das Ver¬ ständnis und Interesse weiterer Kreise des Volkes. Auch den englischen Uni¬ versitäten wurde das Bewußtsein drohender Gefahren ein Antrieb zum Handeln. Sie suchten tu ihrer Weise zur Lösung jener Fragen durch das University- Extension-Movement beizutragen, d. h. die Bewegung zur Ausbreitung von Universitätsbildung. Aus diesen Bestrebungen ist Toynbee-Hall hervorgewachsen und heute ihr Mittelpunkt sür den Bezirk White Chapel. Um dem University-Extension-Movcment gerecht zu werden, ist es nötig, sich die Stellung der englischen Universitäten im englischen Leben zu vergegen¬ wärtigen. Fern von den Mittelpunkten des modernen Verkehrs in stillen Land¬ städten gelegen, führen die englischen Universitäten ein abgeschiedenes, vornehmes Dasein. Den begünstigten Söhnen der Nation ist es beschieden, sich hier zu- sammenzufinden, um Körper und Geist zu bilden, so wie es die Vorfahren ge¬ than haben. Alle die Staatsmänner, deren Namen in der englischen Parla¬ mentsgeschichte glänzen, sind hier gebildet worden. Ihre Bilder schmücken noch heute die altertümlichen Halts, d. h. Speisesäle in den Universitäten, dem LollsZö zum Ruhm, den jüngeren ein Ansporn, es ihnen einst gleich zu thun und da¬ durch den Ruhm großer Männer dem geliebten Volksth zu bewahren. Jedes Grenzboten I, 1837. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/417>, abgerufen am 06.05.2024.