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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Gebrauch der deutschen bei allen Amtshandlungen freigestellt. Dagegen traf
die Gegenreformation Ferdinands die Dcntschböhmen empfindlicher als die
Tschechen; da der Protestantismus jenen zur Stütze geworden war, und viele
derselben, als ihnen die Wahl zwischen Katholischwerden oder Auswandern ge¬
stellt wurde, sich für das letztere entschieden, was namentlich in den Städten
geschah, wogegen der mehr an den Boden gebundene deutsche Bauernstand gleich
dein tschechischen im Lande blieb. Andrerseits freilich war die Katholisirung
Böhmens auch mit Vorteilen für das Deutschtum verbunden. Die Klöster,
welche die Hussiten zerstört hatten, wurden wiederhergestellt und vorwiegend
mit Mönchen aus deutschen Gegenden bevölkert. Viele Stellen von Weltgeist¬
lichen wurden mit Deutschen besetzt. Die Jesuiten glaubten dem Katholizis¬
mus zu dienen, wenn sie möglichst viele tschechische Bücher verbrannten, da diese
als hussitisch und ketzerisch überhaupt galten. Ferner lichtete die Niederlage der
ständischen Revolution des siebzehnten Jahrhunderts dieMeiheu des altböhmischen
Adels bedeutend. Viele wurden hingerichtet, viele wanderten aus, andre ver¬
armten. Die Lücken, welche dadurch in der Aristokratie des Landes entstanden,
füllten fremdländische Geschlechter aus, unter denen die meisten der deutschen
Nationalität angehörten, und die durch Schenkungen des Kaisers oder durch
billigen Kauf Eigentümer der großen Güter und Herrschaften wurden, welche
den am Aufstande beteiligt gewesenen abgenommen worden waren. Die tschechischen
Namen im Adelsstande wurden selten, und statt ihrer tauchten die Aldringen,
die Althan, die Auersperg, die Bartenstein, die Dictrichstcin, Fürstenberg, Hatz-
feldt und Herberftein auf; ferner die Familien Khcvenhüller, Klebelsbcrg, Künigl,
Lamberg, Paar, Mansfeld, Rogendorf, Schnffgotsch, Schwarzenberg, Trant-
mannsdorf, Unwirth, Walderode und andre deutsche Geschlechter. Doch darf
man den Hinzutritt dieser Grafen und Barone zu dem deutschen Element nicht
zu hoch veranschlagen. Wohl brachten sie deutsche Beamte und Diener mit, und
mancher von ihnen zog auch deutsche Landleute nach sich, welche sich auf seinen
durch die Kriege verödeten Besitzungen niederließen. Aber diese Landleute wurden,
wenn sie im Innern wohnten, bald tschcchisirt, da der Herr nichts für deutsche
Schulen that und überhaupt gewöhnlich keinen Sinu für seine Nationalität
hatte, sodaß er lieber französisch oder italienisch als deutsch sprach. Wenn es
aber auch einige rühmliche Ausnahmen von dieser Regel gab, so vermochte der
neue Adel als Ganzes doch nicht entfernt den Verlust an Bürgern zu ersetzen,
den das Deutschtum durch die Auswanderung der Protestanten erlitt, und noch
weniger glichen diese^hochgeborneu katholischen Kosmopoliten den größeren Ver¬
lust aus, welcher für die Dentschböhmen darin lag, daß durch ihre Katholisirung
und die Fernhaltung des Protestantismus vom Lande ihr Zusammenhang mit
den Kreisen des deutschen Volkes zerrissen wurde, in welchen dessen Leben am
stärksten pulsirte, und aus denen dessen Wiedergeburt im achtzehnten Jahrhundert
beginnen und im neunzehnten sich vollenden sollte.




Deutsch-böhmische Briefe.

Gebrauch der deutschen bei allen Amtshandlungen freigestellt. Dagegen traf
die Gegenreformation Ferdinands die Dcntschböhmen empfindlicher als die
Tschechen; da der Protestantismus jenen zur Stütze geworden war, und viele
derselben, als ihnen die Wahl zwischen Katholischwerden oder Auswandern ge¬
stellt wurde, sich für das letztere entschieden, was namentlich in den Städten
geschah, wogegen der mehr an den Boden gebundene deutsche Bauernstand gleich
dein tschechischen im Lande blieb. Andrerseits freilich war die Katholisirung
Böhmens auch mit Vorteilen für das Deutschtum verbunden. Die Klöster,
welche die Hussiten zerstört hatten, wurden wiederhergestellt und vorwiegend
mit Mönchen aus deutschen Gegenden bevölkert. Viele Stellen von Weltgeist¬
lichen wurden mit Deutschen besetzt. Die Jesuiten glaubten dem Katholizis¬
mus zu dienen, wenn sie möglichst viele tschechische Bücher verbrannten, da diese
als hussitisch und ketzerisch überhaupt galten. Ferner lichtete die Niederlage der
ständischen Revolution des siebzehnten Jahrhunderts dieMeiheu des altböhmischen
Adels bedeutend. Viele wurden hingerichtet, viele wanderten aus, andre ver¬
armten. Die Lücken, welche dadurch in der Aristokratie des Landes entstanden,
füllten fremdländische Geschlechter aus, unter denen die meisten der deutschen
Nationalität angehörten, und die durch Schenkungen des Kaisers oder durch
billigen Kauf Eigentümer der großen Güter und Herrschaften wurden, welche
den am Aufstande beteiligt gewesenen abgenommen worden waren. Die tschechischen
Namen im Adelsstande wurden selten, und statt ihrer tauchten die Aldringen,
die Althan, die Auersperg, die Bartenstein, die Dictrichstcin, Fürstenberg, Hatz-
feldt und Herberftein auf; ferner die Familien Khcvenhüller, Klebelsbcrg, Künigl,
Lamberg, Paar, Mansfeld, Rogendorf, Schnffgotsch, Schwarzenberg, Trant-
mannsdorf, Unwirth, Walderode und andre deutsche Geschlechter. Doch darf
man den Hinzutritt dieser Grafen und Barone zu dem deutschen Element nicht
zu hoch veranschlagen. Wohl brachten sie deutsche Beamte und Diener mit, und
mancher von ihnen zog auch deutsche Landleute nach sich, welche sich auf seinen
durch die Kriege verödeten Besitzungen niederließen. Aber diese Landleute wurden,
wenn sie im Innern wohnten, bald tschcchisirt, da der Herr nichts für deutsche
Schulen that und überhaupt gewöhnlich keinen Sinu für seine Nationalität
hatte, sodaß er lieber französisch oder italienisch als deutsch sprach. Wenn es
aber auch einige rühmliche Ausnahmen von dieser Regel gab, so vermochte der
neue Adel als Ganzes doch nicht entfernt den Verlust an Bürgern zu ersetzen,
den das Deutschtum durch die Auswanderung der Protestanten erlitt, und noch
weniger glichen diese^hochgeborneu katholischen Kosmopoliten den größeren Ver¬
lust aus, welcher für die Dentschböhmen darin lag, daß durch ihre Katholisirung
und die Fernhaltung des Protestantismus vom Lande ihr Zusammenhang mit
den Kreisen des deutschen Volkes zerrissen wurde, in welchen dessen Leben am
stärksten pulsirte, und aus denen dessen Wiedergeburt im achtzehnten Jahrhundert
beginnen und im neunzehnten sich vollenden sollte.




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[0416] Deutsch-böhmische Briefe. Gebrauch der deutschen bei allen Amtshandlungen freigestellt. Dagegen traf die Gegenreformation Ferdinands die Dcntschböhmen empfindlicher als die Tschechen; da der Protestantismus jenen zur Stütze geworden war, und viele derselben, als ihnen die Wahl zwischen Katholischwerden oder Auswandern ge¬ stellt wurde, sich für das letztere entschieden, was namentlich in den Städten geschah, wogegen der mehr an den Boden gebundene deutsche Bauernstand gleich dein tschechischen im Lande blieb. Andrerseits freilich war die Katholisirung Böhmens auch mit Vorteilen für das Deutschtum verbunden. Die Klöster, welche die Hussiten zerstört hatten, wurden wiederhergestellt und vorwiegend mit Mönchen aus deutschen Gegenden bevölkert. Viele Stellen von Weltgeist¬ lichen wurden mit Deutschen besetzt. Die Jesuiten glaubten dem Katholizis¬ mus zu dienen, wenn sie möglichst viele tschechische Bücher verbrannten, da diese als hussitisch und ketzerisch überhaupt galten. Ferner lichtete die Niederlage der ständischen Revolution des siebzehnten Jahrhunderts dieMeiheu des altböhmischen Adels bedeutend. Viele wurden hingerichtet, viele wanderten aus, andre ver¬ armten. Die Lücken, welche dadurch in der Aristokratie des Landes entstanden, füllten fremdländische Geschlechter aus, unter denen die meisten der deutschen Nationalität angehörten, und die durch Schenkungen des Kaisers oder durch billigen Kauf Eigentümer der großen Güter und Herrschaften wurden, welche den am Aufstande beteiligt gewesenen abgenommen worden waren. Die tschechischen Namen im Adelsstande wurden selten, und statt ihrer tauchten die Aldringen, die Althan, die Auersperg, die Bartenstein, die Dictrichstcin, Fürstenberg, Hatz- feldt und Herberftein auf; ferner die Familien Khcvenhüller, Klebelsbcrg, Künigl, Lamberg, Paar, Mansfeld, Rogendorf, Schnffgotsch, Schwarzenberg, Trant- mannsdorf, Unwirth, Walderode und andre deutsche Geschlechter. Doch darf man den Hinzutritt dieser Grafen und Barone zu dem deutschen Element nicht zu hoch veranschlagen. Wohl brachten sie deutsche Beamte und Diener mit, und mancher von ihnen zog auch deutsche Landleute nach sich, welche sich auf seinen durch die Kriege verödeten Besitzungen niederließen. Aber diese Landleute wurden, wenn sie im Innern wohnten, bald tschcchisirt, da der Herr nichts für deutsche Schulen that und überhaupt gewöhnlich keinen Sinu für seine Nationalität hatte, sodaß er lieber französisch oder italienisch als deutsch sprach. Wenn es aber auch einige rühmliche Ausnahmen von dieser Regel gab, so vermochte der neue Adel als Ganzes doch nicht entfernt den Verlust an Bürgern zu ersetzen, den das Deutschtum durch die Auswanderung der Protestanten erlitt, und noch weniger glichen diese^hochgeborneu katholischen Kosmopoliten den größeren Ver¬ lust aus, welcher für die Dentschböhmen darin lag, daß durch ihre Katholisirung und die Fernhaltung des Protestantismus vom Lande ihr Zusammenhang mit den Kreisen des deutschen Volkes zerrissen wurde, in welchen dessen Leben am stärksten pulsirte, und aus denen dessen Wiedergeburt im achtzehnten Jahrhundert beginnen und im neunzehnten sich vollenden sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/416>, abgerufen am 27.05.2024.