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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vielfache Bestechlichkeit derselben; bei dem Umstände, daß sie vielfach selbst durch
Zahlung von Geldsummen an ihren Platz gekommen waren oder als Adeliche
darin eine standesgemäße Versorgung erblickten, machte man weder von oben
noch von unten Ansprüche auf Pflichttreue oder Arbeit.

Allerdings wurde sehr viel regiert, die Bevormundung der unteren Stände,
der Bürger und Bauern, erstreckte sich gelegentlich auch auf ihr Frühstück, sofern
sie ein solches zu sich nehmen konnten. So gewöhnten sie sich natürlich auch
daran, in allem einen besondern Befehl zu erwarten und von der Einsicht und
dem guten Willen der Obrigkeit abzuhängen. So entstand die rührende Unbe-
hilflichkeit, mit welcher lange Zeit der deutsche Unterthan jeder ungewohnten
Lage des Lebens gegenüberstand, wie sie den deutschen Einwanderer im Hafen
von Newyork zum Gespött der praktischen Amerikaner und Engländer machte.

Die zahllose Menge kleiner und kleinster Hofhaltungen trug ferner dazu
bei, den Unterschied zwischen den oberen bevorrechteten Ständen und den unteren
erwerbenden und steuerzahlenden Schichten recht sichtbar zu machen. Bei dem
Mangel reichlicher Erwerbsquellen, bei der Unterbindung von Handel und
Gewerbe durch die vielen Zollschranken, den schwerfälligen Verkehr und die
Belästigungen einer kurzsichtigen Negiererei fehlte dem Bürgertnme das Gefühl
eines ausgiebigen Vorwärtskommens ans eigner Kraft. Es fand sich auf die
Gunst der Vornehmen angewiesen, deren Luxus ihm als die Quelle seines Ver¬
dienstes erschien, und so strebte es nach kleinlichen Gunstbezeugungen und Aus¬
zeichnungen und war stolz darauf, anch nur dem Namen nach in Verbindung
mit dem Hofhalt zu stehen. (Schluß folgt.)




Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen.
3. Wie Lachen schön macht,
etwas zum Begriff der Schönheit.

in Lachen schön machen kann, für den Augenblick selbst ein hä߬
liches Gesicht, das weiß ja jeder, aber dieser Tage erfuhr ichs
in so merkwürdiger Weise, daß ich mirs doch cinfhebcn muß.
sprachlich wäre erst Wohl noch zu bemerken, daß uns "lachen"
jetzt in erster Linie den Schall des lauten Lachens vorführt, ein Übel-
stand, der den Begriff störend verengt. Die alte Zeit sprach auch von lavucmclsm
lnunckö, was wir jetzt "lächeln" nennen (es hieß in mittelhochdeutscher Zeit auch


vielfache Bestechlichkeit derselben; bei dem Umstände, daß sie vielfach selbst durch
Zahlung von Geldsummen an ihren Platz gekommen waren oder als Adeliche
darin eine standesgemäße Versorgung erblickten, machte man weder von oben
noch von unten Ansprüche auf Pflichttreue oder Arbeit.

Allerdings wurde sehr viel regiert, die Bevormundung der unteren Stände,
der Bürger und Bauern, erstreckte sich gelegentlich auch auf ihr Frühstück, sofern
sie ein solches zu sich nehmen konnten. So gewöhnten sie sich natürlich auch
daran, in allem einen besondern Befehl zu erwarten und von der Einsicht und
dem guten Willen der Obrigkeit abzuhängen. So entstand die rührende Unbe-
hilflichkeit, mit welcher lange Zeit der deutsche Unterthan jeder ungewohnten
Lage des Lebens gegenüberstand, wie sie den deutschen Einwanderer im Hafen
von Newyork zum Gespött der praktischen Amerikaner und Engländer machte.

Die zahllose Menge kleiner und kleinster Hofhaltungen trug ferner dazu
bei, den Unterschied zwischen den oberen bevorrechteten Ständen und den unteren
erwerbenden und steuerzahlenden Schichten recht sichtbar zu machen. Bei dem
Mangel reichlicher Erwerbsquellen, bei der Unterbindung von Handel und
Gewerbe durch die vielen Zollschranken, den schwerfälligen Verkehr und die
Belästigungen einer kurzsichtigen Negiererei fehlte dem Bürgertnme das Gefühl
eines ausgiebigen Vorwärtskommens ans eigner Kraft. Es fand sich auf die
Gunst der Vornehmen angewiesen, deren Luxus ihm als die Quelle seines Ver¬
dienstes erschien, und so strebte es nach kleinlichen Gunstbezeugungen und Aus¬
zeichnungen und war stolz darauf, anch nur dem Namen nach in Verbindung
mit dem Hofhalt zu stehen. (Schluß folgt.)




Tagebuchblätter eines ^onntagsphilosophen.
3. Wie Lachen schön macht,
etwas zum Begriff der Schönheit.

in Lachen schön machen kann, für den Augenblick selbst ein hä߬
liches Gesicht, das weiß ja jeder, aber dieser Tage erfuhr ichs
in so merkwürdiger Weise, daß ich mirs doch cinfhebcn muß.
sprachlich wäre erst Wohl noch zu bemerken, daß uns „lachen"
jetzt in erster Linie den Schall des lauten Lachens vorführt, ein Übel-
stand, der den Begriff störend verengt. Die alte Zeit sprach auch von lavucmclsm
lnunckö, was wir jetzt „lächeln" nennen (es hieß in mittelhochdeutscher Zeit auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/133>, abgerufen am 28.04.2024.