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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Unter fahrenden Leuten.

er von den Lesern dieser Zeilen sich noch der Zeiten erinnert,
wo in den stattlichen Räumen des Hotel de Pologne in
Leipzig alljährlich um Advent ein großer Bazar eröffnet wurde,
der wird das Gefühl verstehen, mit dem wir Kinder dieser Stadt
jenem Ereignis entgegenschauten. Ein jeder von uns wußte schon
von dem vergangenen Jahre her, was er hier zu erwarten hatte. Wenn aber
nun wirklich der Tag kam, wo wir jene Räume betreten durften und nun all
die Korridore und Stuben und Säle mit den vielen wunderbaren Dingen in
Hellem Lichterglanze sich vor uns aufthaten, da schien es uns gerade, als wenn
wir alles dies noch gar nicht gekannt hätten, so sonderbar und märchenhaft
ward uns zu Mute. Eine geheiligte Stätte, nach der es uns immer vor allem
zog, war eine schmale Galerie in einem größern Saale, zu welcher eine enge,
steile Treppe emporführte, etwas abgelegen von dem bunten Treiben der übrigen
Verkaufsstände. Dort stand ein kleines Theater mit einem großen, rotgemalten
Portal und einem phantastischen Vorhange, vor ihm eine Reihe niedriger Holz¬
bänke und ein altes, wackliges Klavier. Nur zu gewissen Stunden am Nach¬
mittag und Abend eröffnete dieses Theater seine Vorstellungen. Um uns aber
einen guten Platz zu sichern, saßen wir Kinder oft schon eine Stunde vor Be¬
ginn, mit einer diesem Alter sonst nicht eignen Geduld, auf den harten, höl¬
zernen Bänken, unsre Phantasie einstweilen mit sinnendem Bewundern des Vor¬
hanges beschäftigend, auf dem so viel seltsame Figuren und Verzierungen in
grellen Farben gemalt waren.

Aber was ist das nur heute? Wir warten und warten, und noch immer
bleibt alles still auf dem kleinen Theater. Einige der zu unsrer Begleitung
erschienenen Erwachsenen bekunden schon die lebhafteste Langeweile und zeigen
nicht übel Lust, wieder zu gehen, wogegen natürlich aufs lebhafteste protestirt
wird. Da endlich ein Anfang! Die Seitenwand des Portals teilt sich, ein




Unter fahrenden Leuten.

er von den Lesern dieser Zeilen sich noch der Zeiten erinnert,
wo in den stattlichen Räumen des Hotel de Pologne in
Leipzig alljährlich um Advent ein großer Bazar eröffnet wurde,
der wird das Gefühl verstehen, mit dem wir Kinder dieser Stadt
jenem Ereignis entgegenschauten. Ein jeder von uns wußte schon
von dem vergangenen Jahre her, was er hier zu erwarten hatte. Wenn aber
nun wirklich der Tag kam, wo wir jene Räume betreten durften und nun all
die Korridore und Stuben und Säle mit den vielen wunderbaren Dingen in
Hellem Lichterglanze sich vor uns aufthaten, da schien es uns gerade, als wenn
wir alles dies noch gar nicht gekannt hätten, so sonderbar und märchenhaft
ward uns zu Mute. Eine geheiligte Stätte, nach der es uns immer vor allem
zog, war eine schmale Galerie in einem größern Saale, zu welcher eine enge,
steile Treppe emporführte, etwas abgelegen von dem bunten Treiben der übrigen
Verkaufsstände. Dort stand ein kleines Theater mit einem großen, rotgemalten
Portal und einem phantastischen Vorhange, vor ihm eine Reihe niedriger Holz¬
bänke und ein altes, wackliges Klavier. Nur zu gewissen Stunden am Nach¬
mittag und Abend eröffnete dieses Theater seine Vorstellungen. Um uns aber
einen guten Platz zu sichern, saßen wir Kinder oft schon eine Stunde vor Be¬
ginn, mit einer diesem Alter sonst nicht eignen Geduld, auf den harten, höl¬
zernen Bänken, unsre Phantasie einstweilen mit sinnendem Bewundern des Vor¬
hanges beschäftigend, auf dem so viel seltsame Figuren und Verzierungen in
grellen Farben gemalt waren.

Aber was ist das nur heute? Wir warten und warten, und noch immer
bleibt alles still auf dem kleinen Theater. Einige der zu unsrer Begleitung
erschienenen Erwachsenen bekunden schon die lebhafteste Langeweile und zeigen
nicht übel Lust, wieder zu gehen, wogegen natürlich aufs lebhafteste protestirt
wird. Da endlich ein Anfang! Die Seitenwand des Portals teilt sich, ein


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[0149] [Abbildung] Unter fahrenden Leuten. er von den Lesern dieser Zeilen sich noch der Zeiten erinnert, wo in den stattlichen Räumen des Hotel de Pologne in Leipzig alljährlich um Advent ein großer Bazar eröffnet wurde, der wird das Gefühl verstehen, mit dem wir Kinder dieser Stadt jenem Ereignis entgegenschauten. Ein jeder von uns wußte schon von dem vergangenen Jahre her, was er hier zu erwarten hatte. Wenn aber nun wirklich der Tag kam, wo wir jene Räume betreten durften und nun all die Korridore und Stuben und Säle mit den vielen wunderbaren Dingen in Hellem Lichterglanze sich vor uns aufthaten, da schien es uns gerade, als wenn wir alles dies noch gar nicht gekannt hätten, so sonderbar und märchenhaft ward uns zu Mute. Eine geheiligte Stätte, nach der es uns immer vor allem zog, war eine schmale Galerie in einem größern Saale, zu welcher eine enge, steile Treppe emporführte, etwas abgelegen von dem bunten Treiben der übrigen Verkaufsstände. Dort stand ein kleines Theater mit einem großen, rotgemalten Portal und einem phantastischen Vorhange, vor ihm eine Reihe niedriger Holz¬ bänke und ein altes, wackliges Klavier. Nur zu gewissen Stunden am Nach¬ mittag und Abend eröffnete dieses Theater seine Vorstellungen. Um uns aber einen guten Platz zu sichern, saßen wir Kinder oft schon eine Stunde vor Be¬ ginn, mit einer diesem Alter sonst nicht eignen Geduld, auf den harten, höl¬ zernen Bänken, unsre Phantasie einstweilen mit sinnendem Bewundern des Vor¬ hanges beschäftigend, auf dem so viel seltsame Figuren und Verzierungen in grellen Farben gemalt waren. Aber was ist das nur heute? Wir warten und warten, und noch immer bleibt alles still auf dem kleinen Theater. Einige der zu unsrer Begleitung erschienenen Erwachsenen bekunden schon die lebhafteste Langeweile und zeigen nicht übel Lust, wieder zu gehen, wogegen natürlich aufs lebhafteste protestirt wird. Da endlich ein Anfang! Die Seitenwand des Portals teilt sich, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/149>, abgerufen am 28.04.2024.