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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Unter fahrenden Leuten.
(Schluß.)

s scheint mir am Platze zu sein, hier gleich einiges über das
Repertoire dieser Bühnen mitzuteilen. Der in diesem Fache
nicht besonders bewanderte wird dabei vielen Titeln begegnen, von
denen er sonst nur wenig gehört hat, er wird aber auch vieles
Bekannte und selbst ganz moderne Sachen, wie z. V. Görnersche
Märchenbearbeitungen -- Aschenbrödel, Schneewittchen und dem ähnliches --
antreffen. Nur eins hat sich anch in diesen verändert, und nach dem vorhin
gesagten kaun man dies nicht anders erwarten: es ist ein Kasper darin erschienen
und zwar auf die einfache Weise, daß die am meisten geeignete Person dazu
umgetauft wurde. Der Baron Monteconteeoculorum im Görnerschen Aschen¬
brödel giebt ein Beispiel einer solchen Metamorphose. Durch Extemporiren im
Text sucht dann der Spieler auch noch während der Aufführung, wie es ihm
der Augenblick eingiebt, zur Komik möglichst beizutragen, und so wird immer¬
hin eine ganz leidliche Wirkung erzielt. Wenigstens haben sich die Lacher
gefunden, und das genügt dem biederen Knnsttemvelbesitzer vollständig. Aber
neben diesen neuerdings Mode gewordenen Znubermärchen wird man auch
auf vieles stoßen, was schon bei der ersten Szene die alte Überlieferung
verrät. Ich brauche nur Namen zu nennen wie Judith und Holofernes,
Medea, der verlorene Sohn, Fanny und Durmann, Kaiser Orvsmcm, Geno-
veva, Don Juan und vor allem Doktor Faust, und man wird sofort ver¬
stehen, welche eigentümliche und interessante Partie dieser Gattung ich im
Ange habe. Aber gerade mit diesen alten Stücken scheint mir nenerdings eine
ganz eigentümliche und interessante Umwandlung vor sich zu gehen; sie werden
nämlich aus dem Repertoire der für Erwachsene bestimmten Vorstellungen all¬
mählich verdrängt und mehr zu kürzeren Kinderstückcn eingerichtet. Eine wunder¬
bare Ausnahme davon macht die Genoveva und vor allem Doktor Faust, der




Unter fahrenden Leuten.
(Schluß.)

s scheint mir am Platze zu sein, hier gleich einiges über das
Repertoire dieser Bühnen mitzuteilen. Der in diesem Fache
nicht besonders bewanderte wird dabei vielen Titeln begegnen, von
denen er sonst nur wenig gehört hat, er wird aber auch vieles
Bekannte und selbst ganz moderne Sachen, wie z. V. Görnersche
Märchenbearbeitungen — Aschenbrödel, Schneewittchen und dem ähnliches —
antreffen. Nur eins hat sich anch in diesen verändert, und nach dem vorhin
gesagten kaun man dies nicht anders erwarten: es ist ein Kasper darin erschienen
und zwar auf die einfache Weise, daß die am meisten geeignete Person dazu
umgetauft wurde. Der Baron Monteconteeoculorum im Görnerschen Aschen¬
brödel giebt ein Beispiel einer solchen Metamorphose. Durch Extemporiren im
Text sucht dann der Spieler auch noch während der Aufführung, wie es ihm
der Augenblick eingiebt, zur Komik möglichst beizutragen, und so wird immer¬
hin eine ganz leidliche Wirkung erzielt. Wenigstens haben sich die Lacher
gefunden, und das genügt dem biederen Knnsttemvelbesitzer vollständig. Aber
neben diesen neuerdings Mode gewordenen Znubermärchen wird man auch
auf vieles stoßen, was schon bei der ersten Szene die alte Überlieferung
verrät. Ich brauche nur Namen zu nennen wie Judith und Holofernes,
Medea, der verlorene Sohn, Fanny und Durmann, Kaiser Orvsmcm, Geno-
veva, Don Juan und vor allem Doktor Faust, und man wird sofort ver¬
stehen, welche eigentümliche und interessante Partie dieser Gattung ich im
Ange habe. Aber gerade mit diesen alten Stücken scheint mir nenerdings eine
ganz eigentümliche und interessante Umwandlung vor sich zu gehen; sie werden
nämlich aus dem Repertoire der für Erwachsene bestimmten Vorstellungen all¬
mählich verdrängt und mehr zu kürzeren Kinderstückcn eingerichtet. Eine wunder¬
bare Ausnahme davon macht die Genoveva und vor allem Doktor Faust, der


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[0196] [Abbildung] Unter fahrenden Leuten. (Schluß.) s scheint mir am Platze zu sein, hier gleich einiges über das Repertoire dieser Bühnen mitzuteilen. Der in diesem Fache nicht besonders bewanderte wird dabei vielen Titeln begegnen, von denen er sonst nur wenig gehört hat, er wird aber auch vieles Bekannte und selbst ganz moderne Sachen, wie z. V. Görnersche Märchenbearbeitungen — Aschenbrödel, Schneewittchen und dem ähnliches — antreffen. Nur eins hat sich anch in diesen verändert, und nach dem vorhin gesagten kaun man dies nicht anders erwarten: es ist ein Kasper darin erschienen und zwar auf die einfache Weise, daß die am meisten geeignete Person dazu umgetauft wurde. Der Baron Monteconteeoculorum im Görnerschen Aschen¬ brödel giebt ein Beispiel einer solchen Metamorphose. Durch Extemporiren im Text sucht dann der Spieler auch noch während der Aufführung, wie es ihm der Augenblick eingiebt, zur Komik möglichst beizutragen, und so wird immer¬ hin eine ganz leidliche Wirkung erzielt. Wenigstens haben sich die Lacher gefunden, und das genügt dem biederen Knnsttemvelbesitzer vollständig. Aber neben diesen neuerdings Mode gewordenen Znubermärchen wird man auch auf vieles stoßen, was schon bei der ersten Szene die alte Überlieferung verrät. Ich brauche nur Namen zu nennen wie Judith und Holofernes, Medea, der verlorene Sohn, Fanny und Durmann, Kaiser Orvsmcm, Geno- veva, Don Juan und vor allem Doktor Faust, und man wird sofort ver¬ stehen, welche eigentümliche und interessante Partie dieser Gattung ich im Ange habe. Aber gerade mit diesen alten Stücken scheint mir nenerdings eine ganz eigentümliche und interessante Umwandlung vor sich zu gehen; sie werden nämlich aus dem Repertoire der für Erwachsene bestimmten Vorstellungen all¬ mählich verdrängt und mehr zu kürzeren Kinderstückcn eingerichtet. Eine wunder¬ bare Ausnahme davon macht die Genoveva und vor allem Doktor Faust, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/196>, abgerufen am 29.04.2024.