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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Unter fahrenden Leuten.

mit seinem geheimnisvollen Hintergründe nach wie vor seine Wirkung mächtig
übt. Im großen und ganzen kann ich jedoch sagen, daß ich gerade jene alten
Stücke, die nicht nur den Forscher interessiren würden, sondern auch jedem
Freunde alter deutscher Volksdichtung Freude machen müssen, beinahe am meisten
in solchen Kiudervvrstellungen habe aufführen sehen. Ich will diese Gelegen¬
heit übrigens nicht vorübergehe" lassen, ohne den Wunsch zu äußern, daß man
sich doch auch die kleinsten Pnppenbühncn -- die sogenannten Polichinell-
thcater -- in dieser Beziehung mehr ansehen möge. Mancher frühere Ma¬
rionettenprinzipal wird durch Zufälligkeiten gedrängt, seine größere Bühne auf¬
zugeben und wandert dann oft lange Jahre mit dem kleinen Kasperletheater
"aber. Aus seinem frühern Leben bringt er aber oft eine ganze Reihe alter
Stücke mit herüber und, wenn sie in dieser Darstellung natürlich auch bedeutend
Perkürzt sind, so ist es doch immer noch der Stoff, der geblieben ist, oder
häufig selbst manche lange Satzrcihen, Fragen- und Antwortmassen, die auf ein
hinter den Fadheiten der übrigen Darstellung versteckt liegendes altes Stück
hindeuten und so von Interesse sein können. Was mich selbst betrifft, so habe
ich mich auch, soviel ich konnte, mit den Stücken dieser kleinsten Bühnen bekannt
gemacht, und ich will gleich gestehen, daß ich dabei nicht ohne Erfolg geblieben
bin. Ich glaube auch nicht, daß dies nur reiner Zufall war, denn ich weiß,
daß nicht wenige gerade der ältesten und interessantesten Puppenstücke sich für
derartige kleinere Schaustellungen leicht einrichten lassen, während sie ihres
vielfach dem Interesse der älteren Zuschauer ferner liegenden Inhaltes wegen
von dem Repertoire der heutigen Marivnettenbühne zu verschwinden beginnen,
oder doch wenigstens jene oben angedeutete Umwandlung zu Kinderstücken durch¬
machen müssen. Außer den bisher erwähnten Stücken giebt es noch eine ganze
Reihe, die je nach dem Orte, an dem das Theater spielt, verschieden sind. Unter
ihnen werden in erster Linie Sagen und Erzählungen der jedesmaligen nächsten
Umgebung immer zahlreich in dem Repertoire anzutreffen sein. Ich nenne
hier unter einer großen Menge z. B. nur Dietrich von Harms, die Kirchen-
räuber zu Großenhain, der Silberherr von Ammberg, die Grube zu Hökeu-
dorf und die Entstehung des Jahrmarktes zu Lvrcnzkirchen. Wieder andre
sind über größere Länderstrecken hin gleichmäßig beliebt und bekannt, wie z. B.
in Sachsen Kunz von Kauffungen oder der sächsische Prinzenraub und Karl
Stülpner, der edle Raubschütz. Alle diese Stücke haben durch das Personen-
thcater hindurch ihre" Weg in die Puppenkomödie gefunden; viele von ihnen
finden sich ja selbst in dem Repertoire der Persvnentheater noch heutigen Tages
vor. Was außerdem noch sammellustige und strebsame Puppenspieler für Schätze
in ihren Bibliotheken aufspeichern, ist zuweilen erstaunlich. Neben ältern,
früher beliebten, aber jetzt von unsern großen Bühnen verschwundenen Stücken
-- ich erwähne nur z. B. die der Wiener Schule vom Schluß des vorigen und
Anfang dieses Jahrhunderts, z. B. das Donauweibchen, die Teufelsmühle,


Unter fahrenden Leuten.

mit seinem geheimnisvollen Hintergründe nach wie vor seine Wirkung mächtig
übt. Im großen und ganzen kann ich jedoch sagen, daß ich gerade jene alten
Stücke, die nicht nur den Forscher interessiren würden, sondern auch jedem
Freunde alter deutscher Volksdichtung Freude machen müssen, beinahe am meisten
in solchen Kiudervvrstellungen habe aufführen sehen. Ich will diese Gelegen¬
heit übrigens nicht vorübergehe» lassen, ohne den Wunsch zu äußern, daß man
sich doch auch die kleinsten Pnppenbühncn — die sogenannten Polichinell-
thcater — in dieser Beziehung mehr ansehen möge. Mancher frühere Ma¬
rionettenprinzipal wird durch Zufälligkeiten gedrängt, seine größere Bühne auf¬
zugeben und wandert dann oft lange Jahre mit dem kleinen Kasperletheater
«aber. Aus seinem frühern Leben bringt er aber oft eine ganze Reihe alter
Stücke mit herüber und, wenn sie in dieser Darstellung natürlich auch bedeutend
Perkürzt sind, so ist es doch immer noch der Stoff, der geblieben ist, oder
häufig selbst manche lange Satzrcihen, Fragen- und Antwortmassen, die auf ein
hinter den Fadheiten der übrigen Darstellung versteckt liegendes altes Stück
hindeuten und so von Interesse sein können. Was mich selbst betrifft, so habe
ich mich auch, soviel ich konnte, mit den Stücken dieser kleinsten Bühnen bekannt
gemacht, und ich will gleich gestehen, daß ich dabei nicht ohne Erfolg geblieben
bin. Ich glaube auch nicht, daß dies nur reiner Zufall war, denn ich weiß,
daß nicht wenige gerade der ältesten und interessantesten Puppenstücke sich für
derartige kleinere Schaustellungen leicht einrichten lassen, während sie ihres
vielfach dem Interesse der älteren Zuschauer ferner liegenden Inhaltes wegen
von dem Repertoire der heutigen Marivnettenbühne zu verschwinden beginnen,
oder doch wenigstens jene oben angedeutete Umwandlung zu Kinderstücken durch¬
machen müssen. Außer den bisher erwähnten Stücken giebt es noch eine ganze
Reihe, die je nach dem Orte, an dem das Theater spielt, verschieden sind. Unter
ihnen werden in erster Linie Sagen und Erzählungen der jedesmaligen nächsten
Umgebung immer zahlreich in dem Repertoire anzutreffen sein. Ich nenne
hier unter einer großen Menge z. B. nur Dietrich von Harms, die Kirchen-
räuber zu Großenhain, der Silberherr von Ammberg, die Grube zu Hökeu-
dorf und die Entstehung des Jahrmarktes zu Lvrcnzkirchen. Wieder andre
sind über größere Länderstrecken hin gleichmäßig beliebt und bekannt, wie z. B.
in Sachsen Kunz von Kauffungen oder der sächsische Prinzenraub und Karl
Stülpner, der edle Raubschütz. Alle diese Stücke haben durch das Personen-
thcater hindurch ihre» Weg in die Puppenkomödie gefunden; viele von ihnen
finden sich ja selbst in dem Repertoire der Persvnentheater noch heutigen Tages
vor. Was außerdem noch sammellustige und strebsame Puppenspieler für Schätze
in ihren Bibliotheken aufspeichern, ist zuweilen erstaunlich. Neben ältern,
früher beliebten, aber jetzt von unsern großen Bühnen verschwundenen Stücken
— ich erwähne nur z. B. die der Wiener Schule vom Schluß des vorigen und
Anfang dieses Jahrhunderts, z. B. das Donauweibchen, die Teufelsmühle,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/197>, abgerufen am 15.05.2024.