Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Oberschlesien und seine Germanisirung.

o manchen unsrer Leser wird wohl ein gelindes Gruseln an¬
wandeln, wenn er fern im Reiche von Oberschlesien sprechen hört.
Denn unwillkürlich wird sich ihm der Gedanke von öden und
wüsten Landstrichen und von einer zum Teil verkommenen und
auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Bevölkerung aufdrängen.
Nun, so schlimm wie sein Ruf ist Oberschlestcn weder in Bezug auf seine Boden¬
beschaffenheit noch auf seiue Bewohner. Und wenn diese Behauptung nicht von
einem Eingeborenen, sondern von einem Eingewanderten, der Mittel- und Nord¬
deutschland zum großen Teile kennt, ausgesprochen wird, so dürfte sie wohl
einige Glaubwürdigkeit haben. Vielmehr sind die am südlichen Fuße der
Sudeten gelegenen Hügelgelände meistens von großer Fruchtbarkeit und überall
landschaftlich schön, das Oderthal ist gleichfalls sehr fruchtbar, selbst auf dem
verschrieenen rechten Oderufer fehlt es in der Gegend des polnisch - schlesischen
Landrückens nicht an ergiebigen und schönen Landstrichen, und der vber-
schlesische Wald, der überall hier anzutreffen ist, erfreut sich nicht nur wegen
seiner vortrefflichen Hölzer und seines schnellen Wuchses bei allen Forstleuten
eines guten Rufes, sondern er kann sich auch wegen seines reichen Unterholzes
mit den schönsten Nadelholzwaldungen der ganzen Monarchie messen. Nehmen
wir noch hinzu die hohe Entwicklung des Bergbaues in dem sogenannten Hütten¬
distrikte, ein vortrefflich aufgebautes Eisenbahnnetz, wie es im Osten unsers
Vaterlandes kaum wieder vorhanden ist, und eine sehr große Menge von
Straßen, die den Verkehr bis nach den kleinsten Landstädten erleichtern, so
wird man zugeben müssen, daß es sich in Oberschlesien immer noch leben läßt
und daß das Land weit davon entfernt ist, dem Reisenden den Charakter einer
öden, unwirtlichen und unkultivirten Gegend darzubieten. Freilich giebt es,


Grenzboten HI. 1887. 26


Oberschlesien und seine Germanisirung.

o manchen unsrer Leser wird wohl ein gelindes Gruseln an¬
wandeln, wenn er fern im Reiche von Oberschlesien sprechen hört.
Denn unwillkürlich wird sich ihm der Gedanke von öden und
wüsten Landstrichen und von einer zum Teil verkommenen und
auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Bevölkerung aufdrängen.
Nun, so schlimm wie sein Ruf ist Oberschlestcn weder in Bezug auf seine Boden¬
beschaffenheit noch auf seiue Bewohner. Und wenn diese Behauptung nicht von
einem Eingeborenen, sondern von einem Eingewanderten, der Mittel- und Nord¬
deutschland zum großen Teile kennt, ausgesprochen wird, so dürfte sie wohl
einige Glaubwürdigkeit haben. Vielmehr sind die am südlichen Fuße der
Sudeten gelegenen Hügelgelände meistens von großer Fruchtbarkeit und überall
landschaftlich schön, das Oderthal ist gleichfalls sehr fruchtbar, selbst auf dem
verschrieenen rechten Oderufer fehlt es in der Gegend des polnisch - schlesischen
Landrückens nicht an ergiebigen und schönen Landstrichen, und der vber-
schlesische Wald, der überall hier anzutreffen ist, erfreut sich nicht nur wegen
seiner vortrefflichen Hölzer und seines schnellen Wuchses bei allen Forstleuten
eines guten Rufes, sondern er kann sich auch wegen seines reichen Unterholzes
mit den schönsten Nadelholzwaldungen der ganzen Monarchie messen. Nehmen
wir noch hinzu die hohe Entwicklung des Bergbaues in dem sogenannten Hütten¬
distrikte, ein vortrefflich aufgebautes Eisenbahnnetz, wie es im Osten unsers
Vaterlandes kaum wieder vorhanden ist, und eine sehr große Menge von
Straßen, die den Verkehr bis nach den kleinsten Landstädten erleichtern, so
wird man zugeben müssen, daß es sich in Oberschlesien immer noch leben läßt
und daß das Land weit davon entfernt ist, dem Reisenden den Charakter einer
öden, unwirtlichen und unkultivirten Gegend darzubieten. Freilich giebt es,


Grenzboten HI. 1887. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200988"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341845_200778/figures/grenzboten_341845_200778_200988_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Oberschlesien und seine Germanisirung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> o manchen unsrer Leser wird wohl ein gelindes Gruseln an¬<lb/>
wandeln, wenn er fern im Reiche von Oberschlesien sprechen hört.<lb/>
Denn unwillkürlich wird sich ihm der Gedanke von öden und<lb/>
wüsten Landstrichen und von einer zum Teil verkommenen und<lb/>
auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Bevölkerung aufdrängen.<lb/>
Nun, so schlimm wie sein Ruf ist Oberschlestcn weder in Bezug auf seine Boden¬<lb/>
beschaffenheit noch auf seiue Bewohner. Und wenn diese Behauptung nicht von<lb/>
einem Eingeborenen, sondern von einem Eingewanderten, der Mittel- und Nord¬<lb/>
deutschland zum großen Teile kennt, ausgesprochen wird, so dürfte sie wohl<lb/>
einige Glaubwürdigkeit haben. Vielmehr sind die am südlichen Fuße der<lb/>
Sudeten gelegenen Hügelgelände meistens von großer Fruchtbarkeit und überall<lb/>
landschaftlich schön, das Oderthal ist gleichfalls sehr fruchtbar, selbst auf dem<lb/>
verschrieenen rechten Oderufer fehlt es in der Gegend des polnisch - schlesischen<lb/>
Landrückens nicht an ergiebigen und schönen Landstrichen, und der vber-<lb/>
schlesische Wald, der überall hier anzutreffen ist, erfreut sich nicht nur wegen<lb/>
seiner vortrefflichen Hölzer und seines schnellen Wuchses bei allen Forstleuten<lb/>
eines guten Rufes, sondern er kann sich auch wegen seines reichen Unterholzes<lb/>
mit den schönsten Nadelholzwaldungen der ganzen Monarchie messen. Nehmen<lb/>
wir noch hinzu die hohe Entwicklung des Bergbaues in dem sogenannten Hütten¬<lb/>
distrikte, ein vortrefflich aufgebautes Eisenbahnnetz, wie es im Osten unsers<lb/>
Vaterlandes kaum wieder vorhanden ist, und eine sehr große Menge von<lb/>
Straßen, die den Verkehr bis nach den kleinsten Landstädten erleichtern, so<lb/>
wird man zugeben müssen, daß es sich in Oberschlesien immer noch leben läßt<lb/>
und daß das Land weit davon entfernt ist, dem Reisenden den Charakter einer<lb/>
öden, unwirtlichen und unkultivirten Gegend darzubieten. Freilich giebt es,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten HI. 1887. 26</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] [Abbildung] Oberschlesien und seine Germanisirung. o manchen unsrer Leser wird wohl ein gelindes Gruseln an¬ wandeln, wenn er fern im Reiche von Oberschlesien sprechen hört. Denn unwillkürlich wird sich ihm der Gedanke von öden und wüsten Landstrichen und von einer zum Teil verkommenen und auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Bevölkerung aufdrängen. Nun, so schlimm wie sein Ruf ist Oberschlestcn weder in Bezug auf seine Boden¬ beschaffenheit noch auf seiue Bewohner. Und wenn diese Behauptung nicht von einem Eingeborenen, sondern von einem Eingewanderten, der Mittel- und Nord¬ deutschland zum großen Teile kennt, ausgesprochen wird, so dürfte sie wohl einige Glaubwürdigkeit haben. Vielmehr sind die am südlichen Fuße der Sudeten gelegenen Hügelgelände meistens von großer Fruchtbarkeit und überall landschaftlich schön, das Oderthal ist gleichfalls sehr fruchtbar, selbst auf dem verschrieenen rechten Oderufer fehlt es in der Gegend des polnisch - schlesischen Landrückens nicht an ergiebigen und schönen Landstrichen, und der vber- schlesische Wald, der überall hier anzutreffen ist, erfreut sich nicht nur wegen seiner vortrefflichen Hölzer und seines schnellen Wuchses bei allen Forstleuten eines guten Rufes, sondern er kann sich auch wegen seines reichen Unterholzes mit den schönsten Nadelholzwaldungen der ganzen Monarchie messen. Nehmen wir noch hinzu die hohe Entwicklung des Bergbaues in dem sogenannten Hütten¬ distrikte, ein vortrefflich aufgebautes Eisenbahnnetz, wie es im Osten unsers Vaterlandes kaum wieder vorhanden ist, und eine sehr große Menge von Straßen, die den Verkehr bis nach den kleinsten Landstädten erleichtern, so wird man zugeben müssen, daß es sich in Oberschlesien immer noch leben läßt und daß das Land weit davon entfernt ist, dem Reisenden den Charakter einer öden, unwirtlichen und unkultivirten Gegend darzubieten. Freilich giebt es, Grenzboten HI. 1887. 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/209>, abgerufen am 29.04.2024.