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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Oborschlefien und seine Germanisirung.

namentlich auf dem rechten Oderufer, auch öde und unfruchtbare Landstriche.
Aber in welchen andern Provinzen des Ostens wären solche nicht vorhanden?

Erwägt man nun dagegen, daß dies dem Verkehre in so hohen?
Grade erschlossene Oberschlesien, das noch nicht 60 Kilometer von dem ganz
deutschen Breslciu, der zweiten Stadt des preußischen Staates, entfernt liegt,
das seit dem Jahre 1163, wo es sich von der Krone Polen ablöste, unter
dem deutschgesinnten Herrscherhause der Piaster stand und das seit dem Jahre
1742, also seit beinahe 150 Jahren, unausgesetzt dem Königreich Preußen an¬
gehört, in der Mehrheit seiner Bevölkerung die polnische Nationalität be¬
wahrt hat, so wird man dies sicher als eine höchst auffallende Erscheinung
ansehen, eine Erscheinung, die es verdient, daß man ihre Ursachen zu er¬
gründen sucht.

Betrachten wir zu diesem Zwecke die Bevölkerung Oberschlesiens etwas
näher, so finden wir, daß sie in nationaler Beziehung vielleicht die am meisten
gemischte der ganzen preußischen Monarchie ist. In den Kreisen Reiße und
Grottkau nämlich ist sie deutsch, zum größten Teile ist dies auch der Fall in
den Kreisen Falkenberg und Leobschütz. In den übrigen Kreisen ist dagegen die
Landbevölkerung überwiegend polnisch. Am reinsten hat sich der Charakter des
Polnischen erhalten in den an Nußland grenzenden Ostkreisen Kreuzburg, Rosen¬
berg, Lublinitz und Tarnowitz, in den an Österreich grenzenden Südostkreisen
Rybnik und Pleß und in den Binnenkrcisen Gleiwitz, Kösel und Groß-Strehlitz.
Selbst in dem dicht an der Grenze des Regierungsbezirks Breslau gelegenen
Kreise Oppeln ist rings um die Regierungshauptstadt die geschlossene Mehrheit
der Landbevölkerung polnischer Zunge. In dem eigentlichen Hüttendistrikte, in
den Kreisen Beuthen, Kattowitz, Zabrze und in den Kreisen Tarnowitz und
Gleiwitz, soweit sie hierbei in Betracht kommen, hat der rege Verkehr, Industrie
und Handel, die in den Händen der Deutschen liegen, wesentlich germanisirend
eingewirkt, sodaß hier die Kenntnis des Deutschen fast größer ist, als in dem
an deutsches Sprachgebiet grenzenden Kreise Neustadt. Neben dieser polnisch
sprechenden Mehrheit der Bevölkerung giebt es uun aber überall mehr oder
minder beträchtliche deutsche Minderheiten. In den Städten ist mit wenigen
Ausnahmen die deutsche Sprache die herrschende. Es erklärt sich dies dadurch,
daß, seitdem Oberschlesien uuter eignen Herzögen stand, diese bestrebt waren,
Deutsche aus dem Reiche in ihr Land zu ziehen, um es zu heben, und daß
diese Einwanderer als Gewerbtreibende in der Regel sich in den Städten nieder¬
ließen. Aber auch auf dem Lande giebt es inmitten einer polnisch sprechenden
Bevölkerung zahlreiche, oft schon von Friedrich dem Großen angelegte Kolonien,
die ihren deutschen Charakter und ihre deutsche Sprache bewahrt haben. Friedrich
der Große hat überhaupt für die Germanisirung Oberschlesiens außer durch
Anlegung von Kolonien auch sonst sehr viel gethan, und waren die von ihm
eingeschlagenen Bahnen von der Staatsregierung "veiter verfolgt worden, so


Oborschlefien und seine Germanisirung.

namentlich auf dem rechten Oderufer, auch öde und unfruchtbare Landstriche.
Aber in welchen andern Provinzen des Ostens wären solche nicht vorhanden?

Erwägt man nun dagegen, daß dies dem Verkehre in so hohen?
Grade erschlossene Oberschlesien, das noch nicht 60 Kilometer von dem ganz
deutschen Breslciu, der zweiten Stadt des preußischen Staates, entfernt liegt,
das seit dem Jahre 1163, wo es sich von der Krone Polen ablöste, unter
dem deutschgesinnten Herrscherhause der Piaster stand und das seit dem Jahre
1742, also seit beinahe 150 Jahren, unausgesetzt dem Königreich Preußen an¬
gehört, in der Mehrheit seiner Bevölkerung die polnische Nationalität be¬
wahrt hat, so wird man dies sicher als eine höchst auffallende Erscheinung
ansehen, eine Erscheinung, die es verdient, daß man ihre Ursachen zu er¬
gründen sucht.

Betrachten wir zu diesem Zwecke die Bevölkerung Oberschlesiens etwas
näher, so finden wir, daß sie in nationaler Beziehung vielleicht die am meisten
gemischte der ganzen preußischen Monarchie ist. In den Kreisen Reiße und
Grottkau nämlich ist sie deutsch, zum größten Teile ist dies auch der Fall in
den Kreisen Falkenberg und Leobschütz. In den übrigen Kreisen ist dagegen die
Landbevölkerung überwiegend polnisch. Am reinsten hat sich der Charakter des
Polnischen erhalten in den an Nußland grenzenden Ostkreisen Kreuzburg, Rosen¬
berg, Lublinitz und Tarnowitz, in den an Österreich grenzenden Südostkreisen
Rybnik und Pleß und in den Binnenkrcisen Gleiwitz, Kösel und Groß-Strehlitz.
Selbst in dem dicht an der Grenze des Regierungsbezirks Breslau gelegenen
Kreise Oppeln ist rings um die Regierungshauptstadt die geschlossene Mehrheit
der Landbevölkerung polnischer Zunge. In dem eigentlichen Hüttendistrikte, in
den Kreisen Beuthen, Kattowitz, Zabrze und in den Kreisen Tarnowitz und
Gleiwitz, soweit sie hierbei in Betracht kommen, hat der rege Verkehr, Industrie
und Handel, die in den Händen der Deutschen liegen, wesentlich germanisirend
eingewirkt, sodaß hier die Kenntnis des Deutschen fast größer ist, als in dem
an deutsches Sprachgebiet grenzenden Kreise Neustadt. Neben dieser polnisch
sprechenden Mehrheit der Bevölkerung giebt es uun aber überall mehr oder
minder beträchtliche deutsche Minderheiten. In den Städten ist mit wenigen
Ausnahmen die deutsche Sprache die herrschende. Es erklärt sich dies dadurch,
daß, seitdem Oberschlesien uuter eignen Herzögen stand, diese bestrebt waren,
Deutsche aus dem Reiche in ihr Land zu ziehen, um es zu heben, und daß
diese Einwanderer als Gewerbtreibende in der Regel sich in den Städten nieder¬
ließen. Aber auch auf dem Lande giebt es inmitten einer polnisch sprechenden
Bevölkerung zahlreiche, oft schon von Friedrich dem Großen angelegte Kolonien,
die ihren deutschen Charakter und ihre deutsche Sprache bewahrt haben. Friedrich
der Große hat überhaupt für die Germanisirung Oberschlesiens außer durch
Anlegung von Kolonien auch sonst sehr viel gethan, und waren die von ihm
eingeschlagenen Bahnen von der Staatsregierung »veiter verfolgt worden, so


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[0210] Oborschlefien und seine Germanisirung. namentlich auf dem rechten Oderufer, auch öde und unfruchtbare Landstriche. Aber in welchen andern Provinzen des Ostens wären solche nicht vorhanden? Erwägt man nun dagegen, daß dies dem Verkehre in so hohen? Grade erschlossene Oberschlesien, das noch nicht 60 Kilometer von dem ganz deutschen Breslciu, der zweiten Stadt des preußischen Staates, entfernt liegt, das seit dem Jahre 1163, wo es sich von der Krone Polen ablöste, unter dem deutschgesinnten Herrscherhause der Piaster stand und das seit dem Jahre 1742, also seit beinahe 150 Jahren, unausgesetzt dem Königreich Preußen an¬ gehört, in der Mehrheit seiner Bevölkerung die polnische Nationalität be¬ wahrt hat, so wird man dies sicher als eine höchst auffallende Erscheinung ansehen, eine Erscheinung, die es verdient, daß man ihre Ursachen zu er¬ gründen sucht. Betrachten wir zu diesem Zwecke die Bevölkerung Oberschlesiens etwas näher, so finden wir, daß sie in nationaler Beziehung vielleicht die am meisten gemischte der ganzen preußischen Monarchie ist. In den Kreisen Reiße und Grottkau nämlich ist sie deutsch, zum größten Teile ist dies auch der Fall in den Kreisen Falkenberg und Leobschütz. In den übrigen Kreisen ist dagegen die Landbevölkerung überwiegend polnisch. Am reinsten hat sich der Charakter des Polnischen erhalten in den an Nußland grenzenden Ostkreisen Kreuzburg, Rosen¬ berg, Lublinitz und Tarnowitz, in den an Österreich grenzenden Südostkreisen Rybnik und Pleß und in den Binnenkrcisen Gleiwitz, Kösel und Groß-Strehlitz. Selbst in dem dicht an der Grenze des Regierungsbezirks Breslau gelegenen Kreise Oppeln ist rings um die Regierungshauptstadt die geschlossene Mehrheit der Landbevölkerung polnischer Zunge. In dem eigentlichen Hüttendistrikte, in den Kreisen Beuthen, Kattowitz, Zabrze und in den Kreisen Tarnowitz und Gleiwitz, soweit sie hierbei in Betracht kommen, hat der rege Verkehr, Industrie und Handel, die in den Händen der Deutschen liegen, wesentlich germanisirend eingewirkt, sodaß hier die Kenntnis des Deutschen fast größer ist, als in dem an deutsches Sprachgebiet grenzenden Kreise Neustadt. Neben dieser polnisch sprechenden Mehrheit der Bevölkerung giebt es uun aber überall mehr oder minder beträchtliche deutsche Minderheiten. In den Städten ist mit wenigen Ausnahmen die deutsche Sprache die herrschende. Es erklärt sich dies dadurch, daß, seitdem Oberschlesien uuter eignen Herzögen stand, diese bestrebt waren, Deutsche aus dem Reiche in ihr Land zu ziehen, um es zu heben, und daß diese Einwanderer als Gewerbtreibende in der Regel sich in den Städten nieder¬ ließen. Aber auch auf dem Lande giebt es inmitten einer polnisch sprechenden Bevölkerung zahlreiche, oft schon von Friedrich dem Großen angelegte Kolonien, die ihren deutschen Charakter und ihre deutsche Sprache bewahrt haben. Friedrich der Große hat überhaupt für die Germanisirung Oberschlesiens außer durch Anlegung von Kolonien auch sonst sehr viel gethan, und waren die von ihm eingeschlagenen Bahnen von der Staatsregierung »veiter verfolgt worden, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/210>, abgerufen am 15.05.2024.