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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Lösung der afghanischen Grenzfrage.

le zuerst den v-ni/ Ugvs aus Petersburg telegraphirt wurde
und wie sich seitdem bestätigt hat, ist endlich ein Ausgleich ge¬
funden worden, der die Streitfrage wegen der Nordgrenze Afgha¬
nistans befriedigend gelöst hat. Nach diesem Abkommen erhält
Nußland das zwischen den Flüssen Kaschk und Margab liegende
Gebiet, welches den Pendsche-Turkmenen durch die letzte Absteckung der dortigen
Grenze genommen wurde, und nimmt dafür die von den Engländern vorgeschlagene
Grenzlinie am Oxus an, wobei es auf gewisse Landstriche verzichtet, auf die
es nach dem Vertrage von 1873 Anspruch hatte. So der englische Bericht.
Nach russischen Blättern verbliebe infolge dieser Verständigung Chodscha Sales
dem Emir von Afghanistan, und Rußland bekäme dafür das Stück Land bei
Pendsche, welches früher dem Turkmeneustcimme der Sarhks gehörte. Näheres
ist abzuwarten. Schon jetzt aber muß vor einem Mißverständnisse gewarnt
werden, nach welchem mit dem Abkommen die afghanische Frage überhaupt aus
der Welt geschafft wäre. Es ist vielmehr nur eine der vielen einzelnen Fragen,
in welche jene zerfällt, bis auf weiteres zum Austrage gebracht worden, und
wenn sie die nächste war, so darf bezweifelt werden, daß sie auch die wichtigste
war. Mit andern Worten: es ist nur ein Stillstehen Rußlands auf einem der
Wege, die es über das nördliche Vorland Indiens an die Grenzen des letzteren
führen können, und es giebt neben diesen im Osten einen Weg, der wahrscheinlich
bald ebenfalls ins Auge gefaßt werden wird. Bleiben wir aber bei der afgha¬
nischen Frage, so ist jetzt die Gefahr für England nicht beschworen, sondern nur
vertagt. Als Nußland in Mittelasien langsam, aber stetig vordrang, eins der
dortigen Chcmcite nach dem andern eroberte oder von sich abhängig machte und
Stamm auf Stamm der Nomaden der Steppen seinem Unterthanenverbcinde
einverleibte, sahen britische Politiker die Zeit voraus, wo die Reihe auch an die
Gebiete des Emirs kommen mußte, und begriffen, daß England einer Eroberung
Afghanistans nicht Gewehr bei Fuß zusehe" darf. Von den Felsenpässen dieses
Emirats würde Rußland auf die Ebnen am obern Indus wie auf ein nach
langem Wüstenzuge endlich nahe gelegenes gelobtes Land hinabsehen. Die Af¬
ghanen, jetzt seine Verbündeten, konnten als Vortrab der Streitkräfte dienen,
welche zur Besitznahme aufzubrechen bestimmt wären. Schon fegten sie in diesen
letzten Jahrzehnten einmal in Gestalt eines mächtigen Reitersturmes hinab in
diese reichen Gefilde, und es ist sicher, daß diese Gefahr von den Völkern am
Indus nicht überall als solche aufgefaßt werden würde, von nicht wenigen viel¬
mehr als nahe gerückte Befreiung. Englands Politik mußte daher schon längst


Die Lösung der afghanischen Grenzfrage.

le zuerst den v-ni/ Ugvs aus Petersburg telegraphirt wurde
und wie sich seitdem bestätigt hat, ist endlich ein Ausgleich ge¬
funden worden, der die Streitfrage wegen der Nordgrenze Afgha¬
nistans befriedigend gelöst hat. Nach diesem Abkommen erhält
Nußland das zwischen den Flüssen Kaschk und Margab liegende
Gebiet, welches den Pendsche-Turkmenen durch die letzte Absteckung der dortigen
Grenze genommen wurde, und nimmt dafür die von den Engländern vorgeschlagene
Grenzlinie am Oxus an, wobei es auf gewisse Landstriche verzichtet, auf die
es nach dem Vertrage von 1873 Anspruch hatte. So der englische Bericht.
Nach russischen Blättern verbliebe infolge dieser Verständigung Chodscha Sales
dem Emir von Afghanistan, und Rußland bekäme dafür das Stück Land bei
Pendsche, welches früher dem Turkmeneustcimme der Sarhks gehörte. Näheres
ist abzuwarten. Schon jetzt aber muß vor einem Mißverständnisse gewarnt
werden, nach welchem mit dem Abkommen die afghanische Frage überhaupt aus
der Welt geschafft wäre. Es ist vielmehr nur eine der vielen einzelnen Fragen,
in welche jene zerfällt, bis auf weiteres zum Austrage gebracht worden, und
wenn sie die nächste war, so darf bezweifelt werden, daß sie auch die wichtigste
war. Mit andern Worten: es ist nur ein Stillstehen Rußlands auf einem der
Wege, die es über das nördliche Vorland Indiens an die Grenzen des letzteren
führen können, und es giebt neben diesen im Osten einen Weg, der wahrscheinlich
bald ebenfalls ins Auge gefaßt werden wird. Bleiben wir aber bei der afgha¬
nischen Frage, so ist jetzt die Gefahr für England nicht beschworen, sondern nur
vertagt. Als Nußland in Mittelasien langsam, aber stetig vordrang, eins der
dortigen Chcmcite nach dem andern eroberte oder von sich abhängig machte und
Stamm auf Stamm der Nomaden der Steppen seinem Unterthanenverbcinde
einverleibte, sahen britische Politiker die Zeit voraus, wo die Reihe auch an die
Gebiete des Emirs kommen mußte, und begriffen, daß England einer Eroberung
Afghanistans nicht Gewehr bei Fuß zusehe» darf. Von den Felsenpässen dieses
Emirats würde Rußland auf die Ebnen am obern Indus wie auf ein nach
langem Wüstenzuge endlich nahe gelegenes gelobtes Land hinabsehen. Die Af¬
ghanen, jetzt seine Verbündeten, konnten als Vortrab der Streitkräfte dienen,
welche zur Besitznahme aufzubrechen bestimmt wären. Schon fegten sie in diesen
letzten Jahrzehnten einmal in Gestalt eines mächtigen Reitersturmes hinab in
diese reichen Gefilde, und es ist sicher, daß diese Gefahr von den Völkern am
Indus nicht überall als solche aufgefaßt werden würde, von nicht wenigen viel¬
mehr als nahe gerückte Befreiung. Englands Politik mußte daher schon längst


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[0244] Die Lösung der afghanischen Grenzfrage. le zuerst den v-ni/ Ugvs aus Petersburg telegraphirt wurde und wie sich seitdem bestätigt hat, ist endlich ein Ausgleich ge¬ funden worden, der die Streitfrage wegen der Nordgrenze Afgha¬ nistans befriedigend gelöst hat. Nach diesem Abkommen erhält Nußland das zwischen den Flüssen Kaschk und Margab liegende Gebiet, welches den Pendsche-Turkmenen durch die letzte Absteckung der dortigen Grenze genommen wurde, und nimmt dafür die von den Engländern vorgeschlagene Grenzlinie am Oxus an, wobei es auf gewisse Landstriche verzichtet, auf die es nach dem Vertrage von 1873 Anspruch hatte. So der englische Bericht. Nach russischen Blättern verbliebe infolge dieser Verständigung Chodscha Sales dem Emir von Afghanistan, und Rußland bekäme dafür das Stück Land bei Pendsche, welches früher dem Turkmeneustcimme der Sarhks gehörte. Näheres ist abzuwarten. Schon jetzt aber muß vor einem Mißverständnisse gewarnt werden, nach welchem mit dem Abkommen die afghanische Frage überhaupt aus der Welt geschafft wäre. Es ist vielmehr nur eine der vielen einzelnen Fragen, in welche jene zerfällt, bis auf weiteres zum Austrage gebracht worden, und wenn sie die nächste war, so darf bezweifelt werden, daß sie auch die wichtigste war. Mit andern Worten: es ist nur ein Stillstehen Rußlands auf einem der Wege, die es über das nördliche Vorland Indiens an die Grenzen des letzteren führen können, und es giebt neben diesen im Osten einen Weg, der wahrscheinlich bald ebenfalls ins Auge gefaßt werden wird. Bleiben wir aber bei der afgha¬ nischen Frage, so ist jetzt die Gefahr für England nicht beschworen, sondern nur vertagt. Als Nußland in Mittelasien langsam, aber stetig vordrang, eins der dortigen Chcmcite nach dem andern eroberte oder von sich abhängig machte und Stamm auf Stamm der Nomaden der Steppen seinem Unterthanenverbcinde einverleibte, sahen britische Politiker die Zeit voraus, wo die Reihe auch an die Gebiete des Emirs kommen mußte, und begriffen, daß England einer Eroberung Afghanistans nicht Gewehr bei Fuß zusehe» darf. Von den Felsenpässen dieses Emirats würde Rußland auf die Ebnen am obern Indus wie auf ein nach langem Wüstenzuge endlich nahe gelegenes gelobtes Land hinabsehen. Die Af¬ ghanen, jetzt seine Verbündeten, konnten als Vortrab der Streitkräfte dienen, welche zur Besitznahme aufzubrechen bestimmt wären. Schon fegten sie in diesen letzten Jahrzehnten einmal in Gestalt eines mächtigen Reitersturmes hinab in diese reichen Gefilde, und es ist sicher, daß diese Gefahr von den Völkern am Indus nicht überall als solche aufgefaßt werden würde, von nicht wenigen viel¬ mehr als nahe gerückte Befreiung. Englands Politik mußte daher schon längst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/244>, abgerufen am 29.04.2024.