Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der Wucher auf dem Lande.

WMWM
/MZsM^is die Hegelsche Philosophie mit ihrem Kauderwelsch alle Bil¬
dung in Deutschland beherrschte, sagte Ludwig Börne in be¬
greiflichen Scherze, es fehle uns an Büchern, die Thatsachen
enthielten und keine Meinungen. Die gleiche Sehnsucht ist auch
in den fünfziger und sechziger Jahren öfters zum Ausdruck ge¬
kommen, als zwar nicht die Philosophie, wohl aber eine alle Katheder und
Lehrbücher beherrschende Volkswirtschaftslehre ihren Triumph in Deutschland
und einigen benachbarten Ländern feierte. Sie galt in den Zeitungen als
der selbstverständliche Niederschlag der Schulgedanken, und wie der französische
Bürgersmann, der kein Urteil haben kann, doch aus dem Feuilleton eifrig ent¬
nimmt es "zu'it kg-ut xsvssr ac pedes vKoss-IZ,, was er, um nicht aufzufallen,
von der neuen Tragödie oder dem neuesten Roman zu halten hat, so war es
bei uns mit Freihandel und Schutzzoll, Innungen, Versicherungszwang und
den zahllosen Fragen, die mit jenen Worten zusammenhängen. Es waren eben
gar keine Fragen, sondern ausgemachte Dinge, über die jeder so gut aufgeklärt
war, wie über die Bewegung der Erde um die Sonne.

Diese Sicherheit ist geschwunden, und wenn die Unsicherheit und der Zweifel
formell etwas Unbehagliches ist, so darf es auch auf unserm Gebiete nicht
wunderbar erscheinen, daß sich viele Zeitungen und Schriftsteller noch nicht
recht darüber beruhigen können, daß die manchesterliche Glaubenseinheit nicht
mehr den früheren Zauber übt. Die Freiheit hat ihr Schönes, aber auch ihre
Sorgen; der Diener, der während der Abwesenheit seines Herrn anfängt, frei
zu sein, macht dabei so seltsame Erfahrungen, daß er jubelt, wenn das Kom¬
mandowort der zurückgekehrten Herrschaft ihm wieder genau sagt, was er jeden


Grenzboten III. 1837. 32


Der Wucher auf dem Lande.

WMWM
/MZsM^is die Hegelsche Philosophie mit ihrem Kauderwelsch alle Bil¬
dung in Deutschland beherrschte, sagte Ludwig Börne in be¬
greiflichen Scherze, es fehle uns an Büchern, die Thatsachen
enthielten und keine Meinungen. Die gleiche Sehnsucht ist auch
in den fünfziger und sechziger Jahren öfters zum Ausdruck ge¬
kommen, als zwar nicht die Philosophie, wohl aber eine alle Katheder und
Lehrbücher beherrschende Volkswirtschaftslehre ihren Triumph in Deutschland
und einigen benachbarten Ländern feierte. Sie galt in den Zeitungen als
der selbstverständliche Niederschlag der Schulgedanken, und wie der französische
Bürgersmann, der kein Urteil haben kann, doch aus dem Feuilleton eifrig ent¬
nimmt es «zu'it kg-ut xsvssr ac pedes vKoss-IZ,, was er, um nicht aufzufallen,
von der neuen Tragödie oder dem neuesten Roman zu halten hat, so war es
bei uns mit Freihandel und Schutzzoll, Innungen, Versicherungszwang und
den zahllosen Fragen, die mit jenen Worten zusammenhängen. Es waren eben
gar keine Fragen, sondern ausgemachte Dinge, über die jeder so gut aufgeklärt
war, wie über die Bewegung der Erde um die Sonne.

Diese Sicherheit ist geschwunden, und wenn die Unsicherheit und der Zweifel
formell etwas Unbehagliches ist, so darf es auch auf unserm Gebiete nicht
wunderbar erscheinen, daß sich viele Zeitungen und Schriftsteller noch nicht
recht darüber beruhigen können, daß die manchesterliche Glaubenseinheit nicht
mehr den früheren Zauber übt. Die Freiheit hat ihr Schönes, aber auch ihre
Sorgen; der Diener, der während der Abwesenheit seines Herrn anfängt, frei
zu sein, macht dabei so seltsame Erfahrungen, daß er jubelt, wenn das Kom¬
mandowort der zurückgekehrten Herrschaft ihm wieder genau sagt, was er jeden


Grenzboten III. 1837. 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201036"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341845_200778/figures/grenzboten_341845_200778_201036_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Wucher auf dem Lande.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> WMWM<lb/>
/MZsM^is die Hegelsche Philosophie mit ihrem Kauderwelsch alle Bil¬<lb/>
dung in Deutschland beherrschte, sagte Ludwig Börne in be¬<lb/>
greiflichen Scherze, es fehle uns an Büchern, die Thatsachen<lb/>
enthielten und keine Meinungen. Die gleiche Sehnsucht ist auch<lb/>
in den fünfziger und sechziger Jahren öfters zum Ausdruck ge¬<lb/>
kommen, als zwar nicht die Philosophie, wohl aber eine alle Katheder und<lb/>
Lehrbücher beherrschende Volkswirtschaftslehre ihren Triumph in Deutschland<lb/>
und einigen benachbarten Ländern feierte. Sie galt in den Zeitungen als<lb/>
der selbstverständliche Niederschlag der Schulgedanken, und wie der französische<lb/>
Bürgersmann, der kein Urteil haben kann, doch aus dem Feuilleton eifrig ent¬<lb/>
nimmt es «zu'it kg-ut xsvssr ac pedes vKoss-IZ,, was er, um nicht aufzufallen,<lb/>
von der neuen Tragödie oder dem neuesten Roman zu halten hat, so war es<lb/>
bei uns mit Freihandel und Schutzzoll, Innungen, Versicherungszwang und<lb/>
den zahllosen Fragen, die mit jenen Worten zusammenhängen. Es waren eben<lb/>
gar keine Fragen, sondern ausgemachte Dinge, über die jeder so gut aufgeklärt<lb/>
war, wie über die Bewegung der Erde um die Sonne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761" next="#ID_762"> Diese Sicherheit ist geschwunden, und wenn die Unsicherheit und der Zweifel<lb/>
formell etwas Unbehagliches ist, so darf es auch auf unserm Gebiete nicht<lb/>
wunderbar erscheinen, daß sich viele Zeitungen und Schriftsteller noch nicht<lb/>
recht darüber beruhigen können, daß die manchesterliche Glaubenseinheit nicht<lb/>
mehr den früheren Zauber übt. Die Freiheit hat ihr Schönes, aber auch ihre<lb/>
Sorgen; der Diener, der während der Abwesenheit seines Herrn anfängt, frei<lb/>
zu sein, macht dabei so seltsame Erfahrungen, daß er jubelt, wenn das Kom¬<lb/>
mandowort der zurückgekehrten Herrschaft ihm wieder genau sagt, was er jeden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1837. 32</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] [Abbildung] Der Wucher auf dem Lande. WMWM /MZsM^is die Hegelsche Philosophie mit ihrem Kauderwelsch alle Bil¬ dung in Deutschland beherrschte, sagte Ludwig Börne in be¬ greiflichen Scherze, es fehle uns an Büchern, die Thatsachen enthielten und keine Meinungen. Die gleiche Sehnsucht ist auch in den fünfziger und sechziger Jahren öfters zum Ausdruck ge¬ kommen, als zwar nicht die Philosophie, wohl aber eine alle Katheder und Lehrbücher beherrschende Volkswirtschaftslehre ihren Triumph in Deutschland und einigen benachbarten Ländern feierte. Sie galt in den Zeitungen als der selbstverständliche Niederschlag der Schulgedanken, und wie der französische Bürgersmann, der kein Urteil haben kann, doch aus dem Feuilleton eifrig ent¬ nimmt es «zu'it kg-ut xsvssr ac pedes vKoss-IZ,, was er, um nicht aufzufallen, von der neuen Tragödie oder dem neuesten Roman zu halten hat, so war es bei uns mit Freihandel und Schutzzoll, Innungen, Versicherungszwang und den zahllosen Fragen, die mit jenen Worten zusammenhängen. Es waren eben gar keine Fragen, sondern ausgemachte Dinge, über die jeder so gut aufgeklärt war, wie über die Bewegung der Erde um die Sonne. Diese Sicherheit ist geschwunden, und wenn die Unsicherheit und der Zweifel formell etwas Unbehagliches ist, so darf es auch auf unserm Gebiete nicht wunderbar erscheinen, daß sich viele Zeitungen und Schriftsteller noch nicht recht darüber beruhigen können, daß die manchesterliche Glaubenseinheit nicht mehr den früheren Zauber übt. Die Freiheit hat ihr Schönes, aber auch ihre Sorgen; der Diener, der während der Abwesenheit seines Herrn anfängt, frei zu sein, macht dabei so seltsame Erfahrungen, daß er jubelt, wenn das Kom¬ mandowort der zurückgekehrten Herrschaft ihm wieder genau sagt, was er jeden Grenzboten III. 1837. 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/257>, abgerufen am 28.04.2024.