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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gin süddeutscher Patriot vor hundert fahren.

is die Folgen der großen französischen Staatsumwälzung auch
im deutschen Leben sich immer mehr in störender Weise fühlbar
machten, klagte Goethe, daß das Franztum jetzt, so wie es einst
das Luthertum gethan habe, ruhige Bildung zurückdränge. Diese
Worte sind lange Zeit vorwiegend so gedeutet worden, als ob
sich in ihnen der Ärger des "Kuustgreiscs" Luft mache, der es unangenehm
empfand, daß der Wellenschlag einer mächtigen politischen Bewegung die Zirkel
feiner ästhetischen Weltbetrachtung durchbrach. Nachdem wir dnrch Clemens
Theodor Perthes und Ludwig Häußer, besonders aber ganz neuerdings durch
Woldemar Wenck von den geistigen Zuständen Deutschlands beim Ausbruch der
Revolution ein volleres und richtigeres Bild erhalten haben, tritt auch das
Goethische Urteil in eine andre Beleuchtung und dürfte jetzt als umfassender
Ausdruck geschichtlicher Wahrheit auch solchen erscheinen, deren persönliche
Neigung mehr der politischen That, als der künstlerischen Betrachtung zugekehrt
ist. In den Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist für
Deutschland das Geburtsdatum jener Macht zu setzen, die im modernen Staats¬
leben regelmäßig als die entscheidende angerufen wird -- der öffentlichen Meinung.
Ihrem Erstarken entspricht das Wachstum einer politischen Presse. Aber nicht
bloß auf dem Gebiete der Publizistik, sondern im gesamten staatlichen Leben der
Deutschen können nur mit Erstaunen die Fortschritte wahrgenommen werden,
mit denen unser Volk am Vorabende des Bastillenstnrmes den einst so viel be¬
wunderten und thöricht nachgeahmten westlichen Nachbar endgiltig überholt zu
haben glaubte. Mehr als nur geschichtlichen Wert darf eine Betrachtung be¬
anspruchen, welche aufzeigt, in welchen besondern Richtungen jener erfreuliche
Aufschwung des staatlichen und nationalen Lebens zur Geltung gekommen war
und wo dann doch das Verhängnis begründet lag, durch welches unser Vater¬
land nochmals, und in stärkerem Maße als je vordem, französischem Über¬
gewicht unterworfen werden sollte.

Dem Beispiel Friedrichs des Großen, seinen Thaten als Feldherr und
Regent war vor allem die Wendung zum Bessern zu danken, welche das deutsche
Leben seit Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufweist.
Preußen vornehmlich hatte sich als Musterstaat des Fortschritts bewährt, und
hier hatte sich eine staatliche Gesinnung, ein gemeinsames Volksbewußtsein aus¬
gebildet -- preußisch und zugleich deutsch --, wie es anderwärts nicht zu finden
war. Aber auch in Süddeutschland war der Name eines Patrioten zu Ehren


Gin süddeutscher Patriot vor hundert fahren.

is die Folgen der großen französischen Staatsumwälzung auch
im deutschen Leben sich immer mehr in störender Weise fühlbar
machten, klagte Goethe, daß das Franztum jetzt, so wie es einst
das Luthertum gethan habe, ruhige Bildung zurückdränge. Diese
Worte sind lange Zeit vorwiegend so gedeutet worden, als ob
sich in ihnen der Ärger des „Kuustgreiscs" Luft mache, der es unangenehm
empfand, daß der Wellenschlag einer mächtigen politischen Bewegung die Zirkel
feiner ästhetischen Weltbetrachtung durchbrach. Nachdem wir dnrch Clemens
Theodor Perthes und Ludwig Häußer, besonders aber ganz neuerdings durch
Woldemar Wenck von den geistigen Zuständen Deutschlands beim Ausbruch der
Revolution ein volleres und richtigeres Bild erhalten haben, tritt auch das
Goethische Urteil in eine andre Beleuchtung und dürfte jetzt als umfassender
Ausdruck geschichtlicher Wahrheit auch solchen erscheinen, deren persönliche
Neigung mehr der politischen That, als der künstlerischen Betrachtung zugekehrt
ist. In den Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist für
Deutschland das Geburtsdatum jener Macht zu setzen, die im modernen Staats¬
leben regelmäßig als die entscheidende angerufen wird — der öffentlichen Meinung.
Ihrem Erstarken entspricht das Wachstum einer politischen Presse. Aber nicht
bloß auf dem Gebiete der Publizistik, sondern im gesamten staatlichen Leben der
Deutschen können nur mit Erstaunen die Fortschritte wahrgenommen werden,
mit denen unser Volk am Vorabende des Bastillenstnrmes den einst so viel be¬
wunderten und thöricht nachgeahmten westlichen Nachbar endgiltig überholt zu
haben glaubte. Mehr als nur geschichtlichen Wert darf eine Betrachtung be¬
anspruchen, welche aufzeigt, in welchen besondern Richtungen jener erfreuliche
Aufschwung des staatlichen und nationalen Lebens zur Geltung gekommen war
und wo dann doch das Verhängnis begründet lag, durch welches unser Vater¬
land nochmals, und in stärkerem Maße als je vordem, französischem Über¬
gewicht unterworfen werden sollte.

Dem Beispiel Friedrichs des Großen, seinen Thaten als Feldherr und
Regent war vor allem die Wendung zum Bessern zu danken, welche das deutsche
Leben seit Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufweist.
Preußen vornehmlich hatte sich als Musterstaat des Fortschritts bewährt, und
hier hatte sich eine staatliche Gesinnung, ein gemeinsames Volksbewußtsein aus¬
gebildet — preußisch und zugleich deutsch —, wie es anderwärts nicht zu finden
war. Aber auch in Süddeutschland war der Name eines Patrioten zu Ehren


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[0274] Gin süddeutscher Patriot vor hundert fahren. is die Folgen der großen französischen Staatsumwälzung auch im deutschen Leben sich immer mehr in störender Weise fühlbar machten, klagte Goethe, daß das Franztum jetzt, so wie es einst das Luthertum gethan habe, ruhige Bildung zurückdränge. Diese Worte sind lange Zeit vorwiegend so gedeutet worden, als ob sich in ihnen der Ärger des „Kuustgreiscs" Luft mache, der es unangenehm empfand, daß der Wellenschlag einer mächtigen politischen Bewegung die Zirkel feiner ästhetischen Weltbetrachtung durchbrach. Nachdem wir dnrch Clemens Theodor Perthes und Ludwig Häußer, besonders aber ganz neuerdings durch Woldemar Wenck von den geistigen Zuständen Deutschlands beim Ausbruch der Revolution ein volleres und richtigeres Bild erhalten haben, tritt auch das Goethische Urteil in eine andre Beleuchtung und dürfte jetzt als umfassender Ausdruck geschichtlicher Wahrheit auch solchen erscheinen, deren persönliche Neigung mehr der politischen That, als der künstlerischen Betrachtung zugekehrt ist. In den Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist für Deutschland das Geburtsdatum jener Macht zu setzen, die im modernen Staats¬ leben regelmäßig als die entscheidende angerufen wird — der öffentlichen Meinung. Ihrem Erstarken entspricht das Wachstum einer politischen Presse. Aber nicht bloß auf dem Gebiete der Publizistik, sondern im gesamten staatlichen Leben der Deutschen können nur mit Erstaunen die Fortschritte wahrgenommen werden, mit denen unser Volk am Vorabende des Bastillenstnrmes den einst so viel be¬ wunderten und thöricht nachgeahmten westlichen Nachbar endgiltig überholt zu haben glaubte. Mehr als nur geschichtlichen Wert darf eine Betrachtung be¬ anspruchen, welche aufzeigt, in welchen besondern Richtungen jener erfreuliche Aufschwung des staatlichen und nationalen Lebens zur Geltung gekommen war und wo dann doch das Verhängnis begründet lag, durch welches unser Vater¬ land nochmals, und in stärkerem Maße als je vordem, französischem Über¬ gewicht unterworfen werden sollte. Dem Beispiel Friedrichs des Großen, seinen Thaten als Feldherr und Regent war vor allem die Wendung zum Bessern zu danken, welche das deutsche Leben seit Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufweist. Preußen vornehmlich hatte sich als Musterstaat des Fortschritts bewährt, und hier hatte sich eine staatliche Gesinnung, ein gemeinsames Volksbewußtsein aus¬ gebildet — preußisch und zugleich deutsch —, wie es anderwärts nicht zu finden war. Aber auch in Süddeutschland war der Name eines Patrioten zu Ehren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/274>, abgerufen am 28.04.2024.