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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfrenndinnen.

Patrioten auf dem Wege waren, trotz aller Verwicklungen und Verworrenheiten
die Gedanken zu finden, welche den Bann lösen sollten, der seit Jahrhunderten
die selbständige nationale Entwicklung des deutschen Volkes in Fesseln hielt.




Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz. 3. Die Titanide.
(Schluß.)

A'^MO
Mn dem Maße, wie die Leidenschaft von ihr wich, näherte sich
Charlotte ihrem Manne wieder. Im Frühjahr 1790 eilte der
Major nach Frankreich zurück, bereit, in den bereits ausgebrochenen
politischen Stürmen für das Königtum zu kämpfen. Er fand
das Regiment Ro^al LrMs, zu dem er gehörte, aufgelöst, aber
er verschaffte sich Zutritt zum Könige und bot seine Dienste an. Durch Graf
von Fersen, seinen früheren Chef, wurde ihm bedeutet, daß er gerufen werden
solle, sobald es Zeit sei, bis dahin aber solle er, um keinen Verdacht zu
erregen, nicht in Frankreich bleiben. So kam er nach Weimar zurück und
wartete auf den Ruf, aber vergeblich. Ohne Amt, ohne jede ernste Thätigkeit
vergeudete er seine Tage im Kreise der Seinen und am Hofe. Unterdessen sank
das Vermögen der Familie immer mehr zusammen. Der Präsident führte den
kostspieligen Prozeß weiter und beteiligte sich an gewagten Spekulationen, wie
an dem Ankaufe von Salinen und Hüttenwerken in Frankreich. Charlotte
widmete sich, um ihre Gedanken auf einen festen Punkt zu richten, mit beson¬
derer Sorgfalt ihren Kindern, denn zu dem Sohne Fritz war in dem Leidens¬
jahre 1790 noch eine Tochter gekommen. Der Hauslehrer, welchen Schiller
ihr für Fritz empfahl, war der Dichter Hölderlin aus Schwaben. Die Wahl
war nicht glücklich. Hölderlin, in dessen ungemein zartbesaiteten und reizbaren
Geistesleben schon damals krankhafte Störungen als Vorboten des spätern
Wahnsinns aufzuckten, paßte nicht zu ihr, und sie nicht zu ihm, am wenigsten
aber eignete er sich zum Erzieher. Dies sah er selbst ein, und Frau von Kalb
erkannte es auch, aber sie hielt ihn fest, so lange sie konnte, weil sie sich gewöhnt
hatte, ihn wie einen der Ihrigen mit mütterlicher Sorgfalt zu pflegen. Hölderlin
verehrte sie wie ein höheres Wesen, und manches in seinem Hyperion, dessen


Dichterfrenndinnen.

Patrioten auf dem Wege waren, trotz aller Verwicklungen und Verworrenheiten
die Gedanken zu finden, welche den Bann lösen sollten, der seit Jahrhunderten
die selbständige nationale Entwicklung des deutschen Volkes in Fesseln hielt.




Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz. 3. Die Titanide.
(Schluß.)

A'^MO
Mn dem Maße, wie die Leidenschaft von ihr wich, näherte sich
Charlotte ihrem Manne wieder. Im Frühjahr 1790 eilte der
Major nach Frankreich zurück, bereit, in den bereits ausgebrochenen
politischen Stürmen für das Königtum zu kämpfen. Er fand
das Regiment Ro^al LrMs, zu dem er gehörte, aufgelöst, aber
er verschaffte sich Zutritt zum Könige und bot seine Dienste an. Durch Graf
von Fersen, seinen früheren Chef, wurde ihm bedeutet, daß er gerufen werden
solle, sobald es Zeit sei, bis dahin aber solle er, um keinen Verdacht zu
erregen, nicht in Frankreich bleiben. So kam er nach Weimar zurück und
wartete auf den Ruf, aber vergeblich. Ohne Amt, ohne jede ernste Thätigkeit
vergeudete er seine Tage im Kreise der Seinen und am Hofe. Unterdessen sank
das Vermögen der Familie immer mehr zusammen. Der Präsident führte den
kostspieligen Prozeß weiter und beteiligte sich an gewagten Spekulationen, wie
an dem Ankaufe von Salinen und Hüttenwerken in Frankreich. Charlotte
widmete sich, um ihre Gedanken auf einen festen Punkt zu richten, mit beson¬
derer Sorgfalt ihren Kindern, denn zu dem Sohne Fritz war in dem Leidens¬
jahre 1790 noch eine Tochter gekommen. Der Hauslehrer, welchen Schiller
ihr für Fritz empfahl, war der Dichter Hölderlin aus Schwaben. Die Wahl
war nicht glücklich. Hölderlin, in dessen ungemein zartbesaiteten und reizbaren
Geistesleben schon damals krankhafte Störungen als Vorboten des spätern
Wahnsinns aufzuckten, paßte nicht zu ihr, und sie nicht zu ihm, am wenigsten
aber eignete er sich zum Erzieher. Dies sah er selbst ein, und Frau von Kalb
erkannte es auch, aber sie hielt ihn fest, so lange sie konnte, weil sie sich gewöhnt
hatte, ihn wie einen der Ihrigen mit mütterlicher Sorgfalt zu pflegen. Hölderlin
verehrte sie wie ein höheres Wesen, und manches in seinem Hyperion, dessen


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[0284] Dichterfrenndinnen. Patrioten auf dem Wege waren, trotz aller Verwicklungen und Verworrenheiten die Gedanken zu finden, welche den Bann lösen sollten, der seit Jahrhunderten die selbständige nationale Entwicklung des deutschen Volkes in Fesseln hielt. Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz. 3. Die Titanide. (Schluß.) A'^MO Mn dem Maße, wie die Leidenschaft von ihr wich, näherte sich Charlotte ihrem Manne wieder. Im Frühjahr 1790 eilte der Major nach Frankreich zurück, bereit, in den bereits ausgebrochenen politischen Stürmen für das Königtum zu kämpfen. Er fand das Regiment Ro^al LrMs, zu dem er gehörte, aufgelöst, aber er verschaffte sich Zutritt zum Könige und bot seine Dienste an. Durch Graf von Fersen, seinen früheren Chef, wurde ihm bedeutet, daß er gerufen werden solle, sobald es Zeit sei, bis dahin aber solle er, um keinen Verdacht zu erregen, nicht in Frankreich bleiben. So kam er nach Weimar zurück und wartete auf den Ruf, aber vergeblich. Ohne Amt, ohne jede ernste Thätigkeit vergeudete er seine Tage im Kreise der Seinen und am Hofe. Unterdessen sank das Vermögen der Familie immer mehr zusammen. Der Präsident führte den kostspieligen Prozeß weiter und beteiligte sich an gewagten Spekulationen, wie an dem Ankaufe von Salinen und Hüttenwerken in Frankreich. Charlotte widmete sich, um ihre Gedanken auf einen festen Punkt zu richten, mit beson¬ derer Sorgfalt ihren Kindern, denn zu dem Sohne Fritz war in dem Leidens¬ jahre 1790 noch eine Tochter gekommen. Der Hauslehrer, welchen Schiller ihr für Fritz empfahl, war der Dichter Hölderlin aus Schwaben. Die Wahl war nicht glücklich. Hölderlin, in dessen ungemein zartbesaiteten und reizbaren Geistesleben schon damals krankhafte Störungen als Vorboten des spätern Wahnsinns aufzuckten, paßte nicht zu ihr, und sie nicht zu ihm, am wenigsten aber eignete er sich zum Erzieher. Dies sah er selbst ein, und Frau von Kalb erkannte es auch, aber sie hielt ihn fest, so lange sie konnte, weil sie sich gewöhnt hatte, ihn wie einen der Ihrigen mit mütterlicher Sorgfalt zu pflegen. Hölderlin verehrte sie wie ein höheres Wesen, und manches in seinem Hyperion, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/284>, abgerufen am 29.04.2024.