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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfrenndinnen.

erste Ausarbeitung in diese Zeit fällt, erinnert an ihren Einfluß, Nachdem er
etwa ein Jahr in ihrem Hause zugebracht hatte, Eude 1794, schied er von ihr.

In dieser ruhigeren Zeit ihres Lebens erhielt Frau von Kalb manche
Beweise von Achtung und Freundschaft aus dem engeren Kreise der hervor¬
ragenden Weimarischen Männer und Frauen. Bei der Herzogin-Mutter war
sie immer gern gesehen; wie Schiller, so begegnete ihr auch Goethe mit herz¬
licher Höflichkeit und hoher Achtung, ihre Begeisterung für seine Iphigenie
machte ihm Freude, und in teilnehmender Weise erkundigte er sich nach ihr. Die
arme Frau mußte daran denken, ihre ganze Familie, den Mann dazu, zu er¬
nähren, eine schreckliche Aussicht, da ihr Augenlicht immer mehr schwand. Schon
im Jahre 1794 suchte sie durch Vertrieb von Wein etwas zu gewinnen, Goethe
sollte ihr dabei helfen, und er bemühte sich treulich, Kundschaft für sie an¬
zuwerben.

In dieser Zeit, als geistige Vereinsamung, zunehmendes Augenleiden und
der Verfall des Vermögens die geniale Frau immer tiefer zur gemeinen Wirk¬
lichkeit herabzogen, geriet sie, die Fünfuuddreißigjährige, noch einmal in den
Strudel der Seeleufreundschaft und der leidenschaftlichen Liebe. Daß dies zu
einer neuen Niederlage führen mußte, war vorauszusehen. Im Juni 1796 kam
Jean Paul Friedrich Richter nach Weimar. Der sentimentale Satiriker, der
in Ahnungen verhüllte ewige Jüngling mit der unerschöpflichen Phantasie
und der unübersehbaren Belesenheit hatte durch seine wunderlichen Romane
außerordentliches Aufsehen gemacht, besonders die literaturbeflissenen Damen
im mittleren Alter waren außer Rand und Band vor Entzücken. Es gab deren
viele, die dem ersten Flügelschlage der klassischen Dichtung mit klopfendem Herzen
gelauscht, vielleicht selbst im Rate der Dichter gesessen hatten und nun, erschreckt von
dem kritischen Zeitalter Kants, Fichtes und der Romantiker, vor dem "Tnebsande
der Zeit" in ihr Inneres geflüchtet waren. Diese begrüßten Jean Paul als
den Apostel der Innerlichkeit, als den Seher, als den Priester der Religion
des Wahren, Guten und Schönen, und zwar mit einer solchen Zärtlichkeit, daß
er sich ihrer kaum erwehren konnte. Fürstinnen sandten ihm selbstgefertigte
Geschenke nebst innigen Grüßen, eine ganze Schaar adlicher Damen überhäufte
ihn mit Geständnissen der zärtlichsten Hingebung. Die meisten beriefen sich
auf Hesperus als diejenige Dichtung, welche die Begeisterung in ihrem Herzen
entflammt habe. Der arme Schnlmeisterssohn that, was er in der Fülle seines
Idealismus und seines bürgerlich ehrsamen Gemütes thun konnte: er umwand
die Damen mit den Blumenketten seiner schlagfertigen Phantasie, studirte sie
als die Vorbilder zu neuen Romanen, ruhte von Zeit zu Zeit an ihrem Herzen
aus und strebte, wie von einer unwiderstehlichen Naturnotwendigkeit getrieben,
den idyllischen, prosaisch einfachen Verhältnissen zu, aus denen er hervorgegangen
war. Julie von Krüdener, Josephine von Sydow, Charlotte von Kalb, Emilie
von Berlepsch und Karoline von Feuchtersleben waren unter der großen Menge


Dichterfrenndinnen.

erste Ausarbeitung in diese Zeit fällt, erinnert an ihren Einfluß, Nachdem er
etwa ein Jahr in ihrem Hause zugebracht hatte, Eude 1794, schied er von ihr.

In dieser ruhigeren Zeit ihres Lebens erhielt Frau von Kalb manche
Beweise von Achtung und Freundschaft aus dem engeren Kreise der hervor¬
ragenden Weimarischen Männer und Frauen. Bei der Herzogin-Mutter war
sie immer gern gesehen; wie Schiller, so begegnete ihr auch Goethe mit herz¬
licher Höflichkeit und hoher Achtung, ihre Begeisterung für seine Iphigenie
machte ihm Freude, und in teilnehmender Weise erkundigte er sich nach ihr. Die
arme Frau mußte daran denken, ihre ganze Familie, den Mann dazu, zu er¬
nähren, eine schreckliche Aussicht, da ihr Augenlicht immer mehr schwand. Schon
im Jahre 1794 suchte sie durch Vertrieb von Wein etwas zu gewinnen, Goethe
sollte ihr dabei helfen, und er bemühte sich treulich, Kundschaft für sie an¬
zuwerben.

In dieser Zeit, als geistige Vereinsamung, zunehmendes Augenleiden und
der Verfall des Vermögens die geniale Frau immer tiefer zur gemeinen Wirk¬
lichkeit herabzogen, geriet sie, die Fünfuuddreißigjährige, noch einmal in den
Strudel der Seeleufreundschaft und der leidenschaftlichen Liebe. Daß dies zu
einer neuen Niederlage führen mußte, war vorauszusehen. Im Juni 1796 kam
Jean Paul Friedrich Richter nach Weimar. Der sentimentale Satiriker, der
in Ahnungen verhüllte ewige Jüngling mit der unerschöpflichen Phantasie
und der unübersehbaren Belesenheit hatte durch seine wunderlichen Romane
außerordentliches Aufsehen gemacht, besonders die literaturbeflissenen Damen
im mittleren Alter waren außer Rand und Band vor Entzücken. Es gab deren
viele, die dem ersten Flügelschlage der klassischen Dichtung mit klopfendem Herzen
gelauscht, vielleicht selbst im Rate der Dichter gesessen hatten und nun, erschreckt von
dem kritischen Zeitalter Kants, Fichtes und der Romantiker, vor dem „Tnebsande
der Zeit" in ihr Inneres geflüchtet waren. Diese begrüßten Jean Paul als
den Apostel der Innerlichkeit, als den Seher, als den Priester der Religion
des Wahren, Guten und Schönen, und zwar mit einer solchen Zärtlichkeit, daß
er sich ihrer kaum erwehren konnte. Fürstinnen sandten ihm selbstgefertigte
Geschenke nebst innigen Grüßen, eine ganze Schaar adlicher Damen überhäufte
ihn mit Geständnissen der zärtlichsten Hingebung. Die meisten beriefen sich
auf Hesperus als diejenige Dichtung, welche die Begeisterung in ihrem Herzen
entflammt habe. Der arme Schnlmeisterssohn that, was er in der Fülle seines
Idealismus und seines bürgerlich ehrsamen Gemütes thun konnte: er umwand
die Damen mit den Blumenketten seiner schlagfertigen Phantasie, studirte sie
als die Vorbilder zu neuen Romanen, ruhte von Zeit zu Zeit an ihrem Herzen
aus und strebte, wie von einer unwiderstehlichen Naturnotwendigkeit getrieben,
den idyllischen, prosaisch einfachen Verhältnissen zu, aus denen er hervorgegangen
war. Julie von Krüdener, Josephine von Sydow, Charlotte von Kalb, Emilie
von Berlepsch und Karoline von Feuchtersleben waren unter der großen Menge


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[0285] Dichterfrenndinnen. erste Ausarbeitung in diese Zeit fällt, erinnert an ihren Einfluß, Nachdem er etwa ein Jahr in ihrem Hause zugebracht hatte, Eude 1794, schied er von ihr. In dieser ruhigeren Zeit ihres Lebens erhielt Frau von Kalb manche Beweise von Achtung und Freundschaft aus dem engeren Kreise der hervor¬ ragenden Weimarischen Männer und Frauen. Bei der Herzogin-Mutter war sie immer gern gesehen; wie Schiller, so begegnete ihr auch Goethe mit herz¬ licher Höflichkeit und hoher Achtung, ihre Begeisterung für seine Iphigenie machte ihm Freude, und in teilnehmender Weise erkundigte er sich nach ihr. Die arme Frau mußte daran denken, ihre ganze Familie, den Mann dazu, zu er¬ nähren, eine schreckliche Aussicht, da ihr Augenlicht immer mehr schwand. Schon im Jahre 1794 suchte sie durch Vertrieb von Wein etwas zu gewinnen, Goethe sollte ihr dabei helfen, und er bemühte sich treulich, Kundschaft für sie an¬ zuwerben. In dieser Zeit, als geistige Vereinsamung, zunehmendes Augenleiden und der Verfall des Vermögens die geniale Frau immer tiefer zur gemeinen Wirk¬ lichkeit herabzogen, geriet sie, die Fünfuuddreißigjährige, noch einmal in den Strudel der Seeleufreundschaft und der leidenschaftlichen Liebe. Daß dies zu einer neuen Niederlage führen mußte, war vorauszusehen. Im Juni 1796 kam Jean Paul Friedrich Richter nach Weimar. Der sentimentale Satiriker, der in Ahnungen verhüllte ewige Jüngling mit der unerschöpflichen Phantasie und der unübersehbaren Belesenheit hatte durch seine wunderlichen Romane außerordentliches Aufsehen gemacht, besonders die literaturbeflissenen Damen im mittleren Alter waren außer Rand und Band vor Entzücken. Es gab deren viele, die dem ersten Flügelschlage der klassischen Dichtung mit klopfendem Herzen gelauscht, vielleicht selbst im Rate der Dichter gesessen hatten und nun, erschreckt von dem kritischen Zeitalter Kants, Fichtes und der Romantiker, vor dem „Tnebsande der Zeit" in ihr Inneres geflüchtet waren. Diese begrüßten Jean Paul als den Apostel der Innerlichkeit, als den Seher, als den Priester der Religion des Wahren, Guten und Schönen, und zwar mit einer solchen Zärtlichkeit, daß er sich ihrer kaum erwehren konnte. Fürstinnen sandten ihm selbstgefertigte Geschenke nebst innigen Grüßen, eine ganze Schaar adlicher Damen überhäufte ihn mit Geständnissen der zärtlichsten Hingebung. Die meisten beriefen sich auf Hesperus als diejenige Dichtung, welche die Begeisterung in ihrem Herzen entflammt habe. Der arme Schnlmeisterssohn that, was er in der Fülle seines Idealismus und seines bürgerlich ehrsamen Gemütes thun konnte: er umwand die Damen mit den Blumenketten seiner schlagfertigen Phantasie, studirte sie als die Vorbilder zu neuen Romanen, ruhte von Zeit zu Zeit an ihrem Herzen aus und strebte, wie von einer unwiderstehlichen Naturnotwendigkeit getrieben, den idyllischen, prosaisch einfachen Verhältnissen zu, aus denen er hervorgegangen war. Julie von Krüdener, Josephine von Sydow, Charlotte von Kalb, Emilie von Berlepsch und Karoline von Feuchtersleben waren unter der großen Menge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/285>, abgerufen am 14.05.2024.