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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

hinderte sie daran. Aber den Versuch hat sie gemacht. Im Sommer 1817
schreibt sie an Jean Paul, sie habe, durch die ökonomischen Verhältnisse ge¬
zwungen, ein kleines dialogisirtcs Werkchen von zehn Bogen unter dem Titel:
"Johannes, ein Traum, erweckt durch eine dämonische Sage," drucken lassen
und in eignen Verlag genommen. "Der Gegenstand -- fügt sie hinzu -- be¬
trifft eine Sache, die in diesen Jahren viel Jammer erregt hat, nämlich den
Wucher... Meinen Namen habe ich nicht beidrucken lassen, möchte ihn auch
nicht bekannt haben." Die ganze Angelegenheit war ein totgeborenes Unter¬
nehmen. Nach ihrem Tode ließ ihre Tochter zwei Bändchen Erinnerungen
drucken, welche ihr die Mutter diktirt hatte. Das erste Bändchen enthält die
Memoiren, welche bis 1791 reichen, also hauptsächlich ihre Beziehungen zu
Schiller in einer aphoristischen, idealisirenden, hie und da aber mit feinen Be¬
merkungen und zarten Schilderungen durchwehten Schreibweise darlegen; das
zweite Bändchen enthält einen Roman "Cornelia," der in der mystischen, dem
Klosterleben zugewandten Anschauungsweise ihrer Jugend wurzelt und in einem
wirren Durcheinander von Episoden und Bekenntnissen manches selbsterlebte
enthält. Hier wie in ihrem Leben trifft das Urteil Herders zu, der als den
Kern ihres Wesens eine gewaltige Einbildungskraft annimmt und sagt, diese
habe ihr zwar eine ungewöhnliche Elastizität des Gemütes verliehen, sie aber
gehindert, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie ihr immer nur in
schwankenden Bildern gezeigt.




Deutsch-böhmische Briefe.
Die Röniginhofer Handschrift.

le Deutschen hatten in ihrem Nibelungenliede, in der Gudrun
und in den Dichtungen der Minnesänger wertvolle Denkmale
ihrer literarischen Vergangenheit. Die Tschechen, welche seit dem
Ende des vorigen Jahrhunderts sich auf die ihrige zu besinnen
anfingen, wobei sie von Deutschland her angeregt und ermuntert
wurden, mußten auch etwas der Art haben, und stehe da, es währte nicht
lange, so bekamen sie es.

Am 16. September 1817 entdeckte Wenzel Hanka im Gewölbe des Kirch¬
turms zu Königinhof eine Anzahl von Gedichten in altböhmischer Sprache. Nach


Deutsch-böhmische Briefe.

hinderte sie daran. Aber den Versuch hat sie gemacht. Im Sommer 1817
schreibt sie an Jean Paul, sie habe, durch die ökonomischen Verhältnisse ge¬
zwungen, ein kleines dialogisirtcs Werkchen von zehn Bogen unter dem Titel:
„Johannes, ein Traum, erweckt durch eine dämonische Sage," drucken lassen
und in eignen Verlag genommen. „Der Gegenstand — fügt sie hinzu — be¬
trifft eine Sache, die in diesen Jahren viel Jammer erregt hat, nämlich den
Wucher... Meinen Namen habe ich nicht beidrucken lassen, möchte ihn auch
nicht bekannt haben." Die ganze Angelegenheit war ein totgeborenes Unter¬
nehmen. Nach ihrem Tode ließ ihre Tochter zwei Bändchen Erinnerungen
drucken, welche ihr die Mutter diktirt hatte. Das erste Bändchen enthält die
Memoiren, welche bis 1791 reichen, also hauptsächlich ihre Beziehungen zu
Schiller in einer aphoristischen, idealisirenden, hie und da aber mit feinen Be¬
merkungen und zarten Schilderungen durchwehten Schreibweise darlegen; das
zweite Bändchen enthält einen Roman „Cornelia," der in der mystischen, dem
Klosterleben zugewandten Anschauungsweise ihrer Jugend wurzelt und in einem
wirren Durcheinander von Episoden und Bekenntnissen manches selbsterlebte
enthält. Hier wie in ihrem Leben trifft das Urteil Herders zu, der als den
Kern ihres Wesens eine gewaltige Einbildungskraft annimmt und sagt, diese
habe ihr zwar eine ungewöhnliche Elastizität des Gemütes verliehen, sie aber
gehindert, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie ihr immer nur in
schwankenden Bildern gezeigt.




Deutsch-böhmische Briefe.
Die Röniginhofer Handschrift.

le Deutschen hatten in ihrem Nibelungenliede, in der Gudrun
und in den Dichtungen der Minnesänger wertvolle Denkmale
ihrer literarischen Vergangenheit. Die Tschechen, welche seit dem
Ende des vorigen Jahrhunderts sich auf die ihrige zu besinnen
anfingen, wobei sie von Deutschland her angeregt und ermuntert
wurden, mußten auch etwas der Art haben, und stehe da, es währte nicht
lange, so bekamen sie es.

Am 16. September 1817 entdeckte Wenzel Hanka im Gewölbe des Kirch¬
turms zu Königinhof eine Anzahl von Gedichten in altböhmischer Sprache. Nach


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[0294] Deutsch-böhmische Briefe. hinderte sie daran. Aber den Versuch hat sie gemacht. Im Sommer 1817 schreibt sie an Jean Paul, sie habe, durch die ökonomischen Verhältnisse ge¬ zwungen, ein kleines dialogisirtcs Werkchen von zehn Bogen unter dem Titel: „Johannes, ein Traum, erweckt durch eine dämonische Sage," drucken lassen und in eignen Verlag genommen. „Der Gegenstand — fügt sie hinzu — be¬ trifft eine Sache, die in diesen Jahren viel Jammer erregt hat, nämlich den Wucher... Meinen Namen habe ich nicht beidrucken lassen, möchte ihn auch nicht bekannt haben." Die ganze Angelegenheit war ein totgeborenes Unter¬ nehmen. Nach ihrem Tode ließ ihre Tochter zwei Bändchen Erinnerungen drucken, welche ihr die Mutter diktirt hatte. Das erste Bändchen enthält die Memoiren, welche bis 1791 reichen, also hauptsächlich ihre Beziehungen zu Schiller in einer aphoristischen, idealisirenden, hie und da aber mit feinen Be¬ merkungen und zarten Schilderungen durchwehten Schreibweise darlegen; das zweite Bändchen enthält einen Roman „Cornelia," der in der mystischen, dem Klosterleben zugewandten Anschauungsweise ihrer Jugend wurzelt und in einem wirren Durcheinander von Episoden und Bekenntnissen manches selbsterlebte enthält. Hier wie in ihrem Leben trifft das Urteil Herders zu, der als den Kern ihres Wesens eine gewaltige Einbildungskraft annimmt und sagt, diese habe ihr zwar eine ungewöhnliche Elastizität des Gemütes verliehen, sie aber gehindert, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie ihr immer nur in schwankenden Bildern gezeigt. Deutsch-böhmische Briefe. Die Röniginhofer Handschrift. le Deutschen hatten in ihrem Nibelungenliede, in der Gudrun und in den Dichtungen der Minnesänger wertvolle Denkmale ihrer literarischen Vergangenheit. Die Tschechen, welche seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts sich auf die ihrige zu besinnen anfingen, wobei sie von Deutschland her angeregt und ermuntert wurden, mußten auch etwas der Art haben, und stehe da, es währte nicht lange, so bekamen sie es. Am 16. September 1817 entdeckte Wenzel Hanka im Gewölbe des Kirch¬ turms zu Königinhof eine Anzahl von Gedichten in altböhmischer Sprache. Nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/294>, abgerufen am 29.04.2024.