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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Religion einverstanden war, so sehr fühlte sie sich zu seinem Idealismus hin¬
gezogen. Sie lebte schon lange im Ich, brachte seiner Philosophie also von
vornherein das beste Verständnis entgegen. Fichte verkehrte gern und oft mit
ihr; was er theoretisch verarbeitete, sah er in ihr verkörpert. Freilich wurde
sie durch widrige äußere Verhältnisse immer wieder aus ihrer Höhe zur kalten,
harten Erde herabgezogen. Im Jahre 1806 war der Zusammensturz ihres
Vermögens eine Thatsache, die Einkünfte blieben aus, und der Prozeß verlor
sich im Staube der Aktenbündel. Ihr Mann, der alle seine Hoffnungen
schwinden sah, machte in München seinein elenden Leben durch einen Schuß ein
Ende. "Er, der ein so bitteres Los finden mußte durch mich!" schrieb sie an
Jean Paul. Gewiß war sie nicht schuldlos an der Zerrissenheit und dem Un¬
glücke ihrer Familie. Dem Manne war sie nichts gewesen, hatte ihm nichts
sein wollen, und haushälterisch vermochte die geniale Idealistin auch nicht zu
sein. Aber sie verlor den Mut nicht. "Wer nur die Wahrheit seiner äußer¬
lichen Verhältnisse einsieht, kann sich erst darnach einrichten," sagt sie in einem
Briefe an Jean Paul, "und hier -- fährt sie fort -- achtet keiner auf die
äußere Beschränkung." Nach allen Seiten schaut sie aus, um Unterstützung
zu finden, der König von Baiern, der Fürst-Primas Dalberg, selbst eine reiche
Oberforstmeistersfrau bei Kalbsrieth sollten gewonnen werden, Jean Paul soll
vermitteln, er muß viel anhören.

Im Jahre 1309 öffnete sich endlich eine erfreuliche Aussicht. Ihre Haupt¬
stütze im Unglück, ihre einzige Tochter Edda, wurde Hofdame der Prinzessin
Wilhelm. Der ältere Sohn Fritz hatte sich der militärischen Laufbahn zuge¬
wendet, nur für den sechzehnjähriger August hatte sie noch zu sorgen. Durch
einen kleinen Handel mit Modewaaren und Thee suchte sie etwas zu erwerben.
Die Kriegsjahre 1812 und 1813 regten sie noch einmal innerlich auf. Ihre
Söhne kämpften im preußischen Heere, ihre Tochter half der edeln Prinzessin
im vaterländischen Frauenvereine. Ungefähr um diese Zeit starb ihr Schwager,
der Präsident, der sie ins Unglück gestürzt hatte. Sie beklagte und verklagte
ihn nicht. Unterdes wurde es immer dunkler vor ihren Augen, und 1821 er¬
blindete sie ganz. Aber das Asyl, in dem sie die letzten Tage erwarten sollte,
war ihr schon bereitet. Durch die Verwendung der Prinzessin Wilhelm erhielt
sie eine abgelegene Wohnung im königlichen Schlosse. Hier traf sie der letzte
schwere Schlag des Schicksals. Im Jahre 1825 erschoß sich ihr jüngster Sohn
August in einer pommerschen Festung. Auch er scheint ein Opfer des furcht¬
baren Prozesses geworden zu sein, denn er hatte gehofft, den alten Stammsitz
Waltershausen für sich retten zu können, es war ihm aber nicht gelungen.
Am 12. Mai 1843 endete die zweiundachtzigjährige, im Feuer des Leidens ge¬
härtete Frau ihr irdisches Dasein.

Charlotte von Kalb ist nicht wie die meisten Dichterfreuudinnen der klassischen
Zeit als Schriftstellerin aufgetreten. Die Formlosigkeit ihrer Ausdrucksweise


Dichterfreundinnen.

Religion einverstanden war, so sehr fühlte sie sich zu seinem Idealismus hin¬
gezogen. Sie lebte schon lange im Ich, brachte seiner Philosophie also von
vornherein das beste Verständnis entgegen. Fichte verkehrte gern und oft mit
ihr; was er theoretisch verarbeitete, sah er in ihr verkörpert. Freilich wurde
sie durch widrige äußere Verhältnisse immer wieder aus ihrer Höhe zur kalten,
harten Erde herabgezogen. Im Jahre 1806 war der Zusammensturz ihres
Vermögens eine Thatsache, die Einkünfte blieben aus, und der Prozeß verlor
sich im Staube der Aktenbündel. Ihr Mann, der alle seine Hoffnungen
schwinden sah, machte in München seinein elenden Leben durch einen Schuß ein
Ende. „Er, der ein so bitteres Los finden mußte durch mich!" schrieb sie an
Jean Paul. Gewiß war sie nicht schuldlos an der Zerrissenheit und dem Un¬
glücke ihrer Familie. Dem Manne war sie nichts gewesen, hatte ihm nichts
sein wollen, und haushälterisch vermochte die geniale Idealistin auch nicht zu
sein. Aber sie verlor den Mut nicht. „Wer nur die Wahrheit seiner äußer¬
lichen Verhältnisse einsieht, kann sich erst darnach einrichten," sagt sie in einem
Briefe an Jean Paul, „und hier — fährt sie fort — achtet keiner auf die
äußere Beschränkung." Nach allen Seiten schaut sie aus, um Unterstützung
zu finden, der König von Baiern, der Fürst-Primas Dalberg, selbst eine reiche
Oberforstmeistersfrau bei Kalbsrieth sollten gewonnen werden, Jean Paul soll
vermitteln, er muß viel anhören.

Im Jahre 1309 öffnete sich endlich eine erfreuliche Aussicht. Ihre Haupt¬
stütze im Unglück, ihre einzige Tochter Edda, wurde Hofdame der Prinzessin
Wilhelm. Der ältere Sohn Fritz hatte sich der militärischen Laufbahn zuge¬
wendet, nur für den sechzehnjähriger August hatte sie noch zu sorgen. Durch
einen kleinen Handel mit Modewaaren und Thee suchte sie etwas zu erwerben.
Die Kriegsjahre 1812 und 1813 regten sie noch einmal innerlich auf. Ihre
Söhne kämpften im preußischen Heere, ihre Tochter half der edeln Prinzessin
im vaterländischen Frauenvereine. Ungefähr um diese Zeit starb ihr Schwager,
der Präsident, der sie ins Unglück gestürzt hatte. Sie beklagte und verklagte
ihn nicht. Unterdes wurde es immer dunkler vor ihren Augen, und 1821 er¬
blindete sie ganz. Aber das Asyl, in dem sie die letzten Tage erwarten sollte,
war ihr schon bereitet. Durch die Verwendung der Prinzessin Wilhelm erhielt
sie eine abgelegene Wohnung im königlichen Schlosse. Hier traf sie der letzte
schwere Schlag des Schicksals. Im Jahre 1825 erschoß sich ihr jüngster Sohn
August in einer pommerschen Festung. Auch er scheint ein Opfer des furcht¬
baren Prozesses geworden zu sein, denn er hatte gehofft, den alten Stammsitz
Waltershausen für sich retten zu können, es war ihm aber nicht gelungen.
Am 12. Mai 1843 endete die zweiundachtzigjährige, im Feuer des Leidens ge¬
härtete Frau ihr irdisches Dasein.

Charlotte von Kalb ist nicht wie die meisten Dichterfreuudinnen der klassischen
Zeit als Schriftstellerin aufgetreten. Die Formlosigkeit ihrer Ausdrucksweise


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[0293] Dichterfreundinnen. Religion einverstanden war, so sehr fühlte sie sich zu seinem Idealismus hin¬ gezogen. Sie lebte schon lange im Ich, brachte seiner Philosophie also von vornherein das beste Verständnis entgegen. Fichte verkehrte gern und oft mit ihr; was er theoretisch verarbeitete, sah er in ihr verkörpert. Freilich wurde sie durch widrige äußere Verhältnisse immer wieder aus ihrer Höhe zur kalten, harten Erde herabgezogen. Im Jahre 1806 war der Zusammensturz ihres Vermögens eine Thatsache, die Einkünfte blieben aus, und der Prozeß verlor sich im Staube der Aktenbündel. Ihr Mann, der alle seine Hoffnungen schwinden sah, machte in München seinein elenden Leben durch einen Schuß ein Ende. „Er, der ein so bitteres Los finden mußte durch mich!" schrieb sie an Jean Paul. Gewiß war sie nicht schuldlos an der Zerrissenheit und dem Un¬ glücke ihrer Familie. Dem Manne war sie nichts gewesen, hatte ihm nichts sein wollen, und haushälterisch vermochte die geniale Idealistin auch nicht zu sein. Aber sie verlor den Mut nicht. „Wer nur die Wahrheit seiner äußer¬ lichen Verhältnisse einsieht, kann sich erst darnach einrichten," sagt sie in einem Briefe an Jean Paul, „und hier — fährt sie fort — achtet keiner auf die äußere Beschränkung." Nach allen Seiten schaut sie aus, um Unterstützung zu finden, der König von Baiern, der Fürst-Primas Dalberg, selbst eine reiche Oberforstmeistersfrau bei Kalbsrieth sollten gewonnen werden, Jean Paul soll vermitteln, er muß viel anhören. Im Jahre 1309 öffnete sich endlich eine erfreuliche Aussicht. Ihre Haupt¬ stütze im Unglück, ihre einzige Tochter Edda, wurde Hofdame der Prinzessin Wilhelm. Der ältere Sohn Fritz hatte sich der militärischen Laufbahn zuge¬ wendet, nur für den sechzehnjähriger August hatte sie noch zu sorgen. Durch einen kleinen Handel mit Modewaaren und Thee suchte sie etwas zu erwerben. Die Kriegsjahre 1812 und 1813 regten sie noch einmal innerlich auf. Ihre Söhne kämpften im preußischen Heere, ihre Tochter half der edeln Prinzessin im vaterländischen Frauenvereine. Ungefähr um diese Zeit starb ihr Schwager, der Präsident, der sie ins Unglück gestürzt hatte. Sie beklagte und verklagte ihn nicht. Unterdes wurde es immer dunkler vor ihren Augen, und 1821 er¬ blindete sie ganz. Aber das Asyl, in dem sie die letzten Tage erwarten sollte, war ihr schon bereitet. Durch die Verwendung der Prinzessin Wilhelm erhielt sie eine abgelegene Wohnung im königlichen Schlosse. Hier traf sie der letzte schwere Schlag des Schicksals. Im Jahre 1825 erschoß sich ihr jüngster Sohn August in einer pommerschen Festung. Auch er scheint ein Opfer des furcht¬ baren Prozesses geworden zu sein, denn er hatte gehofft, den alten Stammsitz Waltershausen für sich retten zu können, es war ihm aber nicht gelungen. Am 12. Mai 1843 endete die zweiundachtzigjährige, im Feuer des Leidens ge¬ härtete Frau ihr irdisches Dasein. Charlotte von Kalb ist nicht wie die meisten Dichterfreuudinnen der klassischen Zeit als Schriftstellerin aufgetreten. Die Formlosigkeit ihrer Ausdrucksweise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/293>, abgerufen am 15.05.2024.