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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Viel sympathischer, als diese verkommenen Menschen, berührten mich doch
einige französische Verwundete. Den einen fand ich gestern am Gymnasium auf
einem Wagen neben andern Verwundeten. Es war ein blutjunger Mensch. Ich
war ärgerlich bei dem Gedanken, daß er erst so spät nach der Schlacht in die
Stadt gebracht worden sei, und fragte ihn teilnehmend, ob er wirklich so lange
unter den Verwundeten draußen gelegen habe. Er verneinte es und sagte, er
sei gut besorgt worden. Dabei ging etwas wie freudige Erregung über sein
Gesicht, als ob er sich gefreut hätte, daß sich in Feindes Land doch Menschen
um ihn kümmerten.




Kleinere Mitteilungen.
Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit.

Die Welt von Klatsch und der
Jahrmarkt der Eitelkeiten, der um das Weimarische Pantheon -- leider bis tief
in seine Vorhallen hinein -- aufgeschlagen ist, erfährt durch I. Eckardts neue Ver¬
öffentlichung über Garlieb Merkel*) glücklicherweise nur scheinbar eine Erweiterung.
Es handelt sich zumeist nur um Wiederauffrischung älterer, unbemerkt gebliebener
Bücher des andern der Weimarer Dioskurenfeinde, durch gleichfalls schon ver¬
öffentlichte hinterlassene Aufzeichnungen ergänzt. Dem Ganzen ist durch Weglassung
des Ueberflüssigen, Störenden und Veralteten eine einheitliche Gestalt gegeben, so¬
weit davon bei diesem krausen Anekdotenschwall die Rede sein kann. Gleichwohl
hat das Büchelchen mcmnichfaches, auch allgemeineres Interesse. Der Forscher
wird zwar wenig neue Züge zu den bekannten Bildern finden, ja manches deckt
sich geradezu z. B. mit Böttiger und Falk. Gerade dort, wo Merkel wegen seiner
Beziehungen zugleich zu dem Herderschen und den Berliner Kreisen beachtenswert
wäre, bei Jean Paul, versagt leider Eckardts Quelle. Aber die wenn auch sehr
Merkelisch, und das heißt bei dem Charakter des Mannes soviel als "mehr als
subjektiv" gefärbten Berichte über "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" und
insbesondre über die Berliner Zustände werden auch Spezialforschern manchen neuen
und bemerkenswerten Zug bieten. Die literarische und politische Charakteristik der
Berliner jüdischen und französischen Kolonie ist im Hinblick auf die spätere Ent¬
wicklung gegenwärtig fogar sehr interessant, die wenigen, aber offenbar treuen
Striche zu dem meist doch wohl zu sehr idealisirten Bilde der "Madame Herz"
(anderseits wieder als unparteiische Berichtigung der Böttigerschen Fratze) recht
dankenswert. Weniger die ebenso anmaßlichen als leeren und faden Reiseskizzen
aus Dänemark, die bei Merkels Haß gegen Schiller für dessen dänische Freunde
wenig günstig, zugleich aber, was sehr verräterisch ist, ganz besonders wenig "inhalt¬
reich" ausfallen.

Wer ist dieser Garlieb Merkel? wird am Ende aber mancher fragen, der sich
sonst, wenn von Schiller und Goethe die Rede ist, immerhin für gut unterrichtet



*> Garlieb Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit. Nach des
Verfassers gedruckten und handschriftlichen Aufzeichnungen zusammengestellt und mit einer
biographischen Einleitung versehen von Julius Eckardt. Berlin, Gebr. Paetel, 1887.
Kleinere Mitteilungen.

Viel sympathischer, als diese verkommenen Menschen, berührten mich doch
einige französische Verwundete. Den einen fand ich gestern am Gymnasium auf
einem Wagen neben andern Verwundeten. Es war ein blutjunger Mensch. Ich
war ärgerlich bei dem Gedanken, daß er erst so spät nach der Schlacht in die
Stadt gebracht worden sei, und fragte ihn teilnehmend, ob er wirklich so lange
unter den Verwundeten draußen gelegen habe. Er verneinte es und sagte, er
sei gut besorgt worden. Dabei ging etwas wie freudige Erregung über sein
Gesicht, als ob er sich gefreut hätte, daß sich in Feindes Land doch Menschen
um ihn kümmerten.




Kleinere Mitteilungen.
Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit.

Die Welt von Klatsch und der
Jahrmarkt der Eitelkeiten, der um das Weimarische Pantheon — leider bis tief
in seine Vorhallen hinein — aufgeschlagen ist, erfährt durch I. Eckardts neue Ver¬
öffentlichung über Garlieb Merkel*) glücklicherweise nur scheinbar eine Erweiterung.
Es handelt sich zumeist nur um Wiederauffrischung älterer, unbemerkt gebliebener
Bücher des andern der Weimarer Dioskurenfeinde, durch gleichfalls schon ver¬
öffentlichte hinterlassene Aufzeichnungen ergänzt. Dem Ganzen ist durch Weglassung
des Ueberflüssigen, Störenden und Veralteten eine einheitliche Gestalt gegeben, so¬
weit davon bei diesem krausen Anekdotenschwall die Rede sein kann. Gleichwohl
hat das Büchelchen mcmnichfaches, auch allgemeineres Interesse. Der Forscher
wird zwar wenig neue Züge zu den bekannten Bildern finden, ja manches deckt
sich geradezu z. B. mit Böttiger und Falk. Gerade dort, wo Merkel wegen seiner
Beziehungen zugleich zu dem Herderschen und den Berliner Kreisen beachtenswert
wäre, bei Jean Paul, versagt leider Eckardts Quelle. Aber die wenn auch sehr
Merkelisch, und das heißt bei dem Charakter des Mannes soviel als „mehr als
subjektiv" gefärbten Berichte über „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" und
insbesondre über die Berliner Zustände werden auch Spezialforschern manchen neuen
und bemerkenswerten Zug bieten. Die literarische und politische Charakteristik der
Berliner jüdischen und französischen Kolonie ist im Hinblick auf die spätere Ent¬
wicklung gegenwärtig fogar sehr interessant, die wenigen, aber offenbar treuen
Striche zu dem meist doch wohl zu sehr idealisirten Bilde der „Madame Herz"
(anderseits wieder als unparteiische Berichtigung der Böttigerschen Fratze) recht
dankenswert. Weniger die ebenso anmaßlichen als leeren und faden Reiseskizzen
aus Dänemark, die bei Merkels Haß gegen Schiller für dessen dänische Freunde
wenig günstig, zugleich aber, was sehr verräterisch ist, ganz besonders wenig „inhalt¬
reich" ausfallen.

Wer ist dieser Garlieb Merkel? wird am Ende aber mancher fragen, der sich
sonst, wenn von Schiller und Goethe die Rede ist, immerhin für gut unterrichtet



*> Garlieb Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit. Nach des
Verfassers gedruckten und handschriftlichen Aufzeichnungen zusammengestellt und mit einer
biographischen Einleitung versehen von Julius Eckardt. Berlin, Gebr. Paetel, 1887.
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[0307] Kleinere Mitteilungen. Viel sympathischer, als diese verkommenen Menschen, berührten mich doch einige französische Verwundete. Den einen fand ich gestern am Gymnasium auf einem Wagen neben andern Verwundeten. Es war ein blutjunger Mensch. Ich war ärgerlich bei dem Gedanken, daß er erst so spät nach der Schlacht in die Stadt gebracht worden sei, und fragte ihn teilnehmend, ob er wirklich so lange unter den Verwundeten draußen gelegen habe. Er verneinte es und sagte, er sei gut besorgt worden. Dabei ging etwas wie freudige Erregung über sein Gesicht, als ob er sich gefreut hätte, daß sich in Feindes Land doch Menschen um ihn kümmerten. Kleinere Mitteilungen. Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit. Die Welt von Klatsch und der Jahrmarkt der Eitelkeiten, der um das Weimarische Pantheon — leider bis tief in seine Vorhallen hinein — aufgeschlagen ist, erfährt durch I. Eckardts neue Ver¬ öffentlichung über Garlieb Merkel*) glücklicherweise nur scheinbar eine Erweiterung. Es handelt sich zumeist nur um Wiederauffrischung älterer, unbemerkt gebliebener Bücher des andern der Weimarer Dioskurenfeinde, durch gleichfalls schon ver¬ öffentlichte hinterlassene Aufzeichnungen ergänzt. Dem Ganzen ist durch Weglassung des Ueberflüssigen, Störenden und Veralteten eine einheitliche Gestalt gegeben, so¬ weit davon bei diesem krausen Anekdotenschwall die Rede sein kann. Gleichwohl hat das Büchelchen mcmnichfaches, auch allgemeineres Interesse. Der Forscher wird zwar wenig neue Züge zu den bekannten Bildern finden, ja manches deckt sich geradezu z. B. mit Böttiger und Falk. Gerade dort, wo Merkel wegen seiner Beziehungen zugleich zu dem Herderschen und den Berliner Kreisen beachtenswert wäre, bei Jean Paul, versagt leider Eckardts Quelle. Aber die wenn auch sehr Merkelisch, und das heißt bei dem Charakter des Mannes soviel als „mehr als subjektiv" gefärbten Berichte über „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" und insbesondre über die Berliner Zustände werden auch Spezialforschern manchen neuen und bemerkenswerten Zug bieten. Die literarische und politische Charakteristik der Berliner jüdischen und französischen Kolonie ist im Hinblick auf die spätere Ent¬ wicklung gegenwärtig fogar sehr interessant, die wenigen, aber offenbar treuen Striche zu dem meist doch wohl zu sehr idealisirten Bilde der „Madame Herz" (anderseits wieder als unparteiische Berichtigung der Böttigerschen Fratze) recht dankenswert. Weniger die ebenso anmaßlichen als leeren und faden Reiseskizzen aus Dänemark, die bei Merkels Haß gegen Schiller für dessen dänische Freunde wenig günstig, zugleich aber, was sehr verräterisch ist, ganz besonders wenig „inhalt¬ reich" ausfallen. Wer ist dieser Garlieb Merkel? wird am Ende aber mancher fragen, der sich sonst, wenn von Schiller und Goethe die Rede ist, immerhin für gut unterrichtet *> Garlieb Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit. Nach des Verfassers gedruckten und handschriftlichen Aufzeichnungen zusammengestellt und mit einer biographischen Einleitung versehen von Julius Eckardt. Berlin, Gebr. Paetel, 1887.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/307>, abgerufen am 28.04.2024.