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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Kriegstagebuchs.

Klassenzimmer am Eingang ist der Operationssaal der Ärzte, die von Johan-
nitern unterstützt werden. Schnell hatten sich am Abend der Schlacht alle
Räume mit Kranken gefüllt, die sechs ersten Verwundeten waren dem Tode schon
nahe und nicht mehr imstande, ihre Namen anzugeben. Die Marke, die sie
trugen, gab erst Aufschluß über ihr Nationale. Man mußte auch den Kor¬
ridor des Gebäudes zu Hilfe nehmen, und auf dem Stroh lagen bald zwei
Reihen von Verwundeten, zwischen welchen die Pfleger sich vorsichtig hindurch
winden mußten. Nach vierundzwanzig Stunden war diese Not an Raum zu
Ende, denn man hatte so viele beerdigen müssen, daß die übrigen hinreichenden
Platz fanden. Ich bekam von einem bekannten Kollegen aus Düsseldorf E.
den Auftrag, mich nach seinem Sohne, einem Vizefeldwebel, der verwundet in
der Aula liege, umzusehen, und es gelang ihn aufzufinden, schon gestern, am
Sonntag. Der Wärter sagte mir, E. sei von einer Kugel tötlich in die Brust
geschossen und werde den Sonntag nicht überleben. Aber wie so häufig, um¬
hüllte eine täuschende Hoffnung die letzten Stunden des trefflichen jungen
Mannes. Als ich an sein Lager trat und ihn fragte, was ich seinen: Vater
schreiben sollte und wie es ihm gehe, sagte er mit oft unterbrochener Rede,
indem sich die Brust mühsam erweiterte, um Luft zu bekommen, es gehe ihm
besser und bald werde es ihm ganz gut gehen. Er meinte es in dem nächsten
natürlichen Sinne, wir wußten, daß die Hoffnung eitel war und daß das Wort
sich in einem andern Sinn erfüllen mußte. Heute schon hat man ihn in dem
gemeinsamen Begräbnisplatz, dem "Ehrenthal," angesichts der Spicherer Berge
begraben. Dort wird ihn am nächsten Sonntag der Vater aufsuchen und sich
die schwere Aufgabe vergegenwärtigen müssen, den Verlust vieler Hoffnungen
um des Vaterlandes willen freudig zu tragen.

Ich will doch noch nachtragen, daß ich neulich auf dem hintern Kirchen¬
platz die französischen unverwundeten Kriegsgefangenen mir angesehen habe.
Man hatte die bunte Schaar oberflächlich eingegrenzt, ein paar Soldaten von
uns hielten sie in Ordnung und gestatteten mir in die ganz sorglos schwatzende,
rauchende, umherliegende Gesellschaft einzutreten. Nur wenige zeigten eine etwas
ernste Haltung. Einer trat zu mir und beteuerte, daß er gar nicht kriegerisch
gegen uns gestimmt gewesen sei, bloß die Nummer seines Regiments habe ihn
von Perpignan hierher gebracht. Ein andrer erkundigte sich, was das in der
Nähe befindliche große Haus vorstelle. Als er hörte, es sei eine städtische
Volksschule, war er voll Respekt; er hatte eine dunkle Ahnung, daß Preußen
ein Land der Schulen und der Kasernen sei. Ich sagte ihm nicht, daß jene
große Schule jetzt keine Schule, sondern ein Ort sei, wo mehr als hundert
Preußen gepflegt würden, die von ihm und seines gleichen bei Spicheren ver¬
wundet worden seien. Er würde alles von sich auf Napoleon und Eugenie
abgewälzt haben, wie es die Franzosen gern machten.


Aus einem Kriegstagebuchs.

Klassenzimmer am Eingang ist der Operationssaal der Ärzte, die von Johan-
nitern unterstützt werden. Schnell hatten sich am Abend der Schlacht alle
Räume mit Kranken gefüllt, die sechs ersten Verwundeten waren dem Tode schon
nahe und nicht mehr imstande, ihre Namen anzugeben. Die Marke, die sie
trugen, gab erst Aufschluß über ihr Nationale. Man mußte auch den Kor¬
ridor des Gebäudes zu Hilfe nehmen, und auf dem Stroh lagen bald zwei
Reihen von Verwundeten, zwischen welchen die Pfleger sich vorsichtig hindurch
winden mußten. Nach vierundzwanzig Stunden war diese Not an Raum zu
Ende, denn man hatte so viele beerdigen müssen, daß die übrigen hinreichenden
Platz fanden. Ich bekam von einem bekannten Kollegen aus Düsseldorf E.
den Auftrag, mich nach seinem Sohne, einem Vizefeldwebel, der verwundet in
der Aula liege, umzusehen, und es gelang ihn aufzufinden, schon gestern, am
Sonntag. Der Wärter sagte mir, E. sei von einer Kugel tötlich in die Brust
geschossen und werde den Sonntag nicht überleben. Aber wie so häufig, um¬
hüllte eine täuschende Hoffnung die letzten Stunden des trefflichen jungen
Mannes. Als ich an sein Lager trat und ihn fragte, was ich seinen: Vater
schreiben sollte und wie es ihm gehe, sagte er mit oft unterbrochener Rede,
indem sich die Brust mühsam erweiterte, um Luft zu bekommen, es gehe ihm
besser und bald werde es ihm ganz gut gehen. Er meinte es in dem nächsten
natürlichen Sinne, wir wußten, daß die Hoffnung eitel war und daß das Wort
sich in einem andern Sinn erfüllen mußte. Heute schon hat man ihn in dem
gemeinsamen Begräbnisplatz, dem „Ehrenthal," angesichts der Spicherer Berge
begraben. Dort wird ihn am nächsten Sonntag der Vater aufsuchen und sich
die schwere Aufgabe vergegenwärtigen müssen, den Verlust vieler Hoffnungen
um des Vaterlandes willen freudig zu tragen.

Ich will doch noch nachtragen, daß ich neulich auf dem hintern Kirchen¬
platz die französischen unverwundeten Kriegsgefangenen mir angesehen habe.
Man hatte die bunte Schaar oberflächlich eingegrenzt, ein paar Soldaten von
uns hielten sie in Ordnung und gestatteten mir in die ganz sorglos schwatzende,
rauchende, umherliegende Gesellschaft einzutreten. Nur wenige zeigten eine etwas
ernste Haltung. Einer trat zu mir und beteuerte, daß er gar nicht kriegerisch
gegen uns gestimmt gewesen sei, bloß die Nummer seines Regiments habe ihn
von Perpignan hierher gebracht. Ein andrer erkundigte sich, was das in der
Nähe befindliche große Haus vorstelle. Als er hörte, es sei eine städtische
Volksschule, war er voll Respekt; er hatte eine dunkle Ahnung, daß Preußen
ein Land der Schulen und der Kasernen sei. Ich sagte ihm nicht, daß jene
große Schule jetzt keine Schule, sondern ein Ort sei, wo mehr als hundert
Preußen gepflegt würden, die von ihm und seines gleichen bei Spicheren ver¬
wundet worden seien. Er würde alles von sich auf Napoleon und Eugenie
abgewälzt haben, wie es die Franzosen gern machten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/306>, abgerufen am 14.05.2024.