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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen.

a saßen wir nun, meine Mutter und ich, in der großen Stadt
und beobachteten von unsern Fenstern aus das bewegte Treiben
auf den Gassen und Straßen. Ein verwitweter Gymnasialdirektor
hatte uns einen Teil seiner Dienstwohnung vermietet. Unser
Lebensunterhalt kostete nicht viel, daher befanden wir uns in der
angenehmen Lage, reichlich Gastfreundschaft üben zu können. Viele meiner
Kunstgenossinnen, welche mit mir die Malerakademie besuchten, gingen täglich
bei uns ein und aus.

Im Mansardenstübchen des Hauses wohnte ein Student der Theologie
mit einem guten Gesicht; er hieß Steffens. Unser Wirt gewährte ihm unent¬
geltlich Wohnung, Licht und Feuerung. Als die Mutter dies ersuhr, lud sie
Herrn Steffens ein, jeden Nachmittag bei uus Kaffee zu trinken. Hierdurch
ward er unser täglicher Gast.

Eines Tages gingen wir gemeinsam aus, um Schlittschuh zu fahre". Weil
aber das Eis nicht mehr blank war, entschlossen wir uns zu einem Spazier¬
gange in den Wald. Dort begegnete uus ein Herr, der schon von weitem
meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Als er näher kam, sah ich, daß lauge
blonde Locken ein schönes Jünglingsgesicht umrahmten.

Klaus, wie kommst du hierher? rief Steffens freudig überrascht und stellte
mir den uns begrüßenden als Herrn Studiosus Schwauenburg vor. Wir unter¬
hielten uns eine Weile lebhaft miteinander. Dann empfahl er sich wieder.

Kaum war er fort, so fragte Steffens erregt: Nun, was sagen Sie zu
meinem Freunde?

Ja, antwortete ich, er scheint ein bißchen absonderlich zu sein, aber er ge¬
fällt mir wohl. Schwanenburg ist durch und durch Idealist, fuhr Steffens fort
und schilderte mir seinen Freund Klaus in lebhaften schönen Farben. Dies
bewirkte, daß ich mich gegen die Mutter besonders günstig über meine neue
Bekanntschaft aussprach.


Grenzboten III. 1887. 44


Elisabeths Erinnerungen.

a saßen wir nun, meine Mutter und ich, in der großen Stadt
und beobachteten von unsern Fenstern aus das bewegte Treiben
auf den Gassen und Straßen. Ein verwitweter Gymnasialdirektor
hatte uns einen Teil seiner Dienstwohnung vermietet. Unser
Lebensunterhalt kostete nicht viel, daher befanden wir uns in der
angenehmen Lage, reichlich Gastfreundschaft üben zu können. Viele meiner
Kunstgenossinnen, welche mit mir die Malerakademie besuchten, gingen täglich
bei uns ein und aus.

Im Mansardenstübchen des Hauses wohnte ein Student der Theologie
mit einem guten Gesicht; er hieß Steffens. Unser Wirt gewährte ihm unent¬
geltlich Wohnung, Licht und Feuerung. Als die Mutter dies ersuhr, lud sie
Herrn Steffens ein, jeden Nachmittag bei uus Kaffee zu trinken. Hierdurch
ward er unser täglicher Gast.

Eines Tages gingen wir gemeinsam aus, um Schlittschuh zu fahre». Weil
aber das Eis nicht mehr blank war, entschlossen wir uns zu einem Spazier¬
gange in den Wald. Dort begegnete uus ein Herr, der schon von weitem
meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Als er näher kam, sah ich, daß lauge
blonde Locken ein schönes Jünglingsgesicht umrahmten.

Klaus, wie kommst du hierher? rief Steffens freudig überrascht und stellte
mir den uns begrüßenden als Herrn Studiosus Schwauenburg vor. Wir unter¬
hielten uns eine Weile lebhaft miteinander. Dann empfahl er sich wieder.

Kaum war er fort, so fragte Steffens erregt: Nun, was sagen Sie zu
meinem Freunde?

Ja, antwortete ich, er scheint ein bißchen absonderlich zu sein, aber er ge¬
fällt mir wohl. Schwanenburg ist durch und durch Idealist, fuhr Steffens fort
und schilderte mir seinen Freund Klaus in lebhaften schönen Farben. Dies
bewirkte, daß ich mich gegen die Mutter besonders günstig über meine neue
Bekanntschaft aussprach.


Grenzboten III. 1887. 44
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[0353] [Abbildung] Elisabeths Erinnerungen. a saßen wir nun, meine Mutter und ich, in der großen Stadt und beobachteten von unsern Fenstern aus das bewegte Treiben auf den Gassen und Straßen. Ein verwitweter Gymnasialdirektor hatte uns einen Teil seiner Dienstwohnung vermietet. Unser Lebensunterhalt kostete nicht viel, daher befanden wir uns in der angenehmen Lage, reichlich Gastfreundschaft üben zu können. Viele meiner Kunstgenossinnen, welche mit mir die Malerakademie besuchten, gingen täglich bei uns ein und aus. Im Mansardenstübchen des Hauses wohnte ein Student der Theologie mit einem guten Gesicht; er hieß Steffens. Unser Wirt gewährte ihm unent¬ geltlich Wohnung, Licht und Feuerung. Als die Mutter dies ersuhr, lud sie Herrn Steffens ein, jeden Nachmittag bei uus Kaffee zu trinken. Hierdurch ward er unser täglicher Gast. Eines Tages gingen wir gemeinsam aus, um Schlittschuh zu fahre». Weil aber das Eis nicht mehr blank war, entschlossen wir uns zu einem Spazier¬ gange in den Wald. Dort begegnete uus ein Herr, der schon von weitem meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Als er näher kam, sah ich, daß lauge blonde Locken ein schönes Jünglingsgesicht umrahmten. Klaus, wie kommst du hierher? rief Steffens freudig überrascht und stellte mir den uns begrüßenden als Herrn Studiosus Schwauenburg vor. Wir unter¬ hielten uns eine Weile lebhaft miteinander. Dann empfahl er sich wieder. Kaum war er fort, so fragte Steffens erregt: Nun, was sagen Sie zu meinem Freunde? Ja, antwortete ich, er scheint ein bißchen absonderlich zu sein, aber er ge¬ fällt mir wohl. Schwanenburg ist durch und durch Idealist, fuhr Steffens fort und schilderte mir seinen Freund Klaus in lebhaften schönen Farben. Dies bewirkte, daß ich mich gegen die Mutter besonders günstig über meine neue Bekanntschaft aussprach. Grenzboten III. 1887. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/353>, abgerufen am 29.04.2024.