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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen,

Einige Zeit darauf begegnete mir Herr Schwaneuburg wieder. Trotz
Schnee und Eis schien er an Hitze zu leiden; wenigstens trug er seinen Hut
unterm Arme. Sobald er mich erkannte, rief er aus: O wie schön ist es, daß
ich Sie treffe, ich habe mich soeben längere Zeit mit Ihnen unterhalten. Als
er meine Verwunderung bemerkte, fuhr er fort, während er sich ohne weiteres
mir anschloß: Sie müssen wissen, es ist meine Eigentümlichkeit, meine Gedanken
in ein Zwiegespräch zu kleiden. Seitdem ich Sie kenne, spreche ich viel mit
Ihnen. Früher hielt ich meine Gedaukengespräche mit einer edeln, älteren Frau.
Jetzt ist aber deren Bild bei mir verwischt; ich habe sie zu lange nicht gesehen.

Dann erzählte mir Herr Schwanenbnrg, worüber er mit nur geredet habe:
Als Waisenknabe von fremden Menschen erzogen, sei im besondern Sinne des
Wortes der liebe Gott sei" Vater gewesen, an den er sich in allen großen und
kleinen Angelegenheiten des Lebens gewendet habe; er habe sonst auch niemand
gehabt, dem er sich habe anvertrauen mögen. Hierdurch sei sein Verhältnis
zu Gott ein sehr inniges geworden, und mit Begeisterung habe er bei den großen
orthodoxen Professoren Kolleg gehört. Seine Vaterstadt habe ihn erziehen
lassen und gewähre ihm jetzt auch die Mittel zum Studium der Theologie.
Jetzt habe er vollständig seinen Bibelglauben verloren und dadurch sei sein
persönliches Verhältnis zu Gott auch wesentlich erschüttert worden. Er beab¬
sichtige nun vom Studium der Theologie zurückzutreten, mit so großen äußern
Nachteilen dies auch für ihn verbunden sein möge. Ich glaube wohl, es ist
ein Wesen da, unfaßbar, unbegreiflich groß -- ein Mittelpunkt, der wie die
Sonne am Firmament alles durchleuchtet, ein Licht, ein ewiges Licht! Aber
ich kann es nicht ausdrücken, was ich denke, was ich innerlich schaue, sagte er
stotternd und mit zitternder Stimme.

Wenn er über die erhabensten Dinge redete, so brachte er überhaupt alles
nur stoßweise über die Lippen; was ihn bewegte, war zu groß für die mensch¬
liche Sprache. Durch den Ausruf: Ich kann ja gar nicht sprechen, ich habe nie
gewußt, daß ich nicht sprechen kann, unterbrach er wiederholt seine eigne Rede.

So war ich plötzlich, bei unsrer zweiten Begegnung, die Vertraute eines
Abtrünnigen geworden. Ich riet ihm, sich vertrauensvoll an einen Geistlichen
zu wenden, und fügte hinzu, daß er in hohem Maße meine Teilnahme errege.
Was soll ich aber nun anfangen? fiel er mir ins Wort, muß ich doch darauf
gefaßt sein, daß meine Vaterstadt ihre Hand von mir zurückziehen wird. Ich
erteilte einen Rat, über den ich in diesem Augenblick selbst lachen muß. Ich
riet ihm: Werden Sie Seemann, als solcher verdienen Sie gleich, was Sie
brauchen, und die frische Luft wirkt wohlthätig auf die Nerven. Auf diese
Antwort war er nicht gefaßt; er sah mich bestürzt an und empfahl sich.

Einige Stunden später hatte er bereits seinem Freunde Steffens, aber nur
ganz beiläufig, ohne etwas über den Inhalt unsers Gesprächs hinzuzufügen,
erzählt, daß er mich gesprochen habe. Nach acht Tagen kam nun Steffens in


Elisabeths Erinnerungen,

Einige Zeit darauf begegnete mir Herr Schwaneuburg wieder. Trotz
Schnee und Eis schien er an Hitze zu leiden; wenigstens trug er seinen Hut
unterm Arme. Sobald er mich erkannte, rief er aus: O wie schön ist es, daß
ich Sie treffe, ich habe mich soeben längere Zeit mit Ihnen unterhalten. Als
er meine Verwunderung bemerkte, fuhr er fort, während er sich ohne weiteres
mir anschloß: Sie müssen wissen, es ist meine Eigentümlichkeit, meine Gedanken
in ein Zwiegespräch zu kleiden. Seitdem ich Sie kenne, spreche ich viel mit
Ihnen. Früher hielt ich meine Gedaukengespräche mit einer edeln, älteren Frau.
Jetzt ist aber deren Bild bei mir verwischt; ich habe sie zu lange nicht gesehen.

Dann erzählte mir Herr Schwanenbnrg, worüber er mit nur geredet habe:
Als Waisenknabe von fremden Menschen erzogen, sei im besondern Sinne des
Wortes der liebe Gott sei» Vater gewesen, an den er sich in allen großen und
kleinen Angelegenheiten des Lebens gewendet habe; er habe sonst auch niemand
gehabt, dem er sich habe anvertrauen mögen. Hierdurch sei sein Verhältnis
zu Gott ein sehr inniges geworden, und mit Begeisterung habe er bei den großen
orthodoxen Professoren Kolleg gehört. Seine Vaterstadt habe ihn erziehen
lassen und gewähre ihm jetzt auch die Mittel zum Studium der Theologie.
Jetzt habe er vollständig seinen Bibelglauben verloren und dadurch sei sein
persönliches Verhältnis zu Gott auch wesentlich erschüttert worden. Er beab¬
sichtige nun vom Studium der Theologie zurückzutreten, mit so großen äußern
Nachteilen dies auch für ihn verbunden sein möge. Ich glaube wohl, es ist
ein Wesen da, unfaßbar, unbegreiflich groß — ein Mittelpunkt, der wie die
Sonne am Firmament alles durchleuchtet, ein Licht, ein ewiges Licht! Aber
ich kann es nicht ausdrücken, was ich denke, was ich innerlich schaue, sagte er
stotternd und mit zitternder Stimme.

Wenn er über die erhabensten Dinge redete, so brachte er überhaupt alles
nur stoßweise über die Lippen; was ihn bewegte, war zu groß für die mensch¬
liche Sprache. Durch den Ausruf: Ich kann ja gar nicht sprechen, ich habe nie
gewußt, daß ich nicht sprechen kann, unterbrach er wiederholt seine eigne Rede.

So war ich plötzlich, bei unsrer zweiten Begegnung, die Vertraute eines
Abtrünnigen geworden. Ich riet ihm, sich vertrauensvoll an einen Geistlichen
zu wenden, und fügte hinzu, daß er in hohem Maße meine Teilnahme errege.
Was soll ich aber nun anfangen? fiel er mir ins Wort, muß ich doch darauf
gefaßt sein, daß meine Vaterstadt ihre Hand von mir zurückziehen wird. Ich
erteilte einen Rat, über den ich in diesem Augenblick selbst lachen muß. Ich
riet ihm: Werden Sie Seemann, als solcher verdienen Sie gleich, was Sie
brauchen, und die frische Luft wirkt wohlthätig auf die Nerven. Auf diese
Antwort war er nicht gefaßt; er sah mich bestürzt an und empfahl sich.

Einige Stunden später hatte er bereits seinem Freunde Steffens, aber nur
ganz beiläufig, ohne etwas über den Inhalt unsers Gesprächs hinzuzufügen,
erzählt, daß er mich gesprochen habe. Nach acht Tagen kam nun Steffens in


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[0354] Elisabeths Erinnerungen, Einige Zeit darauf begegnete mir Herr Schwaneuburg wieder. Trotz Schnee und Eis schien er an Hitze zu leiden; wenigstens trug er seinen Hut unterm Arme. Sobald er mich erkannte, rief er aus: O wie schön ist es, daß ich Sie treffe, ich habe mich soeben längere Zeit mit Ihnen unterhalten. Als er meine Verwunderung bemerkte, fuhr er fort, während er sich ohne weiteres mir anschloß: Sie müssen wissen, es ist meine Eigentümlichkeit, meine Gedanken in ein Zwiegespräch zu kleiden. Seitdem ich Sie kenne, spreche ich viel mit Ihnen. Früher hielt ich meine Gedaukengespräche mit einer edeln, älteren Frau. Jetzt ist aber deren Bild bei mir verwischt; ich habe sie zu lange nicht gesehen. Dann erzählte mir Herr Schwanenbnrg, worüber er mit nur geredet habe: Als Waisenknabe von fremden Menschen erzogen, sei im besondern Sinne des Wortes der liebe Gott sei» Vater gewesen, an den er sich in allen großen und kleinen Angelegenheiten des Lebens gewendet habe; er habe sonst auch niemand gehabt, dem er sich habe anvertrauen mögen. Hierdurch sei sein Verhältnis zu Gott ein sehr inniges geworden, und mit Begeisterung habe er bei den großen orthodoxen Professoren Kolleg gehört. Seine Vaterstadt habe ihn erziehen lassen und gewähre ihm jetzt auch die Mittel zum Studium der Theologie. Jetzt habe er vollständig seinen Bibelglauben verloren und dadurch sei sein persönliches Verhältnis zu Gott auch wesentlich erschüttert worden. Er beab¬ sichtige nun vom Studium der Theologie zurückzutreten, mit so großen äußern Nachteilen dies auch für ihn verbunden sein möge. Ich glaube wohl, es ist ein Wesen da, unfaßbar, unbegreiflich groß — ein Mittelpunkt, der wie die Sonne am Firmament alles durchleuchtet, ein Licht, ein ewiges Licht! Aber ich kann es nicht ausdrücken, was ich denke, was ich innerlich schaue, sagte er stotternd und mit zitternder Stimme. Wenn er über die erhabensten Dinge redete, so brachte er überhaupt alles nur stoßweise über die Lippen; was ihn bewegte, war zu groß für die mensch¬ liche Sprache. Durch den Ausruf: Ich kann ja gar nicht sprechen, ich habe nie gewußt, daß ich nicht sprechen kann, unterbrach er wiederholt seine eigne Rede. So war ich plötzlich, bei unsrer zweiten Begegnung, die Vertraute eines Abtrünnigen geworden. Ich riet ihm, sich vertrauensvoll an einen Geistlichen zu wenden, und fügte hinzu, daß er in hohem Maße meine Teilnahme errege. Was soll ich aber nun anfangen? fiel er mir ins Wort, muß ich doch darauf gefaßt sein, daß meine Vaterstadt ihre Hand von mir zurückziehen wird. Ich erteilte einen Rat, über den ich in diesem Augenblick selbst lachen muß. Ich riet ihm: Werden Sie Seemann, als solcher verdienen Sie gleich, was Sie brauchen, und die frische Luft wirkt wohlthätig auf die Nerven. Auf diese Antwort war er nicht gefaßt; er sah mich bestürzt an und empfahl sich. Einige Stunden später hatte er bereits seinem Freunde Steffens, aber nur ganz beiläufig, ohne etwas über den Inhalt unsers Gesprächs hinzuzufügen, erzählt, daß er mich gesprochen habe. Nach acht Tagen kam nun Steffens in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/354>, abgerufen am 13.05.2024.