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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Literatur.

Herz haben müssen, wenn du dich anders benommen hättest! ist mir später zu
meinem Troste gesagt worden. Arglos glaubte ich, Herr Schwanenburg habe
mir einen Antrag gemacht, und während ich in sein schönes, reines Antlitz blickte,
dachte keine Faser meines Herzens daran, daß ich einem Gottesleugner gegen¬
überstehe, sondern mein Herz schmiegte sich bereits an das seinige. Aber während
meine Brust von der zartesten Empfindung schwoll und meine Lippen nur wenige
Worte leise hervorzubringen vermochten, durchzuckte plötzlich meine Seele eine
Ahnung und siehe da! sie hatte das Nichtige getroffen. Der Phantast hatte
gar nicht an eine Heirat, sondern nur an ein wirtschaftliches Zusammenleben
gedacht. Ich fühlte mich aufs tiefste beleidigt und gekränkt. I" dieser Demütigung
erblickte ich eine Strafe des Allmächtigen. Hätte ich der inneren Stimme, die
mich ganz und gar für die soziale Arbeit gewinnen wollte, nicht ein so ent¬
schiedenes Nein entgegengesetzt, so würde mir der Gedanke an eine eheliche Ver¬
bindung gar nicht so nahe gelegen und mich nicht irregeleitet haben. Außer¬
dem betrachtete ich den Vorfall wie eine Prüfung, in der ich mich nicht bewährt
hatte. Ich sagte mir, daß ich nicht würdig sei, schon jetzt mit meiner großen
Idee an die Öffentlichkeit zu treten, da ich noch nicht die Kraft besäße, nur
ihr zu leben, und ich beschloß daher, ruhig zu warten, bis ein unzweideutiger
Ruf von außen an mich Herauträte. (Schluß folgt.)




Literatur.
Politische Geschichte der Gegenwart. Von Wilhelm Müller, Professor in Tübingen.
20. Band: Das Jahr 183ö. Berlin, I. Springer, 1887.

Eine "Geschichte" der Gegenwart läßt sich bekanntermaßen aus vielen Gründen
nicht schreiben, wohl aber einen brauchbaren Rückblick nuf die Ereignisse der jüngsten
Vergangenheit, und einen solchen sind wir seit fast zwei Jahrzehnten gewohnt, ans
der Hand des Verfassers zu empfangen. Geschickte Anordnung des Stoffes, Frische
und Übersichtlichkeit der Darstellung kaum entschwundener Dinge und ein verstän¬
diges politisches Urteil über sie machen den neuen Band, wie die vorigen, allen
Zeitnngslesern empfehlenswert. Was verschiednen Blättern über das Verhalten des
Königs von Baiern im Jahre 1870 und namentlich über dessen Kaiserbrief nach¬
erzählt wird, bedarf teils der Berichtigung, teils der Ergänzung, die sich gegen¬
wärtig aber noch nicht geben läßt.


Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlicher Seminar zu Straßburg.
Heft IV: Die oberclsnssische Baumwollenindnstrie und ihre Arbeiter, auf Grund der That¬
sachen dargestellt von Dr. Heinrich Herkner. Straßbnrg, K. Trübner, 1337.

Der Verfasser behandelt den nicht bloß für Fachleute, -sondern für die weitesten
Kreise interessanten Gegenstand zum erstenmale in vollkommen befriedigender Weise,
d. h. wissenschaftlich und doch auch für Laien verständlich und lehrreich. Das erste


Literatur.

Herz haben müssen, wenn du dich anders benommen hättest! ist mir später zu
meinem Troste gesagt worden. Arglos glaubte ich, Herr Schwanenburg habe
mir einen Antrag gemacht, und während ich in sein schönes, reines Antlitz blickte,
dachte keine Faser meines Herzens daran, daß ich einem Gottesleugner gegen¬
überstehe, sondern mein Herz schmiegte sich bereits an das seinige. Aber während
meine Brust von der zartesten Empfindung schwoll und meine Lippen nur wenige
Worte leise hervorzubringen vermochten, durchzuckte plötzlich meine Seele eine
Ahnung und siehe da! sie hatte das Nichtige getroffen. Der Phantast hatte
gar nicht an eine Heirat, sondern nur an ein wirtschaftliches Zusammenleben
gedacht. Ich fühlte mich aufs tiefste beleidigt und gekränkt. I» dieser Demütigung
erblickte ich eine Strafe des Allmächtigen. Hätte ich der inneren Stimme, die
mich ganz und gar für die soziale Arbeit gewinnen wollte, nicht ein so ent¬
schiedenes Nein entgegengesetzt, so würde mir der Gedanke an eine eheliche Ver¬
bindung gar nicht so nahe gelegen und mich nicht irregeleitet haben. Außer¬
dem betrachtete ich den Vorfall wie eine Prüfung, in der ich mich nicht bewährt
hatte. Ich sagte mir, daß ich nicht würdig sei, schon jetzt mit meiner großen
Idee an die Öffentlichkeit zu treten, da ich noch nicht die Kraft besäße, nur
ihr zu leben, und ich beschloß daher, ruhig zu warten, bis ein unzweideutiger
Ruf von außen an mich Herauträte. (Schluß folgt.)




Literatur.
Politische Geschichte der Gegenwart. Von Wilhelm Müller, Professor in Tübingen.
20. Band: Das Jahr 183ö. Berlin, I. Springer, 1887.

Eine „Geschichte" der Gegenwart läßt sich bekanntermaßen aus vielen Gründen
nicht schreiben, wohl aber einen brauchbaren Rückblick nuf die Ereignisse der jüngsten
Vergangenheit, und einen solchen sind wir seit fast zwei Jahrzehnten gewohnt, ans
der Hand des Verfassers zu empfangen. Geschickte Anordnung des Stoffes, Frische
und Übersichtlichkeit der Darstellung kaum entschwundener Dinge und ein verstän¬
diges politisches Urteil über sie machen den neuen Band, wie die vorigen, allen
Zeitnngslesern empfehlenswert. Was verschiednen Blättern über das Verhalten des
Königs von Baiern im Jahre 1870 und namentlich über dessen Kaiserbrief nach¬
erzählt wird, bedarf teils der Berichtigung, teils der Ergänzung, die sich gegen¬
wärtig aber noch nicht geben läßt.


Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlicher Seminar zu Straßburg.
Heft IV: Die oberclsnssische Baumwollenindnstrie und ihre Arbeiter, auf Grund der That¬
sachen dargestellt von Dr. Heinrich Herkner. Straßbnrg, K. Trübner, 1337.

Der Verfasser behandelt den nicht bloß für Fachleute, -sondern für die weitesten
Kreise interessanten Gegenstand zum erstenmale in vollkommen befriedigender Weise,
d. h. wissenschaftlich und doch auch für Laien verständlich und lehrreich. Das erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/359>, abgerufen am 29.04.2024.