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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen.

hierzu befähigt oder geeignet wäre, glaubte ich wohl; auch stand mir das Pro¬
gramm, wie alle Einzelheiten zu behandeln wären, klar vor Augen. Anderseits
sagte ich mir, daß, wenn ich die Sache überhaupt in die Hand nehmen und be¬
ginnen wollte, ich mein Leben laug meine ganze Persönlichkeit ausschließlich daran
setzen müßte. Ich verhehlte mir nicht, daß ich in demselben Augenblicke, wo ich
einen Aufruf an meine Mitschwestern erließe, im Interesse der Sache, mithin
aus rein praktischen Gründen, mir jeden Gedanken an eine etwaige Verheiratung
aus dem Sinne schlagen müßte.

Das vermochte ich nicht. Bald wollte ich es, bald wieder nicht, heute war
ich so, morgen wieder anders gesinnt. Ich schwankte hin und her und hatte
schwere innere Kämpfe zu bestehen. Zu einem Abschluß gelangte ich nicht. Das
einzige, wozu ich mich entschloß, war, daß ich mich persönlich einem Geistlichen
für die Armenpflege zur Verfügung stellte.

Während dieser Zeit verkehrte Herr Schwauenburg viel bei uus. sein
Umsatteln hatte nicht die ungünstigen äußeren Folgen nach sich gezogen, die
er anfangs befürchtet hatte. Zu meiner inneren Beruhigung trug er nicht bei.
Der schöne Jüngling fesselte mich; von Liebe zu ihm war zwar keine Rede bei
mir, aber ich hegte die Empfindung, daß er vielleicht mit der Zeit Gewalt
über mein Herz gewinnen könnte. Hiervor fürchtete ich mich. Ich sagte mir,
daß eine Gemeinschaft mit jemand, der ausgesprochenermaßen nnter den Spöttern
sitze, eine Unmöglichkeit sei.

Nachdem er gelegentlich einmal wieder mit einer gewissen Leichtfertigkeit
sich seiner Gottesleugnung gerühmt hatte, beriet ich mit der Mutter, ihn schrift¬
lich zu ersuchen, den Verkehr bei uus aufzugeben; die Verschiedenheit unsrer
religiösen Anschcinuugeu lasse dies wünschenswert erscheinen. Als er wiederkam,
händigte ich ihm persönlich den Brief ein. Er las ihn sofort und wurde ganz
bestürzt, schien aber meine Gründe zu verstehen. Vielleicht war dies die erste
empfindliche Folge, welche sein Abfall vom Glaube" uach sich gezogen hatte.
Wir nahmen stillen, freundlichem Abschied von einander.

Umsomehr überraschte es uns, als tags darauf Herr Schwauenburg sich
bei mir melden ließ. Die Mutter ging ins Nebenzimmer. Klaus erschien in
feierlicher Kleidung und mit der Miene eines Menschen, der etwas auf dem Herzen
hat. Während ich auf dem Sofa Platz nahm, setzte er sich mir gegenüber
und hielt eine längere, wenn auch bisweilen dnrch Pausen unterbrochene Rede.
Er bat mich zunächst, meine Gesundheit bei der Krankenpflege nicht aufs Spiel
zu setzen, sondern mich für meine Mutter zu erhalten und -- für ihn. Dann
malte er aus, welche Vorzüge ein gemeinsames Leben und Wirken in sich schließe
und wie köstlich es sein würde, wem? er nnr erst seine Studien beendigt Hütte
und wir im Verein die Not vieler Armen lindern könnten. Er schloß mit Ver¬
sicherungen, wie hoch und wert er mich schütze und wie lieb er mich habe.

Wie sollte ich dies alles deuten und verstehen? Du hättest kein weibliches

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Elisabeths Erinnerungen.

hierzu befähigt oder geeignet wäre, glaubte ich wohl; auch stand mir das Pro¬
gramm, wie alle Einzelheiten zu behandeln wären, klar vor Augen. Anderseits
sagte ich mir, daß, wenn ich die Sache überhaupt in die Hand nehmen und be¬
ginnen wollte, ich mein Leben laug meine ganze Persönlichkeit ausschließlich daran
setzen müßte. Ich verhehlte mir nicht, daß ich in demselben Augenblicke, wo ich
einen Aufruf an meine Mitschwestern erließe, im Interesse der Sache, mithin
aus rein praktischen Gründen, mir jeden Gedanken an eine etwaige Verheiratung
aus dem Sinne schlagen müßte.

Das vermochte ich nicht. Bald wollte ich es, bald wieder nicht, heute war
ich so, morgen wieder anders gesinnt. Ich schwankte hin und her und hatte
schwere innere Kämpfe zu bestehen. Zu einem Abschluß gelangte ich nicht. Das
einzige, wozu ich mich entschloß, war, daß ich mich persönlich einem Geistlichen
für die Armenpflege zur Verfügung stellte.

Während dieser Zeit verkehrte Herr Schwauenburg viel bei uus. sein
Umsatteln hatte nicht die ungünstigen äußeren Folgen nach sich gezogen, die
er anfangs befürchtet hatte. Zu meiner inneren Beruhigung trug er nicht bei.
Der schöne Jüngling fesselte mich; von Liebe zu ihm war zwar keine Rede bei
mir, aber ich hegte die Empfindung, daß er vielleicht mit der Zeit Gewalt
über mein Herz gewinnen könnte. Hiervor fürchtete ich mich. Ich sagte mir,
daß eine Gemeinschaft mit jemand, der ausgesprochenermaßen nnter den Spöttern
sitze, eine Unmöglichkeit sei.

Nachdem er gelegentlich einmal wieder mit einer gewissen Leichtfertigkeit
sich seiner Gottesleugnung gerühmt hatte, beriet ich mit der Mutter, ihn schrift¬
lich zu ersuchen, den Verkehr bei uus aufzugeben; die Verschiedenheit unsrer
religiösen Anschcinuugeu lasse dies wünschenswert erscheinen. Als er wiederkam,
händigte ich ihm persönlich den Brief ein. Er las ihn sofort und wurde ganz
bestürzt, schien aber meine Gründe zu verstehen. Vielleicht war dies die erste
empfindliche Folge, welche sein Abfall vom Glaube» uach sich gezogen hatte.
Wir nahmen stillen, freundlichem Abschied von einander.

Umsomehr überraschte es uns, als tags darauf Herr Schwauenburg sich
bei mir melden ließ. Die Mutter ging ins Nebenzimmer. Klaus erschien in
feierlicher Kleidung und mit der Miene eines Menschen, der etwas auf dem Herzen
hat. Während ich auf dem Sofa Platz nahm, setzte er sich mir gegenüber
und hielt eine längere, wenn auch bisweilen dnrch Pausen unterbrochene Rede.
Er bat mich zunächst, meine Gesundheit bei der Krankenpflege nicht aufs Spiel
zu setzen, sondern mich für meine Mutter zu erhalten und — für ihn. Dann
malte er aus, welche Vorzüge ein gemeinsames Leben und Wirken in sich schließe
und wie köstlich es sein würde, wem? er nnr erst seine Studien beendigt Hütte
und wir im Verein die Not vieler Armen lindern könnten. Er schloß mit Ver¬
sicherungen, wie hoch und wert er mich schütze und wie lieb er mich habe.

Wie sollte ich dies alles deuten und verstehen? Du hättest kein weibliches

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[0358] Elisabeths Erinnerungen. hierzu befähigt oder geeignet wäre, glaubte ich wohl; auch stand mir das Pro¬ gramm, wie alle Einzelheiten zu behandeln wären, klar vor Augen. Anderseits sagte ich mir, daß, wenn ich die Sache überhaupt in die Hand nehmen und be¬ ginnen wollte, ich mein Leben laug meine ganze Persönlichkeit ausschließlich daran setzen müßte. Ich verhehlte mir nicht, daß ich in demselben Augenblicke, wo ich einen Aufruf an meine Mitschwestern erließe, im Interesse der Sache, mithin aus rein praktischen Gründen, mir jeden Gedanken an eine etwaige Verheiratung aus dem Sinne schlagen müßte. Das vermochte ich nicht. Bald wollte ich es, bald wieder nicht, heute war ich so, morgen wieder anders gesinnt. Ich schwankte hin und her und hatte schwere innere Kämpfe zu bestehen. Zu einem Abschluß gelangte ich nicht. Das einzige, wozu ich mich entschloß, war, daß ich mich persönlich einem Geistlichen für die Armenpflege zur Verfügung stellte. Während dieser Zeit verkehrte Herr Schwauenburg viel bei uus. sein Umsatteln hatte nicht die ungünstigen äußeren Folgen nach sich gezogen, die er anfangs befürchtet hatte. Zu meiner inneren Beruhigung trug er nicht bei. Der schöne Jüngling fesselte mich; von Liebe zu ihm war zwar keine Rede bei mir, aber ich hegte die Empfindung, daß er vielleicht mit der Zeit Gewalt über mein Herz gewinnen könnte. Hiervor fürchtete ich mich. Ich sagte mir, daß eine Gemeinschaft mit jemand, der ausgesprochenermaßen nnter den Spöttern sitze, eine Unmöglichkeit sei. Nachdem er gelegentlich einmal wieder mit einer gewissen Leichtfertigkeit sich seiner Gottesleugnung gerühmt hatte, beriet ich mit der Mutter, ihn schrift¬ lich zu ersuchen, den Verkehr bei uus aufzugeben; die Verschiedenheit unsrer religiösen Anschcinuugeu lasse dies wünschenswert erscheinen. Als er wiederkam, händigte ich ihm persönlich den Brief ein. Er las ihn sofort und wurde ganz bestürzt, schien aber meine Gründe zu verstehen. Vielleicht war dies die erste empfindliche Folge, welche sein Abfall vom Glaube» uach sich gezogen hatte. Wir nahmen stillen, freundlichem Abschied von einander. Umsomehr überraschte es uns, als tags darauf Herr Schwauenburg sich bei mir melden ließ. Die Mutter ging ins Nebenzimmer. Klaus erschien in feierlicher Kleidung und mit der Miene eines Menschen, der etwas auf dem Herzen hat. Während ich auf dem Sofa Platz nahm, setzte er sich mir gegenüber und hielt eine längere, wenn auch bisweilen dnrch Pausen unterbrochene Rede. Er bat mich zunächst, meine Gesundheit bei der Krankenpflege nicht aufs Spiel zu setzen, sondern mich für meine Mutter zu erhalten und — für ihn. Dann malte er aus, welche Vorzüge ein gemeinsames Leben und Wirken in sich schließe und wie köstlich es sein würde, wem? er nnr erst seine Studien beendigt Hütte und wir im Verein die Not vieler Armen lindern könnten. Er schloß mit Ver¬ sicherungen, wie hoch und wert er mich schütze und wie lieb er mich habe. Wie sollte ich dies alles deuten und verstehen? Du hättest kein weibliches /

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/358>, abgerufen am 15.05.2024.