Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geflügelte Worte.

Platz zugewiesen erhalten, als dies hier geschehen ist. Schon weil die Büsten
viel zu hoch angebracht sind, mehr noch weil der Verkehr in den Arkaden fast
nie ruht, kann kaum irgend jemand anders als im Vorübergehen ihnen Beachtung
schenken. Was hat man sich überhaupt dabei gedacht, als man eine solche Menge
von Marmorbüsten ohne alle Nötigung in Reih und Glied gerade an einem Orte
versammelte, wo doch immer nur der Einzelne Anspruch auf unsre Teilnahme
hat, nie und nimmer die Korporation? Man baue für sie eine eigne Ruhmes¬
oder Dankbarkcitshalle, fern von den Schauern der Gräbernähe, und noch künftige
Geschlechter werden den Tag segnen, wo die Übersiedelung an eine minder an
die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnende Weihestätte ins Werk gesetzt wurde.




Geflügelte Worte.

or kurzem ist in diesen Blättern eine neue Ausgabe -- die fünf¬
zehnte -- von Büchmanns "Geflügelten Worten" besprochen
worden. Die Besprechung hob hervor, daß, trotz des Reichtums
des in diesem Buche enthaltenen Zitatenschatzes, doch eine Menge
üblicher Redeweisen darin nicht zu finden sei. Es führt uns
dies zu der Frage: Was sind denn eigentlich geflügelte Worte? Sind es wirklich
nur diejenigen in unsrer Sprache heimischen Redeweisen, deren Entstehung
man kennt?"

Allerdings hat Büchmann nur dies unter seinen "geflügelten Worten ver¬
standen. Er bestimmte den Begriff derselben dahin, daß es "allgemein angewendete
Worte" seien, deren Verfasser sich angeben läßt. Damit war von vornherein einem
Vorwurf der UnVollständigkeit der Sammlung begegnet, insofern nicht derjenige,
welcher die Unvollstündigkeit rügen wollte, zugleich anzugeben wußte, wie die
von ihm vermißte Redeweise entstanden sei. Der gegenwärtige Herausgeber
(Robert-tornow) bemerkte in der Einleitung der früheren Ausgaben, daß die
Büchmannsche Begriffsbestimmung nicht ganz passe, weil darnach eine Menge
Bibelworte, alle homerischen und viele andre gebräuchliche Zitate aus der
Sammlung wegfallen müßten. Er selbst bestimmte den Begriff dahin: "Ein
geflügeltes Wort ist ein landläufiges Zitat." In der Einleitung der neuesten
Aufgabe geht er davon aus, daß diese Begriffsbestimmung bereits vollständig
gesiegt habe. "Hieran ist nicht zu rütteln, weil der Gebrauch Tyrann der
Sprache ist."


Geflügelte Worte.

Platz zugewiesen erhalten, als dies hier geschehen ist. Schon weil die Büsten
viel zu hoch angebracht sind, mehr noch weil der Verkehr in den Arkaden fast
nie ruht, kann kaum irgend jemand anders als im Vorübergehen ihnen Beachtung
schenken. Was hat man sich überhaupt dabei gedacht, als man eine solche Menge
von Marmorbüsten ohne alle Nötigung in Reih und Glied gerade an einem Orte
versammelte, wo doch immer nur der Einzelne Anspruch auf unsre Teilnahme
hat, nie und nimmer die Korporation? Man baue für sie eine eigne Ruhmes¬
oder Dankbarkcitshalle, fern von den Schauern der Gräbernähe, und noch künftige
Geschlechter werden den Tag segnen, wo die Übersiedelung an eine minder an
die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnende Weihestätte ins Werk gesetzt wurde.




Geflügelte Worte.

or kurzem ist in diesen Blättern eine neue Ausgabe — die fünf¬
zehnte — von Büchmanns „Geflügelten Worten" besprochen
worden. Die Besprechung hob hervor, daß, trotz des Reichtums
des in diesem Buche enthaltenen Zitatenschatzes, doch eine Menge
üblicher Redeweisen darin nicht zu finden sei. Es führt uns
dies zu der Frage: Was sind denn eigentlich geflügelte Worte? Sind es wirklich
nur diejenigen in unsrer Sprache heimischen Redeweisen, deren Entstehung
man kennt?"

Allerdings hat Büchmann nur dies unter seinen „geflügelten Worten ver¬
standen. Er bestimmte den Begriff derselben dahin, daß es „allgemein angewendete
Worte" seien, deren Verfasser sich angeben läßt. Damit war von vornherein einem
Vorwurf der UnVollständigkeit der Sammlung begegnet, insofern nicht derjenige,
welcher die Unvollstündigkeit rügen wollte, zugleich anzugeben wußte, wie die
von ihm vermißte Redeweise entstanden sei. Der gegenwärtige Herausgeber
(Robert-tornow) bemerkte in der Einleitung der früheren Ausgaben, daß die
Büchmannsche Begriffsbestimmung nicht ganz passe, weil darnach eine Menge
Bibelworte, alle homerischen und viele andre gebräuchliche Zitate aus der
Sammlung wegfallen müßten. Er selbst bestimmte den Begriff dahin: „Ein
geflügeltes Wort ist ein landläufiges Zitat." In der Einleitung der neuesten
Aufgabe geht er davon aus, daß diese Begriffsbestimmung bereits vollständig
gesiegt habe. „Hieran ist nicht zu rütteln, weil der Gebrauch Tyrann der
Sprache ist."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201215"/>
          <fw type="header" place="top"> Geflügelte Worte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> Platz zugewiesen erhalten, als dies hier geschehen ist. Schon weil die Büsten<lb/>
viel zu hoch angebracht sind, mehr noch weil der Verkehr in den Arkaden fast<lb/>
nie ruht, kann kaum irgend jemand anders als im Vorübergehen ihnen Beachtung<lb/>
schenken. Was hat man sich überhaupt dabei gedacht, als man eine solche Menge<lb/>
von Marmorbüsten ohne alle Nötigung in Reih und Glied gerade an einem Orte<lb/>
versammelte, wo doch immer nur der Einzelne Anspruch auf unsre Teilnahme<lb/>
hat, nie und nimmer die Korporation? Man baue für sie eine eigne Ruhmes¬<lb/>
oder Dankbarkcitshalle, fern von den Schauern der Gräbernähe, und noch künftige<lb/>
Geschlechter werden den Tag segnen, wo die Übersiedelung an eine minder an<lb/>
die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnende Weihestätte ins Werk gesetzt wurde.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Geflügelte Worte.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1369"> or kurzem ist in diesen Blättern eine neue Ausgabe &#x2014; die fünf¬<lb/>
zehnte &#x2014; von Büchmanns &#x201E;Geflügelten Worten" besprochen<lb/>
worden. Die Besprechung hob hervor, daß, trotz des Reichtums<lb/>
des in diesem Buche enthaltenen Zitatenschatzes, doch eine Menge<lb/>
üblicher Redeweisen darin nicht zu finden sei. Es führt uns<lb/>
dies zu der Frage: Was sind denn eigentlich geflügelte Worte? Sind es wirklich<lb/>
nur diejenigen in unsrer Sprache heimischen Redeweisen, deren Entstehung<lb/>
man kennt?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1370"> Allerdings hat Büchmann nur dies unter seinen &#x201E;geflügelten Worten ver¬<lb/>
standen. Er bestimmte den Begriff derselben dahin, daß es &#x201E;allgemein angewendete<lb/>
Worte" seien, deren Verfasser sich angeben läßt. Damit war von vornherein einem<lb/>
Vorwurf der UnVollständigkeit der Sammlung begegnet, insofern nicht derjenige,<lb/>
welcher die Unvollstündigkeit rügen wollte, zugleich anzugeben wußte, wie die<lb/>
von ihm vermißte Redeweise entstanden sei. Der gegenwärtige Herausgeber<lb/>
(Robert-tornow) bemerkte in der Einleitung der früheren Ausgaben, daß die<lb/>
Büchmannsche Begriffsbestimmung nicht ganz passe, weil darnach eine Menge<lb/>
Bibelworte, alle homerischen und viele andre gebräuchliche Zitate aus der<lb/>
Sammlung wegfallen müßten. Er selbst bestimmte den Begriff dahin: &#x201E;Ein<lb/>
geflügeltes Wort ist ein landläufiges Zitat." In der Einleitung der neuesten<lb/>
Aufgabe geht er davon aus, daß diese Begriffsbestimmung bereits vollständig<lb/>
gesiegt habe. &#x201E;Hieran ist nicht zu rütteln, weil der Gebrauch Tyrann der<lb/>
Sprache ist."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Geflügelte Worte. Platz zugewiesen erhalten, als dies hier geschehen ist. Schon weil die Büsten viel zu hoch angebracht sind, mehr noch weil der Verkehr in den Arkaden fast nie ruht, kann kaum irgend jemand anders als im Vorübergehen ihnen Beachtung schenken. Was hat man sich überhaupt dabei gedacht, als man eine solche Menge von Marmorbüsten ohne alle Nötigung in Reih und Glied gerade an einem Orte versammelte, wo doch immer nur der Einzelne Anspruch auf unsre Teilnahme hat, nie und nimmer die Korporation? Man baue für sie eine eigne Ruhmes¬ oder Dankbarkcitshalle, fern von den Schauern der Gräbernähe, und noch künftige Geschlechter werden den Tag segnen, wo die Übersiedelung an eine minder an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnende Weihestätte ins Werk gesetzt wurde. Geflügelte Worte. or kurzem ist in diesen Blättern eine neue Ausgabe — die fünf¬ zehnte — von Büchmanns „Geflügelten Worten" besprochen worden. Die Besprechung hob hervor, daß, trotz des Reichtums des in diesem Buche enthaltenen Zitatenschatzes, doch eine Menge üblicher Redeweisen darin nicht zu finden sei. Es führt uns dies zu der Frage: Was sind denn eigentlich geflügelte Worte? Sind es wirklich nur diejenigen in unsrer Sprache heimischen Redeweisen, deren Entstehung man kennt?" Allerdings hat Büchmann nur dies unter seinen „geflügelten Worten ver¬ standen. Er bestimmte den Begriff derselben dahin, daß es „allgemein angewendete Worte" seien, deren Verfasser sich angeben läßt. Damit war von vornherein einem Vorwurf der UnVollständigkeit der Sammlung begegnet, insofern nicht derjenige, welcher die Unvollstündigkeit rügen wollte, zugleich anzugeben wußte, wie die von ihm vermißte Redeweise entstanden sei. Der gegenwärtige Herausgeber (Robert-tornow) bemerkte in der Einleitung der früheren Ausgaben, daß die Büchmannsche Begriffsbestimmung nicht ganz passe, weil darnach eine Menge Bibelworte, alle homerischen und viele andre gebräuchliche Zitate aus der Sammlung wegfallen müßten. Er selbst bestimmte den Begriff dahin: „Ein geflügeltes Wort ist ein landläufiges Zitat." In der Einleitung der neuesten Aufgabe geht er davon aus, daß diese Begriffsbestimmung bereits vollständig gesiegt habe. „Hieran ist nicht zu rütteln, weil der Gebrauch Tyrann der Sprache ist."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/436>, abgerufen am 28.04.2024.