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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Grübeleien eines Malers über seine Kunst.

2 x 241/4 -- ich breche natürlich ab, man sieht den Sack der spielenden
Möglichkeiten, der keinen Boden hat, im Menschenkopfe weit genug aufgethan
und hingeschüttet, um froh genug und dankbar in den großen schönen Ernst
der Weltordnung draußen zurückzukehren, die man da einen Augenblick in sich
über deu Haufen und durcheinander geworfen sieht, daß einem angst und
bange wird. Da schlägt denn das Wortdenkcn in Sachdcnken um, bei dem einem
so innerlich wohl nud sicher zu Mute wird, und mau kauu das daran üben,
den Anfang dazu kann man aber wirklich schon bei der Henne oben mache".




Grübeleien eines Malers über seine Kunst.

cum ein Künstler in den letzten Jahren zur Feder griff und so
unvorsichtig war, das Geschriebene auch noch drucken zu lassen,
kam selten etwas andres dabei heraus als ein galliger Erguß
gegen die undankbare Welt im allgemeinen und die bösen Kritiker
im besondern, welche alles besser wissen wollen und doch nicht
malen oder das Modellirholz handhaben können. Vor einigen Monaten haben
wir es sogar erlebt, daß zwei angesehene Künstler, von denen der eine sich auch
als Schriftsteller hinreichend ausgewiesen hat, in einer Wochenschrift hart an¬
einander gerieten, weil eben jener eine, Maler und Poet dazu, sich die Freiheit
genommen hatte, für die idealistische Richtung eine Lanze zu brechen und vor
dein Versinken der Kunst in einen flachen Nenlismns, in eine poesielose Natur-
nachahmung zu warnen. Darob ergrimmte der andre, der sich in seinen
realistischen Neigungen verletzt fühlte, und schalt deu Idealisten, als ob er einen
Kritiker vor sich hätte. Es scheint sich demnach eine Menge von Zündstoff in
der Künstlerschaft angesammelt zu haben, der bei der geringsten Berührung los¬
platzt, und man ist auf eine Fülle vou sittlicher Entrüstung und heiligem Zorn
gefaßt, wenn man einen Aufsatz oder ein Heft zur Hemd nimmt, welches den
Namen eines Künstlers als Verfassernnmen trägt.

Eine angenehme Enttäuschung nach dieser Richtung hat uns ein kürzlich
bei Gebrüder Paetel in Berlin erschienenes Büchlein von Otto Knille unter
dem Titel "Grübeleien eines Malers über seine Kunst" bereitet. Knille ist
kein "Rufer im Streit"; er hält sich mit großer, fast allzu ängstlicher Vorsicht
von allen Persönlichkeiten fern und ergeht sich besonders da, wo er sich ab¬
lehnend verhalten zu müssen glaubt, in allgemeinen Andeutungen, die nur dem¬
jenigen verständlich sind, der mit der "eueren Kunstbewegung sehr vertraut ist.
Ein feiner, maßvoller und behutsamer Manu, bildet er einen erfreulichen Gegen¬
satz zu den lärmenden Korybanten seiner Kunst, die ebenso leicht, wie sie ein
Geschrei erheben, auch wieder verstummen, weil hohles Pathos kurzen Atem


Grübeleien eines Malers über seine Kunst.

2 x 241/4 — ich breche natürlich ab, man sieht den Sack der spielenden
Möglichkeiten, der keinen Boden hat, im Menschenkopfe weit genug aufgethan
und hingeschüttet, um froh genug und dankbar in den großen schönen Ernst
der Weltordnung draußen zurückzukehren, die man da einen Augenblick in sich
über deu Haufen und durcheinander geworfen sieht, daß einem angst und
bange wird. Da schlägt denn das Wortdenkcn in Sachdcnken um, bei dem einem
so innerlich wohl nud sicher zu Mute wird, und mau kauu das daran üben,
den Anfang dazu kann man aber wirklich schon bei der Henne oben mache«.




Grübeleien eines Malers über seine Kunst.

cum ein Künstler in den letzten Jahren zur Feder griff und so
unvorsichtig war, das Geschriebene auch noch drucken zu lassen,
kam selten etwas andres dabei heraus als ein galliger Erguß
gegen die undankbare Welt im allgemeinen und die bösen Kritiker
im besondern, welche alles besser wissen wollen und doch nicht
malen oder das Modellirholz handhaben können. Vor einigen Monaten haben
wir es sogar erlebt, daß zwei angesehene Künstler, von denen der eine sich auch
als Schriftsteller hinreichend ausgewiesen hat, in einer Wochenschrift hart an¬
einander gerieten, weil eben jener eine, Maler und Poet dazu, sich die Freiheit
genommen hatte, für die idealistische Richtung eine Lanze zu brechen und vor
dein Versinken der Kunst in einen flachen Nenlismns, in eine poesielose Natur-
nachahmung zu warnen. Darob ergrimmte der andre, der sich in seinen
realistischen Neigungen verletzt fühlte, und schalt deu Idealisten, als ob er einen
Kritiker vor sich hätte. Es scheint sich demnach eine Menge von Zündstoff in
der Künstlerschaft angesammelt zu haben, der bei der geringsten Berührung los¬
platzt, und man ist auf eine Fülle vou sittlicher Entrüstung und heiligem Zorn
gefaßt, wenn man einen Aufsatz oder ein Heft zur Hemd nimmt, welches den
Namen eines Künstlers als Verfassernnmen trägt.

Eine angenehme Enttäuschung nach dieser Richtung hat uns ein kürzlich
bei Gebrüder Paetel in Berlin erschienenes Büchlein von Otto Knille unter
dem Titel „Grübeleien eines Malers über seine Kunst" bereitet. Knille ist
kein „Rufer im Streit"; er hält sich mit großer, fast allzu ängstlicher Vorsicht
von allen Persönlichkeiten fern und ergeht sich besonders da, wo er sich ab¬
lehnend verhalten zu müssen glaubt, in allgemeinen Andeutungen, die nur dem¬
jenigen verständlich sind, der mit der »eueren Kunstbewegung sehr vertraut ist.
Ein feiner, maßvoller und behutsamer Manu, bildet er einen erfreulichen Gegen¬
satz zu den lärmenden Korybanten seiner Kunst, die ebenso leicht, wie sie ein
Geschrei erheben, auch wieder verstummen, weil hohles Pathos kurzen Atem


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[0046] Grübeleien eines Malers über seine Kunst. 2 x 241/4 — ich breche natürlich ab, man sieht den Sack der spielenden Möglichkeiten, der keinen Boden hat, im Menschenkopfe weit genug aufgethan und hingeschüttet, um froh genug und dankbar in den großen schönen Ernst der Weltordnung draußen zurückzukehren, die man da einen Augenblick in sich über deu Haufen und durcheinander geworfen sieht, daß einem angst und bange wird. Da schlägt denn das Wortdenkcn in Sachdcnken um, bei dem einem so innerlich wohl nud sicher zu Mute wird, und mau kauu das daran üben, den Anfang dazu kann man aber wirklich schon bei der Henne oben mache«. Grübeleien eines Malers über seine Kunst. cum ein Künstler in den letzten Jahren zur Feder griff und so unvorsichtig war, das Geschriebene auch noch drucken zu lassen, kam selten etwas andres dabei heraus als ein galliger Erguß gegen die undankbare Welt im allgemeinen und die bösen Kritiker im besondern, welche alles besser wissen wollen und doch nicht malen oder das Modellirholz handhaben können. Vor einigen Monaten haben wir es sogar erlebt, daß zwei angesehene Künstler, von denen der eine sich auch als Schriftsteller hinreichend ausgewiesen hat, in einer Wochenschrift hart an¬ einander gerieten, weil eben jener eine, Maler und Poet dazu, sich die Freiheit genommen hatte, für die idealistische Richtung eine Lanze zu brechen und vor dein Versinken der Kunst in einen flachen Nenlismns, in eine poesielose Natur- nachahmung zu warnen. Darob ergrimmte der andre, der sich in seinen realistischen Neigungen verletzt fühlte, und schalt deu Idealisten, als ob er einen Kritiker vor sich hätte. Es scheint sich demnach eine Menge von Zündstoff in der Künstlerschaft angesammelt zu haben, der bei der geringsten Berührung los¬ platzt, und man ist auf eine Fülle vou sittlicher Entrüstung und heiligem Zorn gefaßt, wenn man einen Aufsatz oder ein Heft zur Hemd nimmt, welches den Namen eines Künstlers als Verfassernnmen trägt. Eine angenehme Enttäuschung nach dieser Richtung hat uns ein kürzlich bei Gebrüder Paetel in Berlin erschienenes Büchlein von Otto Knille unter dem Titel „Grübeleien eines Malers über seine Kunst" bereitet. Knille ist kein „Rufer im Streit"; er hält sich mit großer, fast allzu ängstlicher Vorsicht von allen Persönlichkeiten fern und ergeht sich besonders da, wo er sich ab¬ lehnend verhalten zu müssen glaubt, in allgemeinen Andeutungen, die nur dem¬ jenigen verständlich sind, der mit der »eueren Kunstbewegung sehr vertraut ist. Ein feiner, maßvoller und behutsamer Manu, bildet er einen erfreulichen Gegen¬ satz zu den lärmenden Korybanten seiner Kunst, die ebenso leicht, wie sie ein Geschrei erheben, auch wieder verstummen, weil hohles Pathos kurzen Atem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/46>, abgerufen am 29.04.2024.