Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

Betriebsunfall ereilt den Arbeiter oft in dem kräftigsten Mannesalter, in dem
er eine zahlreiche Familie zu ernähren hat. Durch Krankheit invalide wird der
Arbeiter aber doch meist erst in den spätern Lebensjahren; er steht dann schon
vielfach mit seiner Frau allein da, die Kinder sind erwachsen und unterstützen
ihn wohl gar. Sehen wir also für den verheirateten invaliden und alters¬
schwachen Arbeiter eine Rente von 33 ^ Prozent des Lohnes, mindestens jedoch
160 Mark fest, so reicht sie in der großen Mehrzahl der Fälle zum Unterhalte
aus, jedenfalls bietet sie eine wesentliche Unterstützung. Für den alleinstehenden
Arbeiter dürften zunächst 25 Prozent des Lohnes, als geringster Betrag
120 Mark festzusetzen sein, für die Arbeiterin 120 Mark.

Diese niedrigen Sätze genügen bei uns in Deutschland in vielen Gegenden
nahezu zum Unterhalte zweier Personen, bez. einer Person ans dem Arbeiter-
stande. Anders ist es freilich in den großen Städten, wo auch mit 300 Mark
eine Familie bei der größten Einschränkung nicht bestehen kann. Doch hindert
nichts solche auf ihre Rente angewiesene Personen, ihren Wohnsitz zu ändern.
Thun sie das nicht, so geht daraus hervor, daß -- vielleicht infolge des Vor¬
handenseins von Anverwandten oder aus andern Gründen -- die Lebens-
bedingungen in der Großstadt für sie günstiger liegen. Jedenfalls trägt die
Maßregel, für die größern Städte den niedrigsten Betrag der Invalidenrente
nicht höher festzusetzen, mit dazu bei, die Großstädte zu entlasten und die über¬
schüssige Bevölkerung auf die Provinzen zu verteilen.




2.

Hören wir von Altersversorgung auf dem Wege der Versicherung, so
denken wir dabei heutzutage stets an einen Versicherungsvertrag, auf Grund
dessen sich der Versicherte durch jährliche Zahlungen während einer Reihe
von Jahren das Recht auf eine Jahresrente im Alter erwirbt. Der Zweck der
Fürsorge sür das Alter wird also erreicht durch das Zurücklegen regelmäßiger
Ersparnisse in jüngern Jahren. Die Ersparnisse werden bei einer Lebensver¬
sicherungsgesellschaft verzinsbar angelegt und wachsen bis zum Beginn der
Rentenzahlungen zu einem Kapital an, welches hinreicht, um die ausbedungene
Pension bis an das Lebensende des Empfangsberechtigten zahlen zu können.
Dieses in ein System gebrachte Sparen ist der einzige Weg, um eine Fürsorge
für die Zeiten der Erwerbsunfähigkeit durch Privatversicheruug zu ermöglichen.
Dasselbe Sparsystem aber der staatlich organisnten Invaliden- und Altersver¬
sorgung der Arbeiter zu Grunde zu legen, wie Herr W. Wirrig in seinein
Aufsatze "Die Altersversicherung" im letzten Dezembcrhefte der Preußischen
Jahrbücher vorschlägt, ist ein Unding.

Das Sparen führt eben nur zum Ziele, wenn es regelmäßig geschieht.
Es muß ständig überwacht, es müssen die Einlagen bescheinigt und gebucht, es


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

Betriebsunfall ereilt den Arbeiter oft in dem kräftigsten Mannesalter, in dem
er eine zahlreiche Familie zu ernähren hat. Durch Krankheit invalide wird der
Arbeiter aber doch meist erst in den spätern Lebensjahren; er steht dann schon
vielfach mit seiner Frau allein da, die Kinder sind erwachsen und unterstützen
ihn wohl gar. Sehen wir also für den verheirateten invaliden und alters¬
schwachen Arbeiter eine Rente von 33 ^ Prozent des Lohnes, mindestens jedoch
160 Mark fest, so reicht sie in der großen Mehrzahl der Fälle zum Unterhalte
aus, jedenfalls bietet sie eine wesentliche Unterstützung. Für den alleinstehenden
Arbeiter dürften zunächst 25 Prozent des Lohnes, als geringster Betrag
120 Mark festzusetzen sein, für die Arbeiterin 120 Mark.

Diese niedrigen Sätze genügen bei uns in Deutschland in vielen Gegenden
nahezu zum Unterhalte zweier Personen, bez. einer Person ans dem Arbeiter-
stande. Anders ist es freilich in den großen Städten, wo auch mit 300 Mark
eine Familie bei der größten Einschränkung nicht bestehen kann. Doch hindert
nichts solche auf ihre Rente angewiesene Personen, ihren Wohnsitz zu ändern.
Thun sie das nicht, so geht daraus hervor, daß — vielleicht infolge des Vor¬
handenseins von Anverwandten oder aus andern Gründen — die Lebens-
bedingungen in der Großstadt für sie günstiger liegen. Jedenfalls trägt die
Maßregel, für die größern Städte den niedrigsten Betrag der Invalidenrente
nicht höher festzusetzen, mit dazu bei, die Großstädte zu entlasten und die über¬
schüssige Bevölkerung auf die Provinzen zu verteilen.




2.

Hören wir von Altersversorgung auf dem Wege der Versicherung, so
denken wir dabei heutzutage stets an einen Versicherungsvertrag, auf Grund
dessen sich der Versicherte durch jährliche Zahlungen während einer Reihe
von Jahren das Recht auf eine Jahresrente im Alter erwirbt. Der Zweck der
Fürsorge sür das Alter wird also erreicht durch das Zurücklegen regelmäßiger
Ersparnisse in jüngern Jahren. Die Ersparnisse werden bei einer Lebensver¬
sicherungsgesellschaft verzinsbar angelegt und wachsen bis zum Beginn der
Rentenzahlungen zu einem Kapital an, welches hinreicht, um die ausbedungene
Pension bis an das Lebensende des Empfangsberechtigten zahlen zu können.
Dieses in ein System gebrachte Sparen ist der einzige Weg, um eine Fürsorge
für die Zeiten der Erwerbsunfähigkeit durch Privatversicheruug zu ermöglichen.
Dasselbe Sparsystem aber der staatlich organisnten Invaliden- und Altersver¬
sorgung der Arbeiter zu Grunde zu legen, wie Herr W. Wirrig in seinein
Aufsatze „Die Altersversicherung" im letzten Dezembcrhefte der Preußischen
Jahrbücher vorschlägt, ist ein Unding.

Das Sparen führt eben nur zum Ziele, wenn es regelmäßig geschieht.
Es muß ständig überwacht, es müssen die Einlagen bescheinigt und gebucht, es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201288"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1594" prev="#ID_1593"> Betriebsunfall ereilt den Arbeiter oft in dem kräftigsten Mannesalter, in dem<lb/>
er eine zahlreiche Familie zu ernähren hat. Durch Krankheit invalide wird der<lb/>
Arbeiter aber doch meist erst in den spätern Lebensjahren; er steht dann schon<lb/>
vielfach mit seiner Frau allein da, die Kinder sind erwachsen und unterstützen<lb/>
ihn wohl gar. Sehen wir also für den verheirateten invaliden und alters¬<lb/>
schwachen Arbeiter eine Rente von 33 ^ Prozent des Lohnes, mindestens jedoch<lb/>
160 Mark fest, so reicht sie in der großen Mehrzahl der Fälle zum Unterhalte<lb/>
aus, jedenfalls bietet sie eine wesentliche Unterstützung. Für den alleinstehenden<lb/>
Arbeiter dürften zunächst 25 Prozent des Lohnes, als geringster Betrag<lb/>
120 Mark festzusetzen sein, für die Arbeiterin 120 Mark.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1595"> Diese niedrigen Sätze genügen bei uns in Deutschland in vielen Gegenden<lb/>
nahezu zum Unterhalte zweier Personen, bez. einer Person ans dem Arbeiter-<lb/>
stande. Anders ist es freilich in den großen Städten, wo auch mit 300 Mark<lb/>
eine Familie bei der größten Einschränkung nicht bestehen kann. Doch hindert<lb/>
nichts solche auf ihre Rente angewiesene Personen, ihren Wohnsitz zu ändern.<lb/>
Thun sie das nicht, so geht daraus hervor, daß &#x2014; vielleicht infolge des Vor¬<lb/>
handenseins von Anverwandten oder aus andern Gründen &#x2014; die Lebens-<lb/>
bedingungen in der Großstadt für sie günstiger liegen. Jedenfalls trägt die<lb/>
Maßregel, für die größern Städte den niedrigsten Betrag der Invalidenrente<lb/>
nicht höher festzusetzen, mit dazu bei, die Großstädte zu entlasten und die über¬<lb/>
schüssige Bevölkerung auf die Provinzen zu verteilen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1596"> Hören wir von Altersversorgung auf dem Wege der Versicherung, so<lb/>
denken wir dabei heutzutage stets an einen Versicherungsvertrag, auf Grund<lb/>
dessen sich der Versicherte durch jährliche Zahlungen während einer Reihe<lb/>
von Jahren das Recht auf eine Jahresrente im Alter erwirbt. Der Zweck der<lb/>
Fürsorge sür das Alter wird also erreicht durch das Zurücklegen regelmäßiger<lb/>
Ersparnisse in jüngern Jahren. Die Ersparnisse werden bei einer Lebensver¬<lb/>
sicherungsgesellschaft verzinsbar angelegt und wachsen bis zum Beginn der<lb/>
Rentenzahlungen zu einem Kapital an, welches hinreicht, um die ausbedungene<lb/>
Pension bis an das Lebensende des Empfangsberechtigten zahlen zu können.<lb/>
Dieses in ein System gebrachte Sparen ist der einzige Weg, um eine Fürsorge<lb/>
für die Zeiten der Erwerbsunfähigkeit durch Privatversicheruug zu ermöglichen.<lb/>
Dasselbe Sparsystem aber der staatlich organisnten Invaliden- und Altersver¬<lb/>
sorgung der Arbeiter zu Grunde zu legen, wie Herr W. Wirrig in seinein<lb/>
Aufsatze &#x201E;Die Altersversicherung" im letzten Dezembcrhefte der Preußischen<lb/>
Jahrbücher vorschlägt, ist ein Unding.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1597" next="#ID_1598"> Das Sparen führt eben nur zum Ziele, wenn es regelmäßig geschieht.<lb/>
Es muß ständig überwacht, es müssen die Einlagen bescheinigt und gebucht, es</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. Betriebsunfall ereilt den Arbeiter oft in dem kräftigsten Mannesalter, in dem er eine zahlreiche Familie zu ernähren hat. Durch Krankheit invalide wird der Arbeiter aber doch meist erst in den spätern Lebensjahren; er steht dann schon vielfach mit seiner Frau allein da, die Kinder sind erwachsen und unterstützen ihn wohl gar. Sehen wir also für den verheirateten invaliden und alters¬ schwachen Arbeiter eine Rente von 33 ^ Prozent des Lohnes, mindestens jedoch 160 Mark fest, so reicht sie in der großen Mehrzahl der Fälle zum Unterhalte aus, jedenfalls bietet sie eine wesentliche Unterstützung. Für den alleinstehenden Arbeiter dürften zunächst 25 Prozent des Lohnes, als geringster Betrag 120 Mark festzusetzen sein, für die Arbeiterin 120 Mark. Diese niedrigen Sätze genügen bei uns in Deutschland in vielen Gegenden nahezu zum Unterhalte zweier Personen, bez. einer Person ans dem Arbeiter- stande. Anders ist es freilich in den großen Städten, wo auch mit 300 Mark eine Familie bei der größten Einschränkung nicht bestehen kann. Doch hindert nichts solche auf ihre Rente angewiesene Personen, ihren Wohnsitz zu ändern. Thun sie das nicht, so geht daraus hervor, daß — vielleicht infolge des Vor¬ handenseins von Anverwandten oder aus andern Gründen — die Lebens- bedingungen in der Großstadt für sie günstiger liegen. Jedenfalls trägt die Maßregel, für die größern Städte den niedrigsten Betrag der Invalidenrente nicht höher festzusetzen, mit dazu bei, die Großstädte zu entlasten und die über¬ schüssige Bevölkerung auf die Provinzen zu verteilen. 2. Hören wir von Altersversorgung auf dem Wege der Versicherung, so denken wir dabei heutzutage stets an einen Versicherungsvertrag, auf Grund dessen sich der Versicherte durch jährliche Zahlungen während einer Reihe von Jahren das Recht auf eine Jahresrente im Alter erwirbt. Der Zweck der Fürsorge sür das Alter wird also erreicht durch das Zurücklegen regelmäßiger Ersparnisse in jüngern Jahren. Die Ersparnisse werden bei einer Lebensver¬ sicherungsgesellschaft verzinsbar angelegt und wachsen bis zum Beginn der Rentenzahlungen zu einem Kapital an, welches hinreicht, um die ausbedungene Pension bis an das Lebensende des Empfangsberechtigten zahlen zu können. Dieses in ein System gebrachte Sparen ist der einzige Weg, um eine Fürsorge für die Zeiten der Erwerbsunfähigkeit durch Privatversicheruug zu ermöglichen. Dasselbe Sparsystem aber der staatlich organisnten Invaliden- und Altersver¬ sorgung der Arbeiter zu Grunde zu legen, wie Herr W. Wirrig in seinein Aufsatze „Die Altersversicherung" im letzten Dezembcrhefte der Preußischen Jahrbücher vorschlägt, ist ein Unding. Das Sparen führt eben nur zum Ziele, wenn es regelmäßig geschieht. Es muß ständig überwacht, es müssen die Einlagen bescheinigt und gebucht, es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/509>, abgerufen am 29.04.2024.