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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

anderweitig thätig gewesene Personen ihr Leben lang unterhalten sollten, wenn
sie nach gar zu kurzer Arbeitszeit invalid werden. Innerhalb einer Wartefrist
(Karenzzeit) wird also von Zahlung einer Rente im Jnvaliditätsfcille abzusehen
sein. Als genügende und zweckmäßige Wartefrist erscheint mir der Zeitraum
von drei Jahren. Innerhalb derselben können für einen Beruf zu schwächliche
Personen immer in leichtere und für sie geeignetere Erwerbszweige übergeführt
werden, und anderseits pflegen Berufskrankheiten, für die vornehmlich die In¬
dustrie verantwortlich zu machen ist, in so kurzer Zeit sich noch nicht auszu¬
bilden. Sollte in dem einen oder andern Falle der Invalidität eine Be¬
rufskrankheit vorliegen, so müßte natürlich die Industrie zur Entschädigung
herangezogen werden.

Ganz in derselben Weise kann nun aber das Recht auf Versorgung bei
Invalidität und im Alter durch bloße vorübergehende Beschüftigungslosigkeit
eines Arbeiters nicht wieder verloren gehen. Denn das Recht ist erworben
durch jahrelange vorangegangene Arbeit und Beitragsleistung. Selbst bei
Strikes müßte, weil der Charakter der Versicherung ein öffentlich rechtlicher ist,
der Anspruch auf Versorgung gewahrt bleiben, ebenso natürlich bei unverschul¬
deter Erwerbslosigkeit, die durch Auflösung einer- Fabrik oder allgemein durch
Handelskrisen herbeigeführt ist. Der Zeitraum eines Jahres dürfte als An-
sprnchsfrist, als Frist, innerhalb deren bei eintretender Invalidität noch An¬
sprüche auf Rente erhoben werden können, genügen. Nur daß diese Frist bei
unverschuldeter Erwerbslosigkeit hinausgeschoben werden müßte, während bei
Frauen das Recht auf Versorgungsanspruch mit der Verheiratung erlöschen
könnte. Immer aber sollte auch für die spätere Zeit die Industrie bei den¬
jenigen Erkrankungen noch haftbar bleiben, die auf die frühere Beschäftigungsart
zurückzuführen sind.

Was die Höhe der zu zahlenden Renten anbetrifft, so wünschen wir, uns
einzig und allein nach den Bedürfnissen des Arbeiterstandes richten zu können.
Das ist aber nicht möglich. Die Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter
wird mit der Zeit alljährlich Hunderte von Millionen Mark kosten, und wenn
die Kosten auch erst in Jahrzehnten auf diesen Betrag anwachsen werden, so
bilden sie doch schon zu Anfang eine beträchtliche Belastung der betreffenden
Kreise. Also suchen wir erst die größte Not zu beseitigen und, wenn wir in
allen Fällen uicht völlig Ausreichendes gewähren können, gewähren wir einen
Teil des Ausreichenden, das Notwendigste. Haben die beteiligten Kreise erst
das segensreiche der Einrichtung empfunden und sich an die Ausgaben dafür
gewöhnt, so werden sie später leichter zu veranlassen sein, auch das Fehlende
noch zu bewilligen.

Der durch Betriebsunfall erwerbsunfähig gewordene Arbeiter erhält eine
Rente bis zu 66^g Prozent des Arbeitsverdienstes. Die Invalidenversicherung
wird oft mit wenigerem schon ausreichende Unterstützung gewähren. Denn ein


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

anderweitig thätig gewesene Personen ihr Leben lang unterhalten sollten, wenn
sie nach gar zu kurzer Arbeitszeit invalid werden. Innerhalb einer Wartefrist
(Karenzzeit) wird also von Zahlung einer Rente im Jnvaliditätsfcille abzusehen
sein. Als genügende und zweckmäßige Wartefrist erscheint mir der Zeitraum
von drei Jahren. Innerhalb derselben können für einen Beruf zu schwächliche
Personen immer in leichtere und für sie geeignetere Erwerbszweige übergeführt
werden, und anderseits pflegen Berufskrankheiten, für die vornehmlich die In¬
dustrie verantwortlich zu machen ist, in so kurzer Zeit sich noch nicht auszu¬
bilden. Sollte in dem einen oder andern Falle der Invalidität eine Be¬
rufskrankheit vorliegen, so müßte natürlich die Industrie zur Entschädigung
herangezogen werden.

Ganz in derselben Weise kann nun aber das Recht auf Versorgung bei
Invalidität und im Alter durch bloße vorübergehende Beschüftigungslosigkeit
eines Arbeiters nicht wieder verloren gehen. Denn das Recht ist erworben
durch jahrelange vorangegangene Arbeit und Beitragsleistung. Selbst bei
Strikes müßte, weil der Charakter der Versicherung ein öffentlich rechtlicher ist,
der Anspruch auf Versorgung gewahrt bleiben, ebenso natürlich bei unverschul¬
deter Erwerbslosigkeit, die durch Auflösung einer- Fabrik oder allgemein durch
Handelskrisen herbeigeführt ist. Der Zeitraum eines Jahres dürfte als An-
sprnchsfrist, als Frist, innerhalb deren bei eintretender Invalidität noch An¬
sprüche auf Rente erhoben werden können, genügen. Nur daß diese Frist bei
unverschuldeter Erwerbslosigkeit hinausgeschoben werden müßte, während bei
Frauen das Recht auf Versorgungsanspruch mit der Verheiratung erlöschen
könnte. Immer aber sollte auch für die spätere Zeit die Industrie bei den¬
jenigen Erkrankungen noch haftbar bleiben, die auf die frühere Beschäftigungsart
zurückzuführen sind.

Was die Höhe der zu zahlenden Renten anbetrifft, so wünschen wir, uns
einzig und allein nach den Bedürfnissen des Arbeiterstandes richten zu können.
Das ist aber nicht möglich. Die Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter
wird mit der Zeit alljährlich Hunderte von Millionen Mark kosten, und wenn
die Kosten auch erst in Jahrzehnten auf diesen Betrag anwachsen werden, so
bilden sie doch schon zu Anfang eine beträchtliche Belastung der betreffenden
Kreise. Also suchen wir erst die größte Not zu beseitigen und, wenn wir in
allen Fällen uicht völlig Ausreichendes gewähren können, gewähren wir einen
Teil des Ausreichenden, das Notwendigste. Haben die beteiligten Kreise erst
das segensreiche der Einrichtung empfunden und sich an die Ausgaben dafür
gewöhnt, so werden sie später leichter zu veranlassen sein, auch das Fehlende
noch zu bewilligen.

Der durch Betriebsunfall erwerbsunfähig gewordene Arbeiter erhält eine
Rente bis zu 66^g Prozent des Arbeitsverdienstes. Die Invalidenversicherung
wird oft mit wenigerem schon ausreichende Unterstützung gewähren. Denn ein


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[0508] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. anderweitig thätig gewesene Personen ihr Leben lang unterhalten sollten, wenn sie nach gar zu kurzer Arbeitszeit invalid werden. Innerhalb einer Wartefrist (Karenzzeit) wird also von Zahlung einer Rente im Jnvaliditätsfcille abzusehen sein. Als genügende und zweckmäßige Wartefrist erscheint mir der Zeitraum von drei Jahren. Innerhalb derselben können für einen Beruf zu schwächliche Personen immer in leichtere und für sie geeignetere Erwerbszweige übergeführt werden, und anderseits pflegen Berufskrankheiten, für die vornehmlich die In¬ dustrie verantwortlich zu machen ist, in so kurzer Zeit sich noch nicht auszu¬ bilden. Sollte in dem einen oder andern Falle der Invalidität eine Be¬ rufskrankheit vorliegen, so müßte natürlich die Industrie zur Entschädigung herangezogen werden. Ganz in derselben Weise kann nun aber das Recht auf Versorgung bei Invalidität und im Alter durch bloße vorübergehende Beschüftigungslosigkeit eines Arbeiters nicht wieder verloren gehen. Denn das Recht ist erworben durch jahrelange vorangegangene Arbeit und Beitragsleistung. Selbst bei Strikes müßte, weil der Charakter der Versicherung ein öffentlich rechtlicher ist, der Anspruch auf Versorgung gewahrt bleiben, ebenso natürlich bei unverschul¬ deter Erwerbslosigkeit, die durch Auflösung einer- Fabrik oder allgemein durch Handelskrisen herbeigeführt ist. Der Zeitraum eines Jahres dürfte als An- sprnchsfrist, als Frist, innerhalb deren bei eintretender Invalidität noch An¬ sprüche auf Rente erhoben werden können, genügen. Nur daß diese Frist bei unverschuldeter Erwerbslosigkeit hinausgeschoben werden müßte, während bei Frauen das Recht auf Versorgungsanspruch mit der Verheiratung erlöschen könnte. Immer aber sollte auch für die spätere Zeit die Industrie bei den¬ jenigen Erkrankungen noch haftbar bleiben, die auf die frühere Beschäftigungsart zurückzuführen sind. Was die Höhe der zu zahlenden Renten anbetrifft, so wünschen wir, uns einzig und allein nach den Bedürfnissen des Arbeiterstandes richten zu können. Das ist aber nicht möglich. Die Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter wird mit der Zeit alljährlich Hunderte von Millionen Mark kosten, und wenn die Kosten auch erst in Jahrzehnten auf diesen Betrag anwachsen werden, so bilden sie doch schon zu Anfang eine beträchtliche Belastung der betreffenden Kreise. Also suchen wir erst die größte Not zu beseitigen und, wenn wir in allen Fällen uicht völlig Ausreichendes gewähren können, gewähren wir einen Teil des Ausreichenden, das Notwendigste. Haben die beteiligten Kreise erst das segensreiche der Einrichtung empfunden und sich an die Ausgaben dafür gewöhnt, so werden sie später leichter zu veranlassen sein, auch das Fehlende noch zu bewilligen. Der durch Betriebsunfall erwerbsunfähig gewordene Arbeiter erhält eine Rente bis zu 66^g Prozent des Arbeitsverdienstes. Die Invalidenversicherung wird oft mit wenigerem schon ausreichende Unterstützung gewähren. Denn ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/508>, abgerufen am 15.05.2024.