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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Schulgeld.

einheitlichen Einrichtungen, die es geschaffen, zugleich die Volkswohlfahrt mächtig
gehoben hat, ist es ein eigentümliches Schicksal gewesen, daß ihm dies nur auf
den, Rechtsgebiete nicht gelungen ist. Doktrinarismus und Egoismus des
Juristenstandes haben sich die Hand geboten, um ein Rechtsverfahren zu schaffen,
das für den größten Teil von Deutschland keinen Fortschritt, sondern einen
Rückschritt enthält. Und dieses Gebäude hat man überdies mit Kostengesetzen
gekrönt, welche die Nechtsverfolgung in unerhörter Weise erschweren. Dem
Laien ist es natürlich sehr schwer, über den innern Wert des Verfahrens eine
Anschauung zu gewinnen. Er fühlt es nur höchst schmerzlich, wenn er seinen
Prozeß auf Gründe hin, die ihm unbegreiflich sind, verliert. Aber die Kosten
des heutigen Prozesses werden bereits allgemein schwer empfunden.*) Ihre
Höhe, die in vielen Fällen zur Unerschwinglichkeit wird, hat den Glauben, in
der Justiz ein wirklichen Schutz des Rechtes zu besitzen, erschüttert. Vielfach
wird jetzt schon lieber Unrecht hingenommen, als daß man die Kosten eines
Prozesses daran wagt. Wer aber nicht umhin kann, einen Prozeß zu führen,
betrachtet es als ein Schicksal, dem er eben verfallen ist. Das Gefühl der
Ausbeutung durch die Justiz, das doch zunächst nur in den Einrichtungen seinen
Grund hat, überträgt sich unwillkürlich auch auf den Juristcnstand selbst.
Feiner fühlende Anwälte empfinden dies schon jetzt oft schmerzlich genug. Vor
Jahren wurde einmal über unsre Industrie ein ominöses Wort gesprochen.
Man würde heute, wie wir glauben, es zu preisen haben, wenn man von
unserm Rechtsverfahren nichts schlimmeres sagen könnte.




Das Schulgeld.
(Schluß.)

om schultechnischen Standpunkte behauptet man, daß das Schul¬
geld das Interesse der Eltern an der Schule und den Eifer des
Lehrers erhöhe. Man geht davon ans, daß der Deutsche nur
das schätze, was ihn etwas koste, dagegen gering achte, was
ihm unentgeltlich geboten werde. Da ihm nun bei jeder Schul¬
geldzahlung vor Augen geführt werde, was ihm die Schule koste, so achte
er auch darauf, daß seine Kinder sie regelmäßig besuchten, und daß ihnen ein



Eine grosie Anzahl von Handelskammern (zu Mühlheim a. Rh., Bielefeld, Osnabrück,
Solingen, Minden, Jnsterburg, Kassel, Hanau, Wiesbaden, Remscheid, Göttingen, Münster,
München, Chemnitz, Ludwigshafen, Baden u. s. w.) haben sich nach Ausweis ihrer Jahres¬
berichte dringend für Herabsetzung der Gerichts- und Amvaltstosten ausgesprochen.
Das Schulgeld.

einheitlichen Einrichtungen, die es geschaffen, zugleich die Volkswohlfahrt mächtig
gehoben hat, ist es ein eigentümliches Schicksal gewesen, daß ihm dies nur auf
den, Rechtsgebiete nicht gelungen ist. Doktrinarismus und Egoismus des
Juristenstandes haben sich die Hand geboten, um ein Rechtsverfahren zu schaffen,
das für den größten Teil von Deutschland keinen Fortschritt, sondern einen
Rückschritt enthält. Und dieses Gebäude hat man überdies mit Kostengesetzen
gekrönt, welche die Nechtsverfolgung in unerhörter Weise erschweren. Dem
Laien ist es natürlich sehr schwer, über den innern Wert des Verfahrens eine
Anschauung zu gewinnen. Er fühlt es nur höchst schmerzlich, wenn er seinen
Prozeß auf Gründe hin, die ihm unbegreiflich sind, verliert. Aber die Kosten
des heutigen Prozesses werden bereits allgemein schwer empfunden.*) Ihre
Höhe, die in vielen Fällen zur Unerschwinglichkeit wird, hat den Glauben, in
der Justiz ein wirklichen Schutz des Rechtes zu besitzen, erschüttert. Vielfach
wird jetzt schon lieber Unrecht hingenommen, als daß man die Kosten eines
Prozesses daran wagt. Wer aber nicht umhin kann, einen Prozeß zu führen,
betrachtet es als ein Schicksal, dem er eben verfallen ist. Das Gefühl der
Ausbeutung durch die Justiz, das doch zunächst nur in den Einrichtungen seinen
Grund hat, überträgt sich unwillkürlich auch auf den Juristcnstand selbst.
Feiner fühlende Anwälte empfinden dies schon jetzt oft schmerzlich genug. Vor
Jahren wurde einmal über unsre Industrie ein ominöses Wort gesprochen.
Man würde heute, wie wir glauben, es zu preisen haben, wenn man von
unserm Rechtsverfahren nichts schlimmeres sagen könnte.




Das Schulgeld.
(Schluß.)

om schultechnischen Standpunkte behauptet man, daß das Schul¬
geld das Interesse der Eltern an der Schule und den Eifer des
Lehrers erhöhe. Man geht davon ans, daß der Deutsche nur
das schätze, was ihn etwas koste, dagegen gering achte, was
ihm unentgeltlich geboten werde. Da ihm nun bei jeder Schul¬
geldzahlung vor Augen geführt werde, was ihm die Schule koste, so achte
er auch darauf, daß seine Kinder sie regelmäßig besuchten, und daß ihnen ein



Eine grosie Anzahl von Handelskammern (zu Mühlheim a. Rh., Bielefeld, Osnabrück,
Solingen, Minden, Jnsterburg, Kassel, Hanau, Wiesbaden, Remscheid, Göttingen, Münster,
München, Chemnitz, Ludwigshafen, Baden u. s. w.) haben sich nach Ausweis ihrer Jahres¬
berichte dringend für Herabsetzung der Gerichts- und Amvaltstosten ausgesprochen.
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[0572] Das Schulgeld. einheitlichen Einrichtungen, die es geschaffen, zugleich die Volkswohlfahrt mächtig gehoben hat, ist es ein eigentümliches Schicksal gewesen, daß ihm dies nur auf den, Rechtsgebiete nicht gelungen ist. Doktrinarismus und Egoismus des Juristenstandes haben sich die Hand geboten, um ein Rechtsverfahren zu schaffen, das für den größten Teil von Deutschland keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt enthält. Und dieses Gebäude hat man überdies mit Kostengesetzen gekrönt, welche die Nechtsverfolgung in unerhörter Weise erschweren. Dem Laien ist es natürlich sehr schwer, über den innern Wert des Verfahrens eine Anschauung zu gewinnen. Er fühlt es nur höchst schmerzlich, wenn er seinen Prozeß auf Gründe hin, die ihm unbegreiflich sind, verliert. Aber die Kosten des heutigen Prozesses werden bereits allgemein schwer empfunden.*) Ihre Höhe, die in vielen Fällen zur Unerschwinglichkeit wird, hat den Glauben, in der Justiz ein wirklichen Schutz des Rechtes zu besitzen, erschüttert. Vielfach wird jetzt schon lieber Unrecht hingenommen, als daß man die Kosten eines Prozesses daran wagt. Wer aber nicht umhin kann, einen Prozeß zu führen, betrachtet es als ein Schicksal, dem er eben verfallen ist. Das Gefühl der Ausbeutung durch die Justiz, das doch zunächst nur in den Einrichtungen seinen Grund hat, überträgt sich unwillkürlich auch auf den Juristcnstand selbst. Feiner fühlende Anwälte empfinden dies schon jetzt oft schmerzlich genug. Vor Jahren wurde einmal über unsre Industrie ein ominöses Wort gesprochen. Man würde heute, wie wir glauben, es zu preisen haben, wenn man von unserm Rechtsverfahren nichts schlimmeres sagen könnte. Das Schulgeld. (Schluß.) om schultechnischen Standpunkte behauptet man, daß das Schul¬ geld das Interesse der Eltern an der Schule und den Eifer des Lehrers erhöhe. Man geht davon ans, daß der Deutsche nur das schätze, was ihn etwas koste, dagegen gering achte, was ihm unentgeltlich geboten werde. Da ihm nun bei jeder Schul¬ geldzahlung vor Augen geführt werde, was ihm die Schule koste, so achte er auch darauf, daß seine Kinder sie regelmäßig besuchten, und daß ihnen ein Eine grosie Anzahl von Handelskammern (zu Mühlheim a. Rh., Bielefeld, Osnabrück, Solingen, Minden, Jnsterburg, Kassel, Hanau, Wiesbaden, Remscheid, Göttingen, Münster, München, Chemnitz, Ludwigshafen, Baden u. s. w.) haben sich nach Ausweis ihrer Jahres¬ berichte dringend für Herabsetzung der Gerichts- und Amvaltstosten ausgesprochen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/572>, abgerufen am 29.04.2024.